Solarpunk ist das utopische Gegenstück zu den popkulturellen Weltuntergangsszenarien der letzten Jahrzehnte – kann das helfen, gegen die Klimakatastrophe zu mobilisieren?
Alexander Koch, Potsdam
Fredric Jameson hat mal gesagt, es sei leichter sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Für progressive Bewegungen ist dieser apokalyptische Pessimismus ein Problem, denn sie leben davon, dass Menschen eine bessere Welt für möglich halten.
Der Mangel an Vorstellungskraft ist zum Einen der krisenhaften Gegenwart geschuldet, in der unter dem Stichwort »multiple Krise« vor allem in den letzten Jahren einiges zusammengekommen ist. Auch der neoliberale Zeitgeist befeuert den Pessimismus seit den 1970er Jahren und tut sein Möglichstes, um den Status Quo als alternativlos und die beste aller Welten darzustellen.
Dazu passt gut, dass seit den 1990er Jahren dystopische Erzählungen in Film und Literatur extrem populär geworden sind. Die US-amerikanische Fantasy-Serie »Game of Thrones« hat das Grimdark-Genre groß gemacht, das ein zynisches, sozialdarwinistisches Menschenbild vermittelt. Grimdark ist ein Subgenre der Fantasy: Die Charaktere sind zwielichtiger, ihre Entscheidungen fragwürdiger, ihre Handlungen gewalttätiger. Alles ist etwas extremer, härter, blutiger, kompromissloser. Auch Science-Fiction – ursprünglich zumeist von Optimismus für die Zukunft der Menschheit geprägt – wurde in den 90ern von Filmen wie »Matrix« und »Blade Runner« sowie unzähligen Nachahmern geprägt. Eine Ära, die später mit dem Begriff »Cyberpunk« beschrieben wurde und bis heute andauert.
Cyberpunk-Erzählungen ist die menschenfeindliche, immer stärker überwachte und von Konzernen regierte Welt gemeinsam, in der die Hauptfiguren gegen die Zustände rebellieren, deshalb auch die Nachsilbe »Punk«. Die Rebell*innen können in den meisten Geschichten zwar kleine Teilerfolge erzielen, aber am eigentlichen System nichts ändern. Solche Zukunftsvisionen können dem Status Quo der realen Welt mittlerweile nur noch wenig hinzufügen – die Zukunft bleibt wie die Gegenwart, nur mit mehr Lasern und schnelleren Computern.
Etwa seit den 2010er Jahren gibt es eine Gegenbewegung zu dieser zelebrierten Hoffnungslosigkeit, die auf den Namen »Solarpunk« hört. Die Schnittmenge mit den Werten der Klimagerechtigkeitsbewegung ist immens, wobei sich Solarpunk weniger auf Appelle an Regierungen fokussiert, sondern darauf, eine bessere Zukunft durch sogenannte Reallabore, Kunst und Literatur wieder vorstellbar zu machen und aufzubauen.
Reallabore sind Graswurzelprojekte wie Gemeinschaftsgärten, Solidarische Landwirtschaften, Offene Werkstätten und Maker-Spaces. Also Orte, an denen Solidarität bereits jetzt erlebt werden kann und Isolation durchbrochen wird; in Krisenzeiten können diese zudem zu wichtigen Infrastrukturen für die Bevölkerung werden, wie Beispiele in Griechenland und Südamerika gezeigt haben.
Solarpunk-Geschichten und -Kunstwerke spielen in einer Zukunft, die zumindest teilweise postkapitalistisch, demokratisch, nachhaltig und intersektional ist; sie zeigen Gesellschaften, die die Herausforderungen des Klimawandels angenommen haben und dabei menschenfreundlich wurden. Erstaunlich viele der Hauptfiguren im Genre sind queer und/oder People of Color – die Bewegung nimmt Diversität ernst und hebt sich damit wohltuend vom (Science-Fiction-)Mainstream ab. Gleichzeitig sind die Visionen zumeist nicht naiv – sie erkennen durchaus an, dass die Klimakatastrophe traumatisch und tödlich ist, weigern sich aber, deswegen hoffnungslos und apokalyptisch zu werden.
Drei Bücher seien hier exemplarisch vorgestellt, die jeweils unterschiedliche Zeithorizonte in der Zukunft bespielen. Kim Stanley Robinsons »Das Ministerium für die Zukunft« spielt in unmittelbarer Zukunft und erzählt die Geschichte einer neu geschaffenen UN-Organisation, die durch geschickte Politik und Technologieeinsatz den Anstieg der Treibhausgase umkehrt; in Cory Doctorows »Walkaway« gründen Aussteiger*innen mit Technologien wie 3D-Druckern, Kreislaufwirtschaft und erneuerbaren Energien autarke anarchistische Parallelgesellschaften, die von Regierungen und Konzernen bekämpft werden; und Becky Chambers »Monk & Robot«-Novellen zeigen eine ausgewachsene, weitgehend harmonische Solarpunk-Welt.
Strategisch ist der Ansatz der positiven Visionen klug gewählt: Lösungsorientierte Geschichten verleiten Menschen viel eher dazu, sich zu engagieren, als Problembeschreibungen. Die politische Psychologie hat dementsprechend festgestellt, dass Emotionen wie Angst eher konservative Impulse in Menschen wecken, während ermutigende und empowernde Geschichten progressive Einstellungen zum Vorschein bringen. Und anders als linke Pamphlete oder akademische Abhandlungen sprechen Geschichten, Kunstwerke und Reallabore nicht nur den Kopf an, sondern machen die Utopie emotional erlebbar.
Solarpunk ist eine noch sehr junge Bewegung – aber eine mit dem Potential, größere Teile der Bevölkerung für eine klimagerechte Welt zu gewinnen und bereits engagierten Aktivist*innen neue Hoffnung zu geben. Die Klimagerechtigkeitsbewegung könnte einen solchen künstlerischen und optimistischen Arm gut gebrauchen.
Alexander Koch ist seit 2015 Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung, macht Bildungsarbeit zu Solidarischem Wirtschaften und ist Science-Fiction-Fan. Er hat eine visuelle Solarpunk-Kurzgeschichte geschrieben, die online unter https://kurzelinks.de/solarpunk zu finden ist.
Literaturhinweise:
Cory Doctorows: Walkaway; Heyne, München 2018, 736 Seiten, 16,99 Euro
Kim Stanley Robinson: Das Ministerium für die Zukunft; Heyne, München 2021, 720 Seiten, 17 Euro
Dieser Artikel ist zuerst in der analyse & kritik erschienen.
Titelbild: Das Bild wurde für das Buch »Utopia 2048« von Lino Zeddies in Auftrag gegeben, um einen utopischen Uni-Campus, das »Earth College« im Jahr 2048 darzustellen. Grafik: Aerroscape, Lino Zeddies, CC BY-NC-SA 4.0