Falsche Adressaten der Klimaproteste

Die klassische Gretchenfrage, die die aktuellen Klimaproteste stellen, lautet: Wer ist der Adressat – der Staat oder das atomisierte Individuum? Die Wirtschaft selber wird häufig nur auf Umwegen bzw. indirekt einbezogen. Darin zeigt sich die Crux der Bewegung – statt den Hauptverursacher anzusprechen, werden »Mittelsmänner« angesprochen, um auf diese einzuwirken – entweder der Staat mit Verboten oder das atomisierte Individuum mit einem selbstoptimierten Lebensstil, den man sich leisten können muss – statt der Wirtschaft direkt die Stirn zu bieten.

Ein Kommentar von Maurice Schuhmann, Berlin

Diese Gretchenfrage kommt der Frage nach Pest oder Cholera gleich. Durchdenkt man diesen Ansatz weiter, kommt man zu einem paternalistischen, starken Staat – bis hin zu einer Ökodiktatur, die wir in Hollywoodfilmen und Science Fiction-Romanen in schillernden Farben bereits seit den 80er Jahren präsentiert bekommen haben – oder ein dem Denken neoliberaler Wirtschaft entsprungenes Menschenideal der absoluten Selbst­optimierung, welches die ökonomischen Ausgangsbedingungen und Verhältnisse außer Acht läßt.

Selbst Menschen, die sich mit der Selbstbezeichnung »Anarchist*in« schmücken, hört man auf Demonstrationen von Fridays for Future den Staat beschwören, obwohl ein starker Staat automatisch zur Schwächung und Entmündigung des/der Bürger*in beiträgt. Vergessen scheint auch die Skepsis gegenüber der engen Verknüpfung von Staat und Wirtschaft, die lange Zeit zum klassischen Kanon linker Politik gehörte. Mehr noch als das: Diesen Adressaten zu wählen, hat etwas von Populismus. Es ist eine einfache Lösung – Repräsentant*innen, klärt das Problem für uns – ohne, dass wir etwas machen müssen.

Alternativ wird das atomisierte Individuum angesprochen. »Ökologische Selbstoptimierung« ist das Zauberwort. Kaufe im Biomarkt, verzichte auf dies und das. Dieser Lebensstilwandel, der an sich sicherlich nicht zu verurteilen ist, ist natürlich abhängig vom finanziellen Hintergrund der Betroffenen. Droht uns nicht eine neue Form des Klassengegensatzes anhand von der Möglichkeit, einen ökologischen Lebensstil zu führen oder nicht? Abgesehen davon entsteht derzeit ein Markt von Ratgebern, wie man ökologisch leben kann – ohne Verzicht. Die Radikalität dessen wird damit partiell zurückgenommen – und zu einer angenehmen ökologischen Kuschelzone transformiert.

Den Klimawandel zu begrenzen, kann weder die Aufgabe des Staates noch eines atomisierten Individuums sein. Ebensowenig ist es die Aufgabe der Wirtschaft, die der ökonomischen Logik von Angebot und Nachfrage unterworfen ist, obwohl hier sicherlich das größte CO2-Einsparpotential herrscht. Mittlerweile wird die Ökobewegung von Unternehmen bereits zum »Green Washing« missbraucht. Die Mitarbeiter*innen werden freigestellt für die Teilnahme an Demonstrationen und man sponsort vereinzelt Sachen für die Bewegung.

Die große Frage, wovor große Teile der derzeitigen Ökobewegung zurückschrecken, ist die Systemfrage. Können wir im Kapitalismus zu einer nachhaltigen ökologischen Wende kommen oder ist dem Kapitalismus die Ökokrise immanent? Der umstrittene DDR-Philosoph Wolfgang Harich hat einst postuliert, dass der Kapitalismus bei der Ökofrage an seine Grenzen stößt und in ein Dilemma kommt. An dieser Stelle sind wir schon länger, aber mittlerweile sind die Folgen dessen für einen großen Teil der Bevölkerung sichtbar. Nun ist es Zeit, die richtigen Fragen zu stellen, um Auswege aus der Krise zu finden – und auch den richtigen Adressaten. Dieser kann weder Staat oder Wirtschaft noch das atomisierte Individuum sein. Es ist die Gesellschaft, d.h. das Kollektiv, was angesprochen gehört. Eine nachhaltige Veränderung des Lebensstils unserer Gesellschaft verlangt einen grundlegenden Wandel unserer Kultur – und bedarf sowohl eines selbstverantwortlichen Individuums als auch eines kollektiven Rahmens, in dem es sich mit anderen gemeinsam um eine Abwendung oder zumindest Abschwächung der Krise bemühen kann. Der Ort hierfür ist die häufig in anderen Kontexten beschworene, leider vielleicht zu häufig zum Schlagwort verkommene »Zivilgesellschaft«.

Titelbild: Herbert Sauerwein

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