Kollektive-Vernetzung

In den letzten zehn Jahren haben sich etliche Kollektive neu gegründet. Im April fand nun ein drittes bundesweites Vernetzungstreffen statt. Dies erinnert an die Bewegung der selbstverwalteten Betriebe in den 1980er Jahren, woraus übrigens auch 1984 unsere Zeitung CONTRASTE entstanden ist.

Heinz Weinhausen, Redaktion Köln

Viele der Betriebe konnten damals im Laufe der Jahre der Marktkonkurrenz nicht standhalten oder mutierten zu einer üblichen privat-hierarchischen Effizienzfirma. Insofern ist heute auch eine Standortbestimmung vonnöten. Die Bewegung der selbstverwalteten Betriebe entstand noch im Schatten der weitgehend gescheiterten 68er-Revolte. Wenigstens sollten dann doch lokale Freiräume geschaffen werden, so der Impuls der damaligen Bewegung für Selbstverwaltung. Es war ein Aufbäumen im kommenden Neoliberalismus.

Heute befinden wir uns in der Niedergangsphase des Kapitalismus, der sich ökonomisch nicht mehr von der Weltkrise 2008 erholt hat und nur noch mit gigantischer Gelddruckerei die Löcher des neoliberalen Hemdes zu stopfen weiß. Inflation lässt grü­­ßen. Zum anderen verbreitet sich mit dem Fortschreiten der Klimaaufheizung die Einsicht, dass der Wachstumsgesellschaft Einhalt geboten werden muss.

So gründen sich vermehrt Kollektive, um einerseits hier und heute anders zu wirtschaften, andererseits um Kurs zu nehmen auf eine Gesellschaft jenseits der abstrakten Plusmacherei. Innerhalb der Kollektive wird bereits hier und heute auf gleicher Augenhöhe gearbeitet. Dies ist nicht hoch genug zu bewerten. So würdigte schon Karl Marx die damalige aus der Not entstandene große Kooperativbewegung des 19. Jahrhunderts: »Wir anerkennen die Kooperativbewegung als eine der Kräfte, welche die auf Klassengegensätzen begründete zeitgenössische Gesellschaft verändern. Es ist ihr großes Verdienst, daß sie praktisch demonstriert, wie das jetzige pauperisierende (armmachende) und despotische System der Unterordnung der Arbeit unter das Kapital durch ein republikanisches und gerechtes System der Assoziation freier und gleicher Erzeuger (Produzent*innen) ersetzt werden kann.«

Zugleich macht die Kollektivbewegung dem Neoliberalismus das Monopol auf Ressourcen wie Produktionsmittel, Land und Gebäude prinzipiell streitig. Kapitalismus entstand historisch aus der groß angelegten Enteignung von Ressourcen der Handwerker*innen und Bäuer*innen, die sich dann massenweise in den Fabriken schlimmst ausbeuten lassen mussten. Nun steht der kleine David gegen den riesigen Goliath auf und will nicht mehr länger Lohnarbeiter sein, will vielmehr die Produktionsmittel für die Kollektive wieder aneignen und dies auch noch perspektivisch für die ganze Gesellschaft. Die Wiederaneignung von Ressourcen steht heute auf der historischen Tagesordnung mit dem Ziel, nicht nur ein bisschen, sondern ganz anders zu arbeiten und zu leben in einer freien assoziierten Gesellschaft jenseits von Markt und Staat. Marx würde heute vielleicht die Parole ausrufen: Assoziierte aller Länder, vereinigt euch.

Auch wenn der Wunsch auf Gesellschaftsänderung bei den Vernetzungstreffen stets mitschwang, berichtet der Schwerpunkt neben der Vorstellung von teilnehmenden Projekte vor allem von den Herausforderungen des Alltags. Von der rauen See, in der sich Kollektive bewähren müssen, wie von ersten Bestrebungen, sich verbindlich zusammenzutun und stärker zu werden. Auch hoffend, mehr zu werden. Das würde den kleinen David freuen.

Titelbild: Mehr als 80 Kollektivistas aus 40 Kollektivbetrieben trafen sich im April in Lübeck, um sich miteinander auszutauschen und verbindlichere Strukturen zu schaffen. Foto: Ianna Gundert


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