Zwischen Stigmatisierung und Selbstermächtigung

Menschliche Sexualität ist ein gesellschaftlich stark umkämpftes Terrain. Die eine Form gilt als »normal« und »natürlich«, eine andere als »abartig«, »pervers« oder »krank«. Von der Utopie des französischen Frühsozialisten Charles Fourier, der in seinem Werk »Le Nouveau Monde amoureux« über die freieLiebeswelt, ein friedliches und harmonisches Nebeneinander unterschiedlicher Formen der Sexualität postulierte, sind wir weit entfernt.

Andrea Grapatin, Hanna Knitz, Johanna Plonka & Maurice Schuhmann, Berlin

Es war damals schon für seine eigenen Schüler*innen zu radikal, so dass erst 150 Jahre nach dem Erscheinen des Werkes im Jahr 1967 die erste (!) ungekürzte Fassung dessen erscheinen konnte. Eine seiner Inspirationsquellen war dabei ausgerechnet das Werk des Marquis de Sade, dessen 120 Tage von Sodom einer der ersten und umfangreichsten Versuche darstellt, alle Facetten menschlicher Sexualität in einem Werk enzyklopädisch abzubilden. Knapp 100 Jahre vor der Psychopathia Sexualis von Krafft-Ebing, die den Grundstein für die klinische Sexualwissenschaft legte. Dabei ist die Sicht der Gesellschaft auf die unterschiedlichen Formen der Sexualität zeitbedingt. Dies zeigt sich an der kurzen LGBTI-Geschichte, wie sie von Andrea Grapatin in einem Beitrag nachgezeichnet wird. Die (heterosexuelle) BDSM-Subkultur schaute lange Zeit neidisch auf jene, die es scheinbar schon geschafft haben, gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten, während man selbst noch mit dem schweren Erbe der Namenspaten zu kämpfen hat. Während Homosexualität als Krankheit im aktuellen ICD10, einem Verzeichnis von Krankheiten, nicht mehr auftaucht, wird darin sowohl BDSM als auch Fetischismus weiterhin als Krankheit gelistet. Was für die einen Stonewall darstellt, war für jene das Erscheinen und der Erfolg von Fifty Shades of Gray.

Camillo Rack beleuchtet diesen Aspekt vor dem Hintergrund, dass der Begriff »Masochismus« dieses Jahr 130 Jahre alt wird. Sadomasochist*innen haben nach wie vor das zweifelhafte Glück, dass ihre Sexualität nach Autoren erotischer Literatur benannt ist. Ebenfalls von Stigmatisierung sind Menschen betroffen, die als Sexworker*innen arbeiten. Hanna Knitz hat als eine Repräsentant*in Emmy Fem interviewt, die nicht nur selber in der Branche arbeitet, sondern auch Empowerment-Workshops für Kolleg*innen anbietet.

Dabei sollte man aber auch gewisse Strukturen in der Branche nicht aus dem Auge lassen und sich unbedingt mit den »Privilegierten« innerhalb dieser Struktur solidarisieren, wie es in großen Teilen der Linken derzeit getan wird, während Aspekte wie Zwangsprostitution völlig aus dem Diskurs verschwunden zu sein scheinen. Im (linken) Diskurs über das Thema werden diese weitestgehend ausgeblendet. Ein kritische Beleuchtung dessen nimmt der Beitrag von Johanna Plonka vor. Mit der Frage nach dem Leid von nicht-menschlichen Tieren vor dem Hintergrund des lustvollen Auslebens von menschlicher Sexualität beschäftigt sich ein Beitrag von Maurice Schuhmann über Möglichkeiten und Grenzen veganer Sextoys. Die Nutzung von Sexspielzeug, der lange Zeit ein verruchter Ruf anhaftete, ist mittlerweile fast im Mainstream angekommen. Neben den journalistischen Beiträgen gibt es aber auch einen poetischen Beitrag von Nida Raya S. In diesem Sinne hoffe wir auf eine informative und zum Diskutieren anregende Schwerpunktausgabe.


Weitere Beiträge im Schwerpunkt

Seite 9
Eine Geschichte der LGBTI-Bewegung

Seite 10
Interview mit Emy Fem
Gedicht »rosarote rosen«

Seite 11
Debatte um Prostitution: Die Linke vergisst ihre Ziele

Seite 12
Benennung von SM-Sexualität
Veganes Sex-Spielzeug


Titelbild: gaelx / flickr.com (CC)

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