Zur Situation von Menschen auf der Flucht

Unsere Autor*innen engagierten sich im Winter 2022 bei der NGO »No Name Kitchen« an der serbisch-kroatischen Grenze und haben dort Menschen auf der Flucht unterstützt. Für CONTRASTE berichten sie von ihren Erfahrungen.

Paulina & Flo, Freiburg

Als wir Mitte Januar in Šid (Serbien) ankamen, empfing uns klirrende Kälte mit Temperaturen von bis zu -12°C. Šid ist eine Kleinstadt an der serbisch-kroatischen Grenze, nur zwölf Stunden Autofahrt von Freiburg und dennoch sehr weit von unserem Alltag entfernt. Šid ist nicht gerade ein florierender Ort, es gibt kaum Arbeitsplätze und viele junge Serb*innen verlassen die Stadt oder gleich das Land auf der Suche nach Perspektiven. Es ist aber auch einer der Orte entlang der Balkanroute, wo »People on the Move« (PoM), das heißt Menschen im Transit, hängen bleiben, weil ihnen die Weiterreise verwehrt wird.

Bei unserer Ankunft in Šid lebten hier rund 1.200 PoM auf dem Weg in die EU. Die meisten von ihnen kamen aus Afghanistan, einige aus Pakistan, Syrien, dem Irak oder Indien. Die überwiegende Mehrheit war sehr jung, teilweise noch minderjährig. Eigentlich alle waren schon seit mehreren Monaten oder sogar Jahren unterwegs. Die Reise steckte ihnen sichtlich in den Knochen. Etwa 95 Prozent der PoM waren in den staatlichen Camps untergebracht.

Laut Berichten der Camp-Bewohner*innen sind diese Unterbringungen teilweise sehr überfüllt und unzureichend ausgestattet, hinzu kommen schlechtes Essen, Probleme mit Krätze und ungenügende medizinische Versorgung. Dennoch bieten die Camps für Menschen ohne Geld vor allem im Winter die einzige Option, um zu überleben. Zusätzlich leben auch PoM außerhalb der staatlichen Strukturen in besetzten Häusern (»squats«) oder Waldstücken (»jungles«). Entweder sind sie hier, weil sie nicht in den Camps aufgenommen wurden oder weil es vom Camp aus sehr viel schwieriger ist, den Grenzübertritt zu starten.

Der Versuch über die Grenze zu kommen und es ins Zielland zu schaffen, wird hier »game« (Spiel) genannt, was einerseits zynisch klingt, aber anderseits widerspiegelt, um welch ein Glücksspiel es sich handelt. Dabei unterscheiden die PoM zwischen »truck-game«, bei dem Personen heimlich in LKWs Richtung Westen mitfahren, in der Hoffnung an der Grenze nicht entdeckt zu werden, oder »walking-game«, wo Leute sich durch den Wald schlagen und durch Wärmebildkameras/Hunde entdeckt werden können. Beide Varianten sind sehr gefährlich, zum einen aufgrund der aktuellen Kälte und zum anderen aufgrund der drohenden psychischen und physischen Gewalt.

Hier in Šid hat das unabhängige Graswurzel-Projekt »No Name Kitchen« Strukturen aufgebaut, um Menschen auf der Flucht zu unterstützen. Sie verfolgt in ihrer Arbeit folgenden Ansatz: Alle Menschen haben das Recht, sich frei zu bewegen und eine bessere Zukunft zu suchen. Alle Menschen haben ebenso das Recht, gleich und fair behandelt zu werden. Solange das nicht geschieht, muss auf das Unrecht an den Grenzen und die Situation von Menschen auf der Flucht aufmerksam gemacht werden. Der Fokus der Arbeit liegt darauf, die Menschen außerhalb der staatlichen Camps mit dem Notdürftigsten zu versorgen. Der Zutritt zu den Camps ist der NGO ohnehin nicht gestattet. Was die No Name Kitchen zum Teil von anderen nicht-staatlichen Akteuren auf der Balkanroute unterscheidet, ist, dass sie es als wesentlichen Teil ihrer Arbeit sieht, nicht nur materiell zu unterstützen, sondern auch mit den Menschen auf der Flucht ins Gespräch zu kommen und Zeit miteinander zu verbringen.

Unsere Arbeit bestand darin, in den squats und jungles Kleidung, Lebensmittel und Hygieneartikel zu verteilen und eine medizinische Grundversorgung anzubieten. Wenn die Temperaturen es zuließen, brachten wir auch warmes Wasser und ein Duschzelt mit. Der Bedarf war groß und die materielle Versorgung essentiell. Was für uns zur ebenso wichtigen Aufgabe vor Ort wurde, wirkt banal: Wir tranken zusammen Tee oder saßen am Feuer und tauschten Bilder unserer Familien aus, unterhielten uns – teils mit Händen und Füßen – über Musik, Fußball oder Zukunftswünsche. Und gerade das hinterließ bei uns und – so glauben wir – auch bei den PoM ein Gefühl von Verbundenheit am Ende des Tages.

Neben der humanitären Unterstützung dokumentierten wir nach Möglichkeiten die sogenannten »Push­backs« von der EU zurück nach Serbien. Mit Pushback wird die illegale Rückführung von Asylsuchenden über eine oder mehrere Grenzen bezeichnet. Sie sind illegal, da den Menschen ihr Recht auf einen Asylantrag und dessen Prüfung verwehrt wird. Pushbacks gehörten in Šid zum bitteren Alltag, und Menschen berichteten uns von mehreren Dutzend illegalen Abschiebungen beim Versuch, in die EU zu reisen. Fast alle hatten Erfahrungen mit Gewalt gemacht und zeigten uns Fotos von verprügelten Personen und tiefen Hundebissen. Die Grenzpolizei wendet teilweise massive Gewalt an, nimmt Geld, persönliche Gegenstände sowie Kleidung ab und zerstört Eigentum. Ziel ist es wohl, den erneuten Grenzübertritt so schwer wie möglich zu machen und die PoM zum Aufgeben zu drängen. Ausführend waren zwar die Grenzpolizist*innen, am Ende liegt aus unserer Sicht die Verantwortung jedoch bei der EU.

Was haben wir mitgenommen? Viele sehr persönliche Begegnungen mit Menschen, die uns sehr ähnlich waren und nur aufgrund ihrer Nationalität so schwierige Zukunftsperspektiven haben. Und das Gefühl von Ohnmacht und Unverständnis, dass die Festung Europa für so viel Schmerz und Leid verantwortlich ist. Denn die Grenzen und die Gewalt halten vor Ort wirklich niemanden davon ab, sich in der Hoffnung auf eine bessere Perspektive auf den Weg zu machen, sie bedeuteten nur unnötig viel mehr Schmerz. Die EU, die so viel Wert auf die Menschenrechte legt, zeigt hier ihre dunkle Kehrseite, bricht geltendes Recht, verwendete – oder unterstützt zumindest – massive Gewalt gegen Menschen, statt ihnen zu helfen.

Titelbild: Freiwillige und People on the Move tragen zusammen Lebensmittel, Wasser und Kleidung in ihre selbst gebauten Behausungen an der serbisch-kroatischen Grenze. Foto: Flo W.


Falls ihr mehr wissen wollt zu illegalen Pushbacks der EU, findet ihr hier aktuelle Monatsberichte vom Monitoring Netzwerk, bei dem auch No Name Kitchen mitarbeitet: borderviolence.eu/category/monthly-report

Da die Strukturen der No Name Kitchen unabhängig von staatlicher Finanzierung und politischen Interessen bleiben wollen, sind finanzielle Unterstützungen notwendig und immer gern gesehen. Weitere Infos zur Unterstützung findet ihr auf: nonamekitchen.org

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