Land und Höfe als Commons

Ende Oktober haben zehn Menschen aus dem Netzwerk Solidarische Landwirtschaft und dem Mietshäuser Syndikat den neuen Verein »Ackersyndikat« gegründet. Ihr Ziel ist es, einen dezentralen und solidarischen Verbund aufzubauen, der Höfe und landwirtschaftliche Flächen als unverkäufliches kollektives Eigentum sichert. Wie das genau funktioniert und warum es dafür einen Verein braucht, erklärt Jost Burhop im Interview mit CONTRASTE-Redakteurin Sophie Kempe.

CONTRASTE: Die Idee für das Ackersyndikat hat ihren Ursprung in der erfolgreichen Geschichte des Mietshäuser Syndikats, kurz MHS. Das MHS wird euch auch als Mitglied und Kapitalgeber unterstützen. Wie lässt sich diese Struktur auf die Landwirtschaft übertragen?

Jost Burhop: Im Prinzip ist die Struktur des MHS eine rechtliche Struktur für einen Solidarverbund von selbstorganisierten Hausprojekten, die ihre Immobilien in Gemeineigentum überführen wollen. Dieser Kerngedanke ist nicht weit entfernt von der Entprivatisierung landwirtschaftlicher Flächen. Es gibt auch bereits Projekte im MHS, die landwirtschaftliche Flächen gekauft haben, allerdings hat dies nur in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen wie der Kulturlandgenossenschaft funktioniert. Daher haben wir mit dem Ackersyndikat eine Ergänzung zum MHS gegründet, um die Grundideen und Strukturen des MHS auch für landwirtschaftliche Fläche zu nutzen. An sich ist die Übertragung des Konzeptes nicht sonderlich schwierig. Wir kopieren eigentlich die Strukturen des MHS und können sehr viel Wissen und weitere Ressourcen des MHS verwenden, was uns die Arbeit an vielen Stellen erleichtert.

Strukturgrafik des Ackersyndikat e.V.

Komplett übernehmen können wir diese aber nicht, denn das MHS ist auf Mietshäuser zugeschnitten und die Rahmenbedingungen der Landwirtschaft sind andere. Mit dem Grundstückverkehrsgesetz gibt es beispielsweise besondere Bedingungen, welche die Landkäuferin erfüllen muss, um landwirtschaftliche Flächen kaufen zu können. Ein anderes eher vorteilhaftes Beispiel ist, dass mit sozial-ökologischer Landwirtschaft einige anerkannte Gründe für Gemeinnützigkeit vorliegen, weshalb der Ackersyndikat e.V. gemeinnützig sein wird. Beim MHS geht das leider nicht, da günstiger Mietraum absurderweise nicht (mehr) als Grund für anerkannte Gemeinnützigkeit gilt.

Spielt der Wohnraum auf den Höfen dabei auch eine Rolle?

Auf jeden Fall. Das Ziel des Ackersyndikats ist es ja, selbstorganisierte Höfe zu ermöglichen, die sich dauerhaft selbst tragen. Das ist theoretisch auch ohne Wohnraum möglich, wir gehen aber davon aus, dass es für die Lebendigkeit der Höfe notwendig ist, auch dauerhaft entprivatisierten Wohnraum für die Landwirt*innen zur Verfügung zu stellen. Das kann über die gleiche Struktur laufen wie bei den landwirtschaftlichen Flächen: Die Hof-GmbH kann all diese Immobilien kaufen. Darüber wird auch unnötige Bürokratie vermieden.

Welche Probleme gibt es in der Landwirtschaft, für die das Ackersyndikat eine Lösung anbieten könnte?

Heutzutage werden fruchtbare Böden oftmals als Kapitalanlage gesehen. Sie werden versiegelt oder für industrielle Landwirtschaft verwendet und damit zerstört. Durch die Spekulation sind landwirtschaftliche Flächen mittlerweile so teuer, dass der Kauf von Flächen mit umwelt- und sozialverträglicher landwirtschaftlicher Tätigkeit kaum noch refinanziert werden kann. Hier setzen wir an und schaffen als Solidarverbund eine Struktur, über die landwirtschaftliche Flächen dem Kapitalmarkt entzogen werden und dauerhaft entprivatisiert erhalten bleiben können. Wir sehen uns damit auch als Teil der sozial-ökologischen Transformation »von unten« und schaffen eine dezentrale Organisationsstruktur für solidarische, selbstorganisierte Kollektive. Auch dem Höfesterben treten wir damit entgegen und unterstützen Landwirt*innen bei der Hofübergabe.

Was ist der besondere Anreiz für Solawis, sich dem Ackersyndikat anzuschließen?

Meiner Meinung nach ist das Ackersyndikat die konsequente Weiterführung der Grundideen solidarischer Landwirtschaft. Diese werden hier nicht nur auf den landwirtschaftlichen Betrieb, sondern auch auf die Organisation des Flächeneigentums angewendet. Die Kombination von Solawi und Ackersyndikat führt zu Höfen, auf denen Privateigentum quasi keine Rolle mehr spielt, Entscheidungen gemeinsam getroffen werden und Solidarität gelebt wird. Hierarchien, die in Eigentumsverhältnissen festgeschrieben sind, werden aufgebrochen, das Hofeigentum wird unter Einbezug der Solawi-Mitglieder verwaltet. Darüber werden zudem Einzelpersonen entlastet und Verantwortung demokratisch und breit geteilt. Die Solawi wird über einzelne Landwirt*innen hinaus gesichert und der Solidarverbund hilft den einzelnen Projekten zum Beispiel bei der Hofübergabe, aber auch mit finanziellen Hilfen und Wissensweitergabe. Und natürlich sichert er auch die Unverkäuflichkeit der landwirtschaftlichen Flächen der Solawi.

In welchen Entscheidungen und Bereichen bleiben die Höfe autonom?

Eigentlich in allen, mit nur ganz wenigen Ausnahmen. Die Projektautonomie ist einer der Grundpfeiler des Ackersyndikats, genauso wie es auch beim MHS der Fall ist. Zustimmung von Seiten des Ackersyndikats wird nur für den Verkauf von Flächen benötigt – diese Zustimmung wird vom Ackersyndikat allerdings nicht gegeben, wodurch die Unverkäuflichkeit der Flächen garantiert ist. Zudem muss bei der Änderung der Bewirtschaftungsweise die Zustimmung des Ackersyndikats angefragt werden. So wird garantiert, dass die Flächen auch dauerhaft sozial-ökologisch bewirtschaftet werden und nicht einfach für konventionelle Landwirtschaft verwendet werden. Zudem können Höfe dafür sorgen, dass spezielle Bewirtschaftungsweisen wie beispielsweise Agroforestry oder biozyklisch-vegane Landwirtschaft langfristig festgeschrieben werden. Die Autonomie der Höfe wird also nur soweit eingeschränkt, wie es für den langfristigen Erhalt der Ziele der Hofnutzer*innen notwendig ist. Ansonsten ist eigentlich alles der Selbstverwaltung überlassen. Vom alltäglichen landwirtschaftlichen Betrieb über Entscheidungen zu Flächenzukäufen bis hin zur Buchhaltung. Das Ackersyndikat übernimmt hier nur eine aktive Rolle, wenn es vom Hofprojekt darum gebeten wird.

Inwiefern unterscheidet sich das Ackersyndikat von Genossenschaften wie zum Beispiel Kulturland oder BioBoden?

Die genannten Genossenschaften sind sozusagen »gute« Investor*innengesellschaften. Bei ihnen ist das Kapital zentral gebündelt in der Genossenschaft, in der auch alle Kapitalgeber*innen mit Stimmrecht beteiligt sind. Das ist für uns keine Selbstverwaltung. Das Sagen haben dort letztlich größtenteils Menschen, die nicht auf den Höfen leben. Zudem leisten sie keine Sicherung des Landes als unverkäufliche Commons. Denn das Eigentum an den Höfen liegt entweder komplett bei der Genossenschaft oder aber bei Kommanditgesellschaften, deren ganzes Kapital der Genossenschaft gehört. Das ist strukturell nicht anders als bei den »bösen« Investor*innen. Die Kerninnovation des Mietshäuser Syndikats ist die Schaffung einer lokalen Immobilienbesitz-Körperschaft, in der die lokalen Nutzer*innen weitgehend autonom sind und nur in der Frage der Reprivatisierung beschränkt sind. So eine Struktur gibt es für die Landwirtschaft nur beim Ackersyndikat, und damit auch das höchste mögliche Maß an Sicherung vor Verkäufen. Bei der Kulturlandgenossenschaft schreibt die Satzung hingegen noch nicht mal eine Zustimmung der Mitgliederversammlung für einen Verkauf von Immobilien oder Geschäftsanteilen vor. Zudem erzeugen beide Genossenschaften einiges an Organisationskosten, die dazu führen, dass die von den Projekten selbst eingeworbene Umfeldfinanzierung dem Hof nicht voll zugutekommt. Wir setzen dagegen auf ein Konzept von ehrenamtlicher Hilfe zur Selbstermächtigung, wie auch beim MHS üblich. Damit ist das Ackersyndikat auch finanziell attraktiv für Höfe, deren Umfeld in der Lage ist, Selbstverwaltungskompetenz aufzubauen. Wie bei der Ökologie ist aber auch bei unseren Organisationsstrukturen eine Vielfalt schön und manchmal überlebenswichtig.

Die Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft ist tendenziell ja schon sehr hoch. Haltet ihr es für realistisch, dass sich Landwirt*innen noch zusätzlich in einer solchen Struktur engagieren?

Naja, einerseits beinhaltet Landwirtschaft ja heute bereits einen guten Anteil an Bürokratie. Und das Rumschlagen mit der profitorientierten Vermieter*in kann auch sehr viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen. Nichtsdestotrotz bedeutet die Selbst­organisation eines Hofprojektes natürlich eine Menge Arbeit, weshalb das sicherlich nicht unbedingt was für ein oder zwei Menschen ist. Sobald aber ein solidarisches Kollektiv hinter dem Projekt steht, sich die Aufgaben gut aufteilt und der Überlastung von Einzelpersonen entgegenwirkt, halten wir das für durchaus machbar. Menschen, die zum Beispiel in MHS-Projekten aktiv sind, sind darüber hinaus ja auch nicht untätig und schaffen es trotzdem, die Häuser gemeinsam zu verwalten. Außerdem ist die Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft ja meistens saisonal unterschiedlich. So können zum Beispiel im ruhigeren Winter der GmbH-Jahresabschluss und Mitgliederversammlungen erledigt werden.

Was sind eure nächsten Schritte? Welche Fragen müssen noch beantwortet werden?

Als nächstes werden wir die Satzungsvorlagen für Hofverein und Hof-GmbH erstellen und ein Leitbild sowie Kriterien für die Aufnahme von Projekten erarbeiten. Im Sommer soll dann die erste Beteiligung an einem Hofprojekt stattfinden. Das Projekt ist auch bereits in die Ausarbeitung der Ackersyndikatsstrukturen involviert. Ein paar Fragen sind aber noch offen, zum Beispiel wie genau ein Solidartransfer von Altprojekten zu Neuprojekten stattfinden kann.

Wenn Menschen bei euch mitwirken oder euch unterstützen wollen – was können sie tun?

Wir freuen uns sehr über Unterstützung und können davon allerhand gebrauchen! Einerseits, indem sich Menschen aktiv in den Solidarverbund einbringen, zum Beispiel in der Beratung von Projekten, in der Ausarbeitung weiterer Details der rechtlichen Struktur oder in der Öffentlichkeitsarbeit. Auch finanzielle Unterstützung können wir sehr gebrauchen. Sowohl durch regelmäßige oder einmalige Spenden als auch durch Direktkredite. Und auch Anfragen von Projekten und Initiativen, die Teil des Ackersyndikats werden wollen, sind bei uns immer gern gesehen.

Link: https://ackersyndikat.org/

Mail: kontakt@ackersyndikat.org

Jost Burhop ist seit Juli 2020 im Ackersyndikat aktiv. In dieser Zeit hat er vor allem an der Satzung und der Webseite gebastelt, Kontakt mit interessierten Hofprojekten gepflegt und externe Anfragen beantwortet.

Titelbild: Gründungstreffen unterm Apfelbaum. Foto: Ackersyndikat e.V.

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