vio.me: Der Einheitslohn soll sich verdoppeln

Vio.me ist der wohl bekannteste Betrieb Griechenlands, der von Mitarbeiter*innen selbständig geführt wird. Seit sieben Jahren ist der Betrieb von der Belegschaft besetzt, seit sechs Jahren produzieren sie Seife, nach und nach kamen weitere Reinigungsmittel für den Haushalt hinzu. Seit 2016 sind sie auch rechtlich eine soziale Kooperative. In Deutschland können die Produkte online bestellt werden.

Anja Lenkeit und David Klässig, Köln

Vor zwei Jahren haben wir vio.me im Osten der zweitgrößten Stadt Griechenlands, Thessaloniki, besucht. Die ehemalige Muttergesellschaft FILKERAM, welche zwischen 2000 und 2006 hohe Gewinne erzielte, meldete Insolvenz an und nach Lohnkürzungen, stellte sie die Lohnauszahlungen ganz ein, bevor sie die Schließung des Werks 2011 ankündigte, ohne den Mitarbeitenden zu kündigen, sodass diese keinen Anspruch auf das einjährige Arbeitslosengeld hatten. Der Geschäftsführer verließ das sinkende Schiff und 25 Mitarbeiter*innen entschieden sich, das Gelände in drei Schichten zu bewachen, um es vor Plünderungen zu schützen und instand zu halten.

Derweil wurden andere Mitarbeiter*innen in Tochterfirmen übernommen oder ihnen wurde versprochen, dass sie ihren ausstehenden Lohn bei einem Verkauf des Geländes erhielten. So erreichte der Besitzer eine interne Spaltung. Für die verbliebenen Mitarbeiter*innen war es eine schwierige Abwägung, es war eine harte, lebensverändernde Entscheidung, eine Unternehmung dieser Größe selbständig zu führen. Sie produzieren nun auf einem Siebtel des zur Zwangsversteigerung freigegeben Geländes. Für die meisten von ihnen gilt, dass die kollektive Arbeit sie politisiert hat und nicht andersherum. Dies ist ein bis heute andauernder Prozess, der wohl nie endet. Die Krisensituation hat sie bestärkt, ein Beispiel für anderes Wirtschaften zu sein. Unterstützung erhält die Belegschaft von einem Solidaritätskomitee.

Vortragsreise durch Deutschland

Makis, Mitarbeiter von vio.me, ist gerade in Deutschland unterwegs und berichtet über die aktuelle Entwicklung. Zurzeit hat vio.me 25 Mitglieder und 15 Arbeiter*innen. Sie alle erhalten den gleichen Lohn und der Betrieb steht unter der Verwaltung der Arbeiter*innen. Jeden Morgen findet eine Versammlung statt, auf der die Aufgaben des Tages, aber auch private Probleme, besprochen werden. 85 Prozent der Entscheidungen werden hier im Konsens getroffen. Manche Entscheidungen können allerdings nur durch Mehrheitsentscheidungen verabschiedet werden, dies hat schon zum Weggang von Mitgliedern geführt. Die Erfahrungen aus der gewerkschaftlichen Arbeit kamen den basisdemokratischen Prozessen zugute. Trotzdem war es zu Beginn schwierig. Es gibt keine Leitung, die Arbeitsaufträge delegiert, sondern alle Abläufe sind transparent und werden eigenverantwortlich betreut.

Zurzeit verdienen die Mitarbeiter*innen alle etwas mehr als die staatliche Sozialhilfe bezahlen würde, also rund 360 Euro, damit sind sie aber von den staatlichen Sozialversicherungen ausgeschlossen. Trotzdem ist es zu wenig, um eine Familie zu ernähren. Daher haben sie auf ihrer Vollversammlung entschieden, dass sich der Lohn perspektivisch verdoppeln soll. Da der Lohn nicht aus der Solidaritätskasse, sondern den Umsätzen bezahlt wird, arbeiten sie intensiv an der Erweiterung ihres Verkaufsnetzwerkes. Ihren Prinzipien bleiben sie dabei treu: Sie wollen keine Supermarktketten beliefern und ihre Abnehmer*innen persönlich kennenlernen und eine Beziehung aufbauen. In Griechenland versuchen sie weiter das Vertrauen ihnen gegenüber im Einzelhandel aufzubauen und in vielen kleinen Bioläden werden ihre Produkte schon angeboten. Sie erwarten keine Unterstützung vom Staat – auch wenn sie mit einer Kommune im Gespräch sind und ein Krankenhaus ihre Produkte kauft. Die staatlichen Einrichtungen sind aufgrund der finanziellen Einsparungen keine zuverlässigen Kunden und vio.me tritt erst mal in Vorkasse. Trotzdem verkündet Makis augenzwinkernd »solange es eine Stadt gibt, werden wir auch an eine Stadt verkaufen«.

Aktuell erzielen sie 60 Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf. Die Räume von vio.me werden, neben der Produktion und den täglichen Versammlungen, auch von einer Arbeiter*innen-Klinik genutzt, die von fünf Ärzten unterstützt wird. Menschen ohne Sozialversicherung können sie aufsuchen. Ebenso existiert ein Lager für Kleidung und Erste-Hilfe-Produkte für Geflüchtete. Die Belegschaft organisiert gemeinschaftliche Theaterabende und Street-Art Künstler haben das Gelände verschönert. Vio.me versteht sich als politischer Faktor, der eine Basis zur Verfügung stellt und nicht nur als Betrieb. Daher vernetzen sie sich auch international mit rückeroberten Betrieben in Europa sowie in Venezuela und Argentinien.

Staatliche Repressionen

Sieben Jahre Besetzung heißt auch sieben Jahre Repressionen. Sie haben viele Termine mit dem Arbeitsministerium angesetzt, auch um Zeit zu gewinnen. Zurzeit ist die größte Sorge, dass der Strom abgeschaltet wird. Ihr oberstes Ziel ist es, dass die Produktion nicht eine Sekunde stillstehen soll. Sie würden sich bildlich gesprochen auf dem Gelände anketten. Doch der Strommast steht etwas entfernt vom Gelände und ist öffentlich zugänglich. Daher bitten sie um Spenden in Form von einem Stromgenerator oder Gelder für die Beschaffung. Der Generator soll mit Biotreibstoff laufen und überschüssiger Strom soll an die Gemeinde weitergeben werden.

Der solidarische Austausch mit der Gesellschaft ist ungemein wichtig für die Belegschaft. Zum zweiten Mal haben sie auf ihrem Gelände zum coopenair-Festival eingeladen, auf dem Kunst, Kultur, Diskussion, Kinder- und Musikprogramm angeboten werden. Neben vielen Gästen haben zwanzig Kooperativen teilgenommen und mitgewirkt. Das dritte Festival für 2020 ist bereits in Planung und alle Leser*innen sind herzlich eingeladen. In diesem Jahr haben 7.000 Menschen an dem Festival teilgenommen.

Auf der einen Seite ist der Austausch mit anderen Kooperativen für die Arbeit, auf der anderen Seite ist die Sichtbarkeit der Unterstützer*innen relevant, um zu zeigen, dass sie personelle Unterstützung im Widerstand gegen Repressionen und eine mögliche Räumung aufbringen. Die Angst vor einer Räumung läuft immer mit, wenn ein Termin zur Zwangsversteigerung ansteht. Die letzte Gerichtsverhandlung im Jahr 2019 ist vorbei, die Zwangsversteigerung erneut gescheitert. Trotzdem steht die Forderung, das Gelände der vio.me aus dem Versteigerungsgrund herauszunehmen, weiterhin im Raum. Die Staatsanwaltschaft hat den Mitarbeiter*innen nun erstmals eine Anzeige aufgrund illegaler Besetzung vorgelegt. Es wird vermutet, dass sich das Klima verschärft und hiermit Angst geschürt werden soll. Makis gibt sich weiterhin kämpferisch: »Sie wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben, sie hätten die Polizei dazu befragen können.«

Titelbild: Lenkeit / Klässig

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