Der britische Wissenschaftler Jonathan Dolley lebt seit einigen Jahren in Südkorea und arbeitet dort an einem Forschungsprojekt zu Hansalim, einer der größten Genossenschaften für Bio-Produkte weltweit. In den letzten Monaten hat er dieses Beispiel Landwirt*innen, Verbraucher*innen, Forscher*innen und Politiker*innen in mehreren europäischen Städten, darunter auch Berlin und Wien, vorgestellt.
Jonathan Dolley, Universität Sussex & Markus Blümel, Universität Graz
Hansalim entstand 1986 aus einem kleinen Zusammenschluss von Konsument*innen, die einen Laden in Seoul eröffneten, und entwickelte sich seither zu einem bedeutenden Verbund von autonomen Genossenschaften, in denen Erzeuger*innen und Verbraucher*innen füreinander Verantwortung übernehmen.
Eine Struktur von unten nach oben
2.300 landwirtschaftliche Betriebe haben sich zu 136 Erzeugergemeinschaften zusammengeschlossen, die in größeren Erzeugerverbänden organisiert sind, die sich wiederum in einem nationalen Dachverband koordinieren. 800.000 Verbraucher*innen sind in »Hansalim Lebens-Genossenschaften« organisiert, betreiben Läden, leisten Aufklärungsarbeit und übernehmen andere Aufgaben. Sie sehen sich dabei längst nicht mehr als reine Konsument*innen, die Lebensmittel »verbrauchen«, sondern in Solidarität mit den Erzeuger*innen und der Natur. Gemeinsam sind sie Hansalim.
Das »Salim« in Hansalim bedeutet »alle Dinge zu (er)nähren und wiederzubeleben« und beschreibt die Projektphilosophie auf verschiedenen Ebenen. Zum Ersten geht es um die Bereitstellung sicherer, gesunder und umweltfreundlicher Lebensmittel. Diese gelten als Symbol der gegenseitigen Fürsorge und Solidarität zwischen Verbraucher*innen und Erzeuger*innen, die »Babsang Salim« genannt wird. Die »Wiederbelebung der Landwirtschaft«, Nongup Salim, zielt darauf ab, den Erzeuger*innen ein stabiles und nachhaltiges Einkommen zu sichern, und definiert die Verantwortung, die die Verbraucher*innen für das Auskommen der Erzeuger*innen übernehmen. »Saengmyeong Salim« bedeutet die Förderung des Wohlbefindens und des gegenseitigen Gedeihens aller Dinge durch eine Veränderung des Bewusstseins und der Beziehungen zu sich selbst, zu anderen und zur nichtmenschlichen Welt. »Jiyeok Salim« schließlich hat zum Ziel, lokale Gemeinschaften, insbesondere in marginalisierten und ländlichen Gebieten, durch praktische und beziehungsorientierte Unterstützung zu stärken.
Auf praktischer Ebene drückt sich diese Philosophie folgendermaßen aus: Vom Preis eines Produkts, den die Verbraucher*innen zahlen, gehen 73 Prozent an die Erzeuger*innen, und die übrigen 27 Prozent decken die Kosten für Hansalim, also Arbeit, Logistik, Werbung, Bildung, Gewerkschaftsaktivitäten und Unterstützung für die Unterprivilegierten.
Preise bleiben für ein Jahr stabil
Für wichtige Kulturen wie Reis werden Preise und Mengen einmal im Jahr im Voraus vereinbart. Dafür finden Sitzungen zwischen Vertreter*innen von Erzeuger*innen, Verbraucher*innen und Arbeiter*innen und Angestellten statt. Auf diese Weise ist Hansalim in der Lage, die Preise trotz der Volatilität auf den regulären Lebensmittelmärkten stabil zu halten. Als weitere Solidaritätsmaßnahmen subventioniert ein Preisstabilisierungsfonds Rabatte auf überschüssige Lagerbestände und ein Produktionsstabilisierungsfonds dient zur Unterstützung von Erzeuger*innen, deren Ernten durch Naturkatastrophen beschädigt wurden.
Das Kennzeichnungssystem von Hansalim lässt eine Reihe von Produktionsmethoden zu, die den Erzeuger*innen ein Höchstmaß an Autonomie ermöglichen. Folgende Kategorien stehen zur Auswahl: 1. ökologisch (einschließlich effektive Mikroorganismen und Techniken mit geringem externen Input), 2. pestizidfrei, 3. pestizidarm und 4. einheimisch. Die Bäuer*innen produzieren nicht ausschließlich für Hansalim, einige Betriebe beliefern auch Schulkantinen oder haben eigene zusätzliche Absatzkanäle.
Von Anfang an war es wichtig, dass es gelebte soziale Beziehungen zwischen Produzent*innen und Verbraucher*innen gibt. Das reicht von der Hilfe bei der Aussaat oder dem Unkraut Jäten bis hin zu gemeinsamen Festen. Auf diese Weise wird die kapitalistische Trennung zwischen Produzent*innen und Konsument*innen abgemildert.
Wirtschaftlich marginalisierte Bäuerinnen und Bauern waren eine wichtige Triebfeder für die Gründung von Hansalim. Außerdem war es möglich, verschiedene soziale Bewegungen zu vernetzen. So kamen ökologische, bäuerliche, Frauen- und Demokratisierungsbewegungen zusammen. Das hat wesentlich dazu beigetragen, dass Hansalim zu einer wachsenden und lebendigen Bewegung und einer ernstzunehmenden wirtschaftlichen Alternative geworden ist. Es ist ein Modell entstanden – und wird ständig weiterentwickelt – das unter anderem dafür sorgt, dass die Leistungen und die Arbeit der Landwirt*innen anerkannt und gerecht entlohnt werden.
Vision für eine demokratische Wirtschaft
Die Motive für Kooperation liegen dabei nicht einfach nur in engen ökonomischen Gesichtspunkten, sondern es liegt eine spirituelle, soziale und ökologische Motivation zugrunde. Das bedeutet, dass soziale und ökologische Ziele einer engen ökonomischen Effizienz übergeordnet werden. Ebenso ist die Teilhabe und Partizipation der Mitglieder ein höheres Ziel als der finanzielle Gewinn. In diesem Sinne liegen darin Ansatzpunkte für eine demokratisierte Wirtschaft mit sozialen und ökologischen Zielen.
Titelbild: Produzent*innen und Konsument*innen bei der gemeinsamen Arbeit auf einem Hanslim-Hof. Foto: Jonathan Dolley
Link:
https://livingtogether.xyz/ (in englischer Sprache)