Ziviler Ungehorsam

Umwelt- und Klimagerechtigkeitsbewegungen sowie Antimilitarist*innen weltweit nutzen zunehmend radikalere Mittel des Widerstands. Mit bewährten und neuen Formen Zivilen Ungehorsams versuchen sie, aufzurütteln.

ARIANE DETTLOFF, REDAKTION KÖLN

Während die Vereinten Nationen in Ägypten ohne nennenswertes Ergebnis über mehr Klimaschutz debattierten, droht Klima-Aktivist*innen im Dorf Lützerath im Rheinischen Braunkohle­revier, das den RWE-Baggern weichen soll, weiterhin die Räumung. Damit, so die Besetzer*innen, gerät die im Pariser Abkommen der Vereinten Nationen beschlossene 1,5-Grad-Grenze für die Erwärmung des Planeten in Gefahr. Darum stellen sich dort Menschen jeden Alters und unterschiedlichster Herkunft dem weiteren Braunkohle-Abbau in den Weg (siehe auch Beitrag unten).

Mit Straßenblockaden in vielen Städten protestieren Aktivist*innen der Bewegungen »Extinction Rebellion« und »Letzte Generation« gegen die fortgesetzte Ignoranz der Entscheidungsträger*innen gegenüber der Gefahr, dass die Menschheit das Leben auf der Erde vernichtet. »There is no Planet B« steht auf ihren Plakaten und Bannern. »Fridays for Future« verlangt ein 100 Milliarden schweres Sondervermögen für‘s Klima, eine sofortige und gerechte Energiewende, den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs und Null-Euro-Tickets für dessen Nutzung. Unterstützt werden die Aktivist*innen auch von bedeutenden Teilen der Wissenschaft. So belegen Studien unter anderem vom Wuppertal-Institut, vom DIW und von Prognos die Dringlichkeit und Machbarkeit drastischer Klimaschutz-Maßnahmen ohne weitere Verzögerung. »Es bewegt mich sehr, dass es in Indonesien ganz normal ist, dass jährlich Millionen Menschen umgesiedelt werden – wegen der Klimakrise, die von Ländern des Globalen Nordens verschuldet ist«, erklärte der Geowissenschaftler Basti von »Extinction Rebellion« vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten. Sein Plädoyer auf Freispruch nach seiner Ankettung ans Verkehrsministerium wurde abgelehnt.

Wie in den meisten vergleichbaren Fällen sah das Gericht keinen »rechtfertigenden Notstand« (siehe Seite 3 und Seite 8). Doch hin und wieder gibt es bereits Gerichtsurteile, die den Zivilen Ungehorsam zugunsten übergeordneter Werte als erlaubtes Mittel in einer Notsituation anerkennen. So erfuhren es drei Angeklagte der »Lebenslaute« in Rheydt/Mönchengladbach, die ihren »Hausfriedensbruch« mit dem lebensgefährdenden Klimanotstand rechtfertigten. Der Richter argumentierte am 14. März 2022: Wer so tief wie RWE ins Eigentum anderer eingreife, müsse im Zuge einer Grundrechtsabwägung den zeitlich begrenzten Hausfriedensbruch der Aktion von »Lebenslaute« hinnehmen. Allerdings kann dieses Urteil in der Folgeinstanz noch aufgehoben werden. Andererseits verschärfte die bayrische Polizei ihr Vorgehen gegen Aktivist*innen der »Letzten Generation« gravierend, indem sie zwölf Menschen, die in München den Verkehr blockiert hatten, im November ohne Prozess in »Präventivhaft« nahm. Diese kann laut dem bayrischen Polizeiaufgabengesetz bis zu zwei Monate dauern. Das ist allerdings eher mild verglichen mit der Repression gegen Frauen im Iran, die zivil ungehorsam ihr Kopftuch »nicht vorschriftsmäßig« tragen. Ziviler Ungehorsam führt unter dem Mullah-Regime in Teheran sogar oft zum Tod. Ein Artikel dazu, der für diesen Schwerpunkt vorgesehen war, hat uns leider nicht rechtzeitig erreicht. Wir werden ihn in der Januar-Ausgabe veröffentlichen.


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