Arbeiten im Kollektiv

Mit gleichberechtigten Entscheidungsstrukturen und gemeinsamen Besitzverhältnissen versuchen Kollektivbetriebe, eine ökonomische und gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus zu realisieren. Sie stoßen dabei an Grenzen, gehen aber auch immer wieder über sie hinaus.

Regine Beyß, Redaktion Kassel

Lohnarbeit hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Jedes Mal, wenn in einer politischen Debatte das Argument »Arbeitsplätze« fällt, können wir dies wieder beobachten: Arbeit ist nicht nur eine notwendige (wenngleich nicht immer hinreichende) Bedingung dafür, um Grundbedürfnisse erfüllen zu können. Sie ist gleichzeitig auch wichtig für den sozialen Status, für unser Sinnempfinden, für unseren Wert als Menschen. Paradoxerweise wird all das von der »Arbeit«, wie sie in unserem Wirtschaftssystem definiert wird, kaum noch erfüllt. Es geht nicht um Grundbedürfnisse und Sinn, es geht nicht um unseren Wert als Menschen. Es geht vor allem um Effizienz und Profit.

Kollektivbetriebe haben nicht nur eine fundamentale Kritik an dieser Art des Wirtschaftens, sie versuchen auch, mit ihren Strukturen, Praxen und Werten eine andere Ökonomie zu erschaffen. In dieser Ökonomie wird bedarfs- statt profitorientiert produziert. Entscheidungen werden nicht von Vorgesetzten getroffen, sondern von denen, die betroffen sind. Die Produktionsmittel gehören allen, sie sind nicht privatisiert. Alle Arbeiten sind gleichwertig. Und: Teilhabe und Wohlbefinden werden von der Arbeitsleistung entkoppelt.

Die FAU Hamburg hat sich auf dieser ideellen Ebene schon ausführlich Gedanken über die Ökonomie von Kollektivbetrieben gemacht. Ihre Texte bilden den theoretischen Hintergrund für den CONTRASTE-Schwerpunkt (Seite 10). Im Vordergrund stehen hingegen die Erfahrungen aus der Praxis, die Kollektive aus ganz unterschiedlichen Bereichen sammeln: Wie organisieren sie sich? Wie kommunizieren sie untereinander? Welche Schwierigkeiten treten dabei auf? Und welche Ideen funktionieren richtig gut?

Das Hostel-Café »Schicksaal«, das IT-Kollektiv »Make Utopia« und das Baukollektiv »Hacke & Hobel« berichten aus ihrem Arbeitsalltag. Darüber hinaus finden sich in dieser Ausgabe noch weitere Beiträge von Kollektiven, die den Schwerpunkt ergänzen: Das Kurier-Kollektiv »Fahrwerk« geht vor allem auf Kommunikationswerkzeuge ein, die für die Mitarbeitenden unerlässlich sind (Seite 4). Als Beispiel für eine jahrelang erfolgreiche genossenschaftliche Organisierung stellt Autor Florian Kaufmann die Hamburger »Buchhandlung im Schanzenviertel« (Seite 7) vor.

Spannend ist dabei natürlich auch die Frage: Wie kann es weitergehen? Die Kasseler Kollektivvernetzung (Seite 12) ist ein Beispiel dafür, wie Kollektivbetriebe aus einer Region sich zusammentun, um sich gegenseitig zu unterstützen und sichtbarer zu werden. Ähnliches passiert auch in anderen Städten wie Hamburg und Berlin.

»Der Versuch, Dinge anders zu gestalten, bringt unweigerlich mit sich, dabei tagtäglich an Grenzen zu stoßen«, schreiben die Kasseler Kollektive. Sie wissen: Einem Ideal zu folgen, heißt nicht, dieses Ideal immer zu erreichen. So sehr sie versuchen, dem kapitalistischen System etwas entgegenzusetzen, so sind sie doch Teil davon. So müssen sie zum Beispiel damit umgehen, unter ökonomischen Druck zu stehen oder eine hierarchische Rechtsform zu haben. Das Neue im Alten zu schaffen birgt immer wieder Widersprüche – auch für Kollektivbetriebe. Doch abhalten lassen sie sich davon nicht.

Titelbild: Regine Beyß

Lest dazu auch den Beitrag vom Kurier-Kollektiv »Fahrwerk« aus Berlin


Weitere Beiträge im Schwerpunkt

Seite 9
Hostel-Kollektiv »schickSAAL«
Prinzipien von Kollektiven

Seite 10
Eine andere Ökonomie

Seite 11
Baukollektiv »Hacke & Hobel«
Einkommensökonomie

Seite 12
IT-Kollektiv Hamburg
Kasseler Kollektive


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