Zu Gast: Neun Menschen und ein Hund aus der Ukraine

Wie sehen Notunterkünfte für geflüchtete Menschen aus der Ukraine aus? Das Gäst_innenhaus Jakob, das sich aus dem Widerstand gegen den Ausbau der A49 entwickelt hat, ist bestimmt nicht das gewöhnlichste Beispiel dafür. Nun ist es offizielle Partnerin der Stadt Homberg (Ohm) und dem örtlichen Familienzentrum. Hier im Gebäude und im gegenüberliegenden Dorfgemeinschaftshaus können die Menschen unterkommen. Plötzlich gibt es eine Menge Solidaritätsbekundungen und Hilfsangebote aus der Umgebung für unsere alternative Struktur im eher konservativen Vogelsbergkreis. Das ist eine unvorhergesehene Entwicklung für unser Projekt.

Gäst_innenhaus Jakob, Dannenrod

Seit zwei Wochen leben wir nun in unserem Projekthaus zusammen mit Geflüchteten aus der Ukraine. Es ist vorgesehen, dass sie so lange bleiben, bis das Amt sie in eine leerstehende Privatunterkunft vermittelt. Mittlerweile sind es insgesamt neun Menschen, von ganz jung bis ins mittlere Alter, sowie eine Hündin. Allesamt aus dem Krieg geflohen, der gar nicht so weit weg ist, und für uns seit ihrer Ankunft noch ein Stück näher gerückt und präsenter geworden ist. Durch das Zusammenleben mit Menschen, die nicht aus unserer »Klimabubble« sind, eröffnet sich für uns die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln.

Das Gäst_innenhaus stand schon immer für Geflüchtete offen. Die Thematik ist für uns nicht neu, doch dieses Mal, so scheint es uns, werden die Menschen anders behandelt und von offizieller Seite gewollt. Nicht das erste Mal überlegten wir, Flüchtende aufzunehmen und ihnen unsere Räume zur Verfügung zu stellen. Bisher sind das aber keine Ukrainer*innen gewesen und sie waren nicht von offizieller Seite »gewollt«.

Die Stadt kommt auf uns zu

Als der Anruf von einem uns bekannten Menschen aus dem Ordnungsamt kam, ob wir nicht Lust hätten, Menschen aus der Ukraine aufzunehmen, haben wir nach einer Spontan-Vollversammlung gleich »Ja« dazu gesagt. Für das Projekt gehört es zum Selbstverständnis, solidarisch mit Geflüchteten zu sein, egal woher sie kommen.

Nicht zu vergessen ist, dass es durchaus Problematiken in dem Prozess zur Aufnahme der Menschen gab. Intern zum einen, weil hier viele starke Charaktere aufeinandertreffen und extern zum anderen, da das Aufnehmen von Geflüchteten, sowie eine Kooperation mit der Stadt für uns neu war. In unserer Struktur funktionieren Prozesse nun mal nicht ohne achtsamen Umgang und Kompromisse. Hier sollen alle Meinungen, Zweifel und Kritiken ernst genommen, respektiert und berücksichtigt werden.

Es leben hier viele Menschen, die eine kritische Sichtweise auf Behörden, Ämter und Bürokratie haben und aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen nicht unüberlegt in Verhandlung mit diesen treten. Die Aufnahme der Geflüchteten bedeutet eine Kooperation mit der Stadt und dem Familienzentrum – also offiziellen Institutionen. Natürlich haben wir uns gefragt, wieso nun in diesem Fall von Seiten der Stadt auf uns zugekommen wird, welche impliziten Erwartungen dahinterstehen, aber auch wie wir bestmöglich von dieser Kooperation profitieren können. Die Überlegung, dass die Stadt damit eine Aufgabe von sich wegschiebt, ist auch nicht allzu fern.

Bis jetzt ist noch kein Mensch im Dorfgemeinschaftshaus (DGH) von Dannenrod untergekommen. Solange wir im Gäst_innenhaus noch Zimmer frei haben, haben wir den Freiraum, diese auch den Geflüchteten anzubieten, bevor sie ins duschenlose DGH müssten. Dort herrscht das übliche Flair einer »klassischen Notunterkunft« und die Menschen würden nicht in eigenen, privaten Zimmern unterkommen, sondern in vier »Räume« (nur abgetrennt durch in Plastik eingewickelte Bauzäune) in denen sich Feldbetten, Tische und Stühle befinden. Einige Dorfbewohner*innen aus Dannenrod haben die Räume durch Dekoration, Bilder und Vasen freundlicher gestaltet, aber als Notunterkunft ist ein warmes und belebtes Haus mit »echten« Zimmern, mit bequemen Betten und eigenem Bad wohl viel schöner.

Damit möchte ich nicht die Menschen kritisieren, die das DGH als Notunterkunft eingerichtet haben, sondern das System, das Geflüchtete Menschen erst mal in große Hallen mit einer Menge unbequemer Feldbetten steckt und sich dann damit rühmt, sich großartig um Geflüchtete zu kümmern, während so viele Häuser leer stehen. In diesen Hallen leben die Menschen meist länger als geplant und sind weiterhin großem Stress ausgesetzt. Und das wird dann als »angemessen« dargestellt.

Chaotische Vorbereitungszeit

Der Vorbereitungsprozess, bis die ersten Geflüchteten bei uns angekommen sind, war hier von vielen Verwirrungen, Unsicherheiten, Stress und Reibungen geprägt. Nicht zuletzt, weil genau zu dem Zeitpunkt immer mehr Menschen an Corona erkrankten und sich ein Großteil der Menschen in Quarantäne befanden – pures Chaos und Stress. Denn neben den Planungen und Vorbereitungen der Ankunft mussten noch die »Quarantänis« versorgt werden. Ein Großteil der Arbeit blieb also an den wenigen Gesunden hängen. Auf einmal wurde der Krieg präsenter und hat viele von uns emotional hart getroffen. Dazu noch die allgegenwärtige Klimakrise: Es war Mitte März und wir konnten uns alle bei 20°C draußen sonnen, während wir mit der neuen Situation klarkommen mussten.

Was tun, um das Projekthaus für die Ankunft von Menschen vorzubereiten, die weder deutsch noch englisch sprechen und mit hoher Wahrscheinlichkeit (noch) keinen näheren Bezug zu Aktivismus und gesellschaftlicher Transformation haben?

Als erstes wurde alles ins Russische und Ukrainische übersetzt, alle Schilder, Beschriftungen, Erklärungen, »Welcome-Sheets« etc. Und davon gibt es einige hier im Haus. Menschen, die gerade für ein Planungstreffen ein Wochenende hier verbrachten, haben ein Willkommens-Banner mit mehrsprachigem Schriftzug gestaltet.

Das ganze Haus wurde geputzt, es wurden Lebensmittel bestellt, die Draußenküche vorbereitet und Zimmer eingerichtet. Die hier Wohnenden haben gerne ihren Platz den Ankommenden zur Verfügung gestellt, sind draußen in Wohnwägen gezogen oder enger zusammengerückt.

Die Menschen kommen an

Bis dato sind die geflüchteten Menschen dienstagsabends angekommen, beim ersten Mal kamen sechs, beim zweiten Mal drei Personen an. Mit Hilfe von einer Übersetzerin wurden sie empfangen und herumgeführt.

Mit ihrer Ankunft hat sich die Aufregung, wer da wohl ankommen wird, gelegt und wir lernen uns gegenseitig schrittweise kennen. Vielen ist es ein großes Anliegen, die Menschen zu unterstützen und in Kommunikation zu treten. Dass bei uns ein russisch-sprechender Mensch lebt, ist von großem Vorteil – nur lohnarbeitet mensch und hat nicht flexibel Zeit. So sind wir immer wieder damit beschäftigt, Übersetzer*innen zu organisieren, zum Beispiel für amtliche oder Arztbesuche. Übersetzungs-Webseiten helfen ebenso bei der Kommunikation. Die Kommunikation mittels einer Maschine fühlt sich jedoch sehr unpersönlich an und so entsteht nur sehr schwer eine persönliche Ebene.

An Dingen der Grundausstattung und Grundversorgung braucht es nicht viel mehr, als was wir ohnehin vor Ort haben. Nach eigenen Aussagen sind die Menschen froh, endlich anzukommen und zur Ruhe zu kommen. Wir fahren regelmäßig gemeinsam einkaufen, damit sie sich Lebensmittel kaufen können, die nicht vor Ort sind. Das ist für sie auch eine Möglichkeit, rauszukommen und aktiv zu sein.

Unsere separate nicht-vegane Küche steht nun fast ausschließlich für die Menschen aus der Ukraine zur Verfügung, die gerne Fleisch kochen und dort einen eigenen, privateren Treffpunkt haben. Gleichzeitig freuen wir uns, wenn die vegane Pizza probiert wird und der vegane Kuchen ihnen auch gut schmeckt. Für uns ist das ein schöner Annäherungsprozess.

Schön ist ebenso die Zusammenarbeit mit den weiteren Bewohner*innen Dannenrods, der Dorfvorsteherin und den Übersetzerinnen aus der Region. Sie helfen, wo sie können, bringen Decken vorbei, kümmern sich um Medikamente, helfen beim Einkaufen und vieles mehr.

Bei uns lebt jetzt schon seit einem Monat die kleine französische Bulldogge Lotte. Sie ist zusammen mit ihren Besitzer*innen aus der Ukraine geflüchtet. Jedoch darf sie nicht mit in die Notunterkunft bei Leipzig kommen. Deshalb bleibt sie hier, bis sie wieder zu ihren Bezugsmenschen zurück kann. Wenn über Geflüchtete geredet wird, werden dabei in der Regel die Haustiere, die ja ebenso Teil der Familie und schutzbedürftig sind, vergessen.

Bürokratie und die Hindernisse bei der Integration

Geflüchtete aus der Ukraine sollen schnellstmöglich in Deutschland integriert werden, arbeiten gehen und die Schule besuchen. Diese Bestrebungen um die Integration stehen konträr zu denen um Geflüchtete aus anderen Kriegsgebieten. Wir haben erlebt, dass die jetzige Situation in Relation zu der Geflüchteten-Situation 2015 gesetzt wird, aber doch oft mit zweierlei Maß gemessen wird. Denn den Menschen wird aufgrund ihrer europäischen Herkunftsorte Eigenschaften und Fähigkeiten zugesprochen. Ukrainer*innen seien »uns« – den Deutschen – »kulturnäher« und damit seien sie einfacher integrierbar, haben wir zu hören bekommen. Wir wollen das klar benennen: Das ist Rassismus.

Wir bemerken auch bei den jetzt ankommenden Menschen aus der Ukraine, dass ihre Integration, ihre finanzielle Grundversorgung und die Möglichkeit, dass die Kinder zur Schule gehen können, hier in Homberg (Ohm) versagt. Sie können nicht so einfach den zugewiesenen Landkreis verlassen, um woanders hinzugehen, wo vielleicht mehr Menschen russisch oder ukrainisch sprechen, da ihnen dann die Hilfsgelder verweigert werden.

Viele Menschen hier im Vogelsberg würden gerne helfen. Sie stellen ihre leeren Wohnungen und Häuser bereit für die Geflüchteten in den Notunterkünften, damit diese endlich an einem Ort ankommen können und der nervenzehrende Weg von Unterkunft zu Unterkunft ein Ende hat. Die Problematik liegt also vor allem an bürokratischen und verwaltungsrechtlichen Hürden. Was die Fortschritte behindert, ist das System.

Wir fragen uns, wann endlich entweder diese unnötigen Hürden abgebaut oder sie mal kurz bei Seite gelassen werden, wenn es um akute und aktive Hilfeleistung von Menschen in Not geht.


Titelbild: Ein Willkommens-Banner mit mehrsprachigem Schriftzug begrüßt die Geflüchteten, die im Gäst_innenhaus Dannenrod unterkommen. Foto: Gäst_innenhaus

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