Seit 1996 gibt es den Lutherkirchentreff e.V. (auch Kopernikus oder Kopi genannt) in Hannovers Nordstadt. Schon vor zwei Jahren lief der Mietvertrag mit der Stadt aus – und bis heute ist unklar, wie es weitergeht. Dabei sind sich viele Anwohner*innen und Politiker*innen einige, dass der Verein sehr wichtige Arbeit leistet.
Malte Herrmann, Hannover
Der Verein entstand damals als Reaktion auf die so genannten »Chaostage« und auf Grund von mangelnden Räumen für perspektivlose Jugendliche in Hannover. Rund um die Lutherkirche sollten die »Punks« sich nicht mehr aufhalten, da dort ein großes Konfliktpotenzial entstand zwischen Kirche, Anwohner*innen und den Menschen, die keinen eigenen Raum in unserem Stadtbild hatten. Gemeinsam mit der Stadt, der Kirche und den Betroffenen wurde damals ein Gelände gesucht. Ein kleines heruntergekommenes Gebäude direkt neben einer Eisenbahnbrücke wurde den Jugendlichen damals angeboten. Für den obligatorischen Wert von einer Mark pro Quadratmeter wurde das Gelände zu der Zeit an die Jugendlichen übergeben.
In Eigenregie wurde mit Fördergeldern das Gelände aufwendig renoviert, Wasserleitungen verlegt und eine Terrasse gebaut. Das Dach und der Boden wurden komplett erneuert und auch der Außenbereich wuchs schnell. Heute wird das Außengelände für vereinseigene Auftritte, Konzerte und verschiedenste Aktionen genutzt. Seitdem ist die Kopi eine nicht mehr weg zu denkende Institution in der Nordstadt. Ca. 150 Mitglieder zählt der Lutherkirchentreff e.V. inzwischen und je nach Vereinsfest und Aktion nehmen zwischen 50 und 150 Menschen das wöchentliche Angebot der Kopi wahr.
Die Kopernikus ist inzwischen landesweit bekannt geworden und lockt viele Besuchende aus dem gesamten Bundesgebiet und darüber hinaus. Mit Kontakten, logistischer Unterstützung und Hilfe bei der Tourenplanung unterstützt die Kopernikus regionale und internationale Bands seit mehr als 20 Jahren. Seit 2002 ist der Lutherkirchentreff auch als freier Träger der Jugendhilfe anerkannt. Orte zu schaffen, in denen sich Jugendliche, Kreative und Kulturschaffende ohne Verwertungszwänge ausleben können, ist das Ziel.
Kostenloses Frühstück, vereinseigene Auftritte, Konzerte, Gewaltprävention, Unterstützung bei Problematiken mit Ämtern, allgemeine Gesprächsangebote und Unterstützung, einen sicheren Raum schaffen und die Kreativität fördern, sowie ein daraus entstandenes Wohnprojekt sind nur wenige der Punkte, die seit über 25 Jahren nicht nur von Menschen aus der Punkszene in der Kopernikus gelebt und gefördert werden.
Gemeinschaftsgefühl erfahren
Gemeinsame Erlebnisse, Erfahrungen und Aktionen stehen im Vordergrund des Projektes. Die Kopernikus bietet die Möglichkeit, kreativ zu werden – und gerade Musik spielt dabei eine große Rolle. Mit eigener Technik und einer Bühne schafft der Lutherkirchentreff Möglichkeiten sich auszuprobieren, zu proben oder gar den ersten Auftritt zu absolvieren. Über die Jahre sind so unzählige Bandprojekte entstanden, die teilweise bis heute Erfolge feiern. Um das Gelingen einer solchen Veranstaltung zu gewährleisten, werden alle mit eingebunden. Aufgaben werden je nach Interesse und Können demokratisch verteilt und so trägt ein jeder Mensch zum Gelingen bei. Dabei können die Aufgaben vielfältig sein, vom Sammeln der Spenden für die Band über das Kochen des Essens, bis hin zu Technik, Theke, Bautrupp oder Logistik. So können die Jugendlichen und junggebliebenen Erwachsenen verschiedene Bereiche kennenlernen, ihre Fähigkeiten verbessern und erfahren ein Gemeinschaftsgefühl, durch eine gemeinsam angegangene Aufgabe. Gerade in Zeiten, in denen immer mehr auf Individualismus und ausbeuterische Konsumwirtschaft gezielt wird, engagiert sich die Kopernikus, um das Gemeinschaftsgefühl zu verstärken, den Zusammenhalt zu fördern und den Menschen ihren Wert aufzuzeigen.
Leider befindet sich der Lutherkirchentreff e.V. im Moment in einer unmöglichen Situation. Der Eigentümer des Gebäudes ist die Deutsche Bahn AG, diese wiederum vermieteten das Gelände an die Stadt Hannover und diese übergab das Gelände dem Verein mit dem Auftrag zur Nutzung als sozialer Treffpunkt und Veranstaltungszentrum für die Kulturrichtung »Punk«. Bis zum Jahre 2018 wurde das Projekt sehr gut angenommen und hat inzwischen einen hohen Stellenwert innerhalb und außerhalb Hannovers. Bis die Stadt Hannover 2018 mitteilte, dass der Mietvertrag ausgelaufen sei und es keine Verlängerung für das Projekt geben könne.
Suche nach einem Ersatzobjekt
Nach der Kündigung des Mietvertrages durch die LHH (Landeshauptstadt Hannover) aus formellen Gründen war ein neuer Mietvertrag unter Berücksichtigung, insbesondere aktueller Brandschutzrichtlinien, in Aussicht gestellt worden. Die Einbeziehung des Eisenbahnbundesamtes durch die Deutsche Bahn ließ den Neu-Vertrag nicht zu und schränkte aus Gründen der Sicherheit die weitere Nutzung des Objekts mit sofortiger Wirkung stark ein. Das Außengelände soll nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen. Ferner wurde festgestellt, dass die DB das Gelände in den nächsten Jahren für die eigene Nutzung benötigt.
Nach langen Verhandlungen mit der Stadt Hannover, die durch die Corona-Pandemie nicht gerade erleichtert wurden, erklärten sich die Stadt und die Deutsche Bahn bereit, zumindest nach einem Ersatzobjekt zu suchen. Diese Suche verlief aber aus Sicht der Mitglieder bis jetzt nicht sehr positiv. Objekte weit ab des Stadtteils oder außerhalb der eigentlichen Bebauung der Stadt eignen sich schlecht für einen Stadteiltreff und sozialen Treffpunkt. Zumindest muss gesagt werden, dass sich die Stadt Hannover, wenn auch nur im Schneckentempo, doch bewegt, wohingegen sich die Deutsche Bahn bis jetzt eher desinteressiert gezeigt hat und die Zusammenarbeit mit dem Lutherkirchentreff e.V. scheut.
Besonders die Einschränkung der Nutzung durch die Deutsche Bahn trifft die Kopernikus schmerzlich. Der einzige Innenraum hat ca. 35 qm und ist schnell überfüllt. Gerade auch in Corona-Zeiten sind der Außenbereich und die mit ihm verbundenen Möglichkeiten essenziell wichtig. In Zeiten von Isolation, Ängsten und der Zunahme psychischer wie sozialer Probleme ist ein offenes und niedrigschwelliges Jugendangebot von großer Bedeutung. Viele Menschen haben in der Kopernikus ihr Zuhause, Gemeinschaft und Zusammenhalt gefunden, sowie eine Wertschätzung ihrer Selbst erfahren und säßen ohne die Möglichkeiten des Vereins buchstäblich auf der Straße.
Mit mehreren Demonstrationen, Online-Petitionen, kreativen Aktionen und dem Besuch der Ratsversammlungen wollen die Mitglieder und Nutzer*innen des Geländes auf die Problematik aufmerksam machen. Politiker*innen und Anwohner*innen der Stadtteile sind mehrheitlich der Auffassung, die Arbeit des Lutherkirchentreffs sei von hoher Wichtigkeit für die Stadtteile und erfülle eine elementare Aufgabe in unserer Gesellschaft. So signalisieren mehrere Stadträt*innen und Bezirksrät*innen sowie der Oberbürgermeister von Hannover die Bereitschaft, für einen Erhalt der Kopi einzustehen und erkennen die Wichtigkeit der Arbeit an. Doch auf die Worte müssen Taten folgen. Wenn sich die Deutsche Bahn und die Stadt Hannover nicht bewegen, werden viele Menschen weiter ihr Vertrauen in den Staat verlieren und letztlich einen der letzten geschützten Räume.
Um die Arbeit ohne Einschränkungen fortsetzen zu können, wird gefordert, dass ein vergleichbares Gelände mit langfristigem Mietvertrag ortsnah zur Verfügung gestellt wird. Eine Verlagerung in die Außenbezirke wird abgelehnt. Ein sozialer Treffpunkt muss für alle Menschen gut und leicht zu erreichen sein. Gefordert wird außerdem eine schriftliche Nutzungsduldung von der Stadt Hannover und der Deutschen Bahn, bis ein Objekt gefunden wurde oder klar geworden ist, ob die Deutsche Bahn das Gelände wirklich benötigt. Es ist untragbar, dass ein freier Träger der Jugendarbeit seit über zwei Jahren keinen Mietvertrag und keine Planungssicherheit hat. Gemeinsam kämpfen die Mitglieder und Nutzer*innen dafür, dass offene Räume ohne jede Verwertungszwänge erhalten bleiben.
Link: www.kopernikus-hannover.de
Titelbild: Das Bild zeigt die Terrasse und den Kopieingang. An diesem Tag fand ein Gespräch mit der Stadträtin und weiteren Politiker*innen statt. Foto: Denise Feß