Smart ist anders

Der E-Scooter hat sich festgefahren in den Städten und Kommentarspalten und viele wünschen sich, er würde so schnell wieder verschwinden, wie er aufgetaucht ist. Dabei ist der E-Scooter nur ein Symptom einer konfliktscheuen Verkehrspolitik, die sich lieber einer grün angemalten Marktlogik verschreibt, statt klare Kante gegen die lautstarke Auto-Lobby zu zeigen.

Schreibkollektiv »Wenn ohne Aber«

Wenn es um die Frage geht, wie sich moderne Großstädter*innen sauber, nachhaltig und effizient fortbewegen sollen, lautet die Antwort derzeit: Mikromobilität und Mobilitätsmix. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) soll attraktiver gemacht werden. Das soll vor allem dadurch geschehen, dass der Fußweg vom Autoparkplatz oder der U-Bahn-Station bis zum Ziel mit individuell nutzbaren Fahrzeugen überwunden werden kann. Diese letzte Meile ist nicht nur ein gefundenes Fressen für E-Scooter-Start-ups, sondern auch für die Automobilindustrie, die nun auf den Zug der Mikromobilität aufspringt. VW, BMW oder Audi bieten E-Fahrdienste, eigene E-Scooter-Modelle oder gleich beides an. Trotz einer medialen Welle der Kritik scheint sich dieses Sharing-Modell in den Städten hartnäckig zu halten.

Aus stadtpolitischer Sicht ist das alles bemerkenswert: Lange Zeit war es Aufgabe der Städte, ihren Bewohner*innen die Erfüllung der sogenannten »Daseinsgrundfunktionen« zu ermöglichen. Dazu gehört auch ein funktionierender Stadtverkehr – durch U-Bahnen, Straßenbahnen und Buslinien oder den Ausbau des Radwegenetzes. Diese Aufgabe wird nun zusehends in die Hände von Privatunternehmen gegeben, die über Public-Private-Partnerships von der geforderten Entwicklung »hin zu einer grünen Verkehrswende« profitieren und dabei auf die Smart Phones in unserer Hand setzen. Das entspricht dem stadtpolitischen Leitbild der »Smart City«, das in einigen Städten schon umfassend die Planung diktiert. Ziel ist es, die Stadt durch digitale Technologien effizienter, im Sinne des Klimaschutzes ressourcenschonender zu gestalten – und nebenbei allerlei Daten über ihre Bewohner*innen zu sammeln.

Auf den ersten Blick sind die neuen Start-ups für die Städte sehr attraktiv. Private Unternehmen können die vermeintlichen Bedürfnisse der Stadtbewohner*innen viel schneller befriedigen als die langsam mahlenden Mühlen der Stadtpolitik. Lösungen mit »grünem« Image und Wohlfühlfaktor überzeugen in einer Gesellschaft, die Verzicht und jegliche Art der Regulierung als Einschnitte in die persönliche Freiheit auffasst.

Den Ärger haben andere

Die Frage ist hier allerdings: Brauchen wir wirklich neue und vor allem noch mehr Verkehrsmittel, um grüner zu werden? Ja, meint der Hamburger Innensenator Andy Grote über die Zulassung der E-Scooter: »In Kombination mit Bus und Bahn sind sie ein gutes Argument, das Auto auch Mal stehen zu lassen.« Aber Grote irrt: Laut einer Studie der Hamburger Beratungsfirma Civity liegt die durchschnittliche Fahrweite momentan bei maximal 1,9 Kilometer. Diese Bilanz mag der anfänglichen Euphorie geschuldet sein, verdeutlicht aber auch, dass der E-Scooter dem Auto auf Dauer keine Konkurrenz machen kann.

Gefeiert wird der Trend zur elektrischen Mikromobilität dennoch. »Klein, leicht, lokal sauber« soll sie sein. Ungewollt trifft dabei das »Lokale« den Kern des Problems. Denn über die Stadtgrenzen hinaus wird sich dieses Versprechen kaum einhalten lassen, Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbrauch machen schließlich nicht an den Ortsschildern von Hamburg oder Berlin halt, sondern sind globale Probleme. Zur Gewinnung der in den Akkus verbauten Rohstoffe werden in anderen Weltregionen ganze Ökosysteme zerstört und im großen Stile Menschenrechte gebrochen. Die problematischen Bedingungen, unter denen Kobalt und Nickel, z.B. im Kongo, für die Akkus gewonnen werden, oder die Herstellung, die größtenteils in China und dort durch Kohleenergie betrieben wird, sind bisher kaum ein Diskussionsthema.

So hält sich auch die Illusion der Umweltfreundlichkeit. Paradoxerweise werben die Anbieter*innen sogar offensiv mit ihrem Beitrag zur »grünen« Verkehrswende. Dabei verschweigen sie, dass die Roller schon nach zwei bis sechs Monaten in die Mülltonne wandern. Und selbst dann, wenn die Akkus längst leer sind, erzeugen die E-Scooter neuen emissionsreichen Verkehr. Die Unternehmen lassen die Scooter über Nacht von schlecht bezahlten Subunternehmer*innen oder Privatpersonen einsammeln – mit dem Auto. Das ist nicht nur ökologisch fragwürdig, sondern schafft auch weitere prekäre Arbeitsbedingungen, vor denen die Gewerkschaft Ver.di bereits warnt.

Darüber hinaus ist das alles ein exklusives Vergnügen. Die Roller werden überwiegend von einer urbanen Elite, Tourist*innen oder finanzkräftigen Abenteuerlustigen genutzt, denen der Spaß die rund zehn Euro pro Stunde wert ist. Menschen mit körperlichen Einschränkungen nutzt das herzlich wenig, im Gegenteil: Oftmals blockieren die kreuz und quer auf Gehwegen geparkten E-Scooter sogar den Weg.

Möglichkeiten einer gerechten Verkehrspolitik

Das eigentliche Problem an hippen Lösungen wie Tretrollern ist, dass sie die Menschen in den Städten davon abhalten, sich ernsthaft mit einer klima- und sozialverträglichen Verkehrspolitik auseinanderzusetzen und diese einzufordern. Wie könnte eine solche Politik aussehen, die sich nicht zwanghaft auf E-Mobilität beschränkt?

Die Mittel und Wege dazu sind längst da: Am Anfang muss der Ausbau des ÖPNV erfolgen und das so umfassend, dass er den Pendelverkehr vom Stadtrand ins Zentrum auffangen kann. Dazu darf er nicht auf das engere Stadtgebiet beschränkt sein, sondern muss auch auf dem Land ausgebaut werden. Das Auto ist in den ländlichen Räumen oftmals immer noch die Voraussetzung zur gesellschaftlichen Teilhabe.

Der ÖPNV muss aber nicht nur möglichst flächendeckend und mit alltagsgerechten Fahrplänen ausgestattet sein, sondern auch günstige Tarife anbieten. Nur so lässt sich gewährleisten, dass er allen gleichermaßen zugutekommt und nicht nur – wie bei den E-Scootern – den bereits Privilegierten. Das 365-Euro-Ticket in Wien oder der geplante kostenlose Nahverkehr in der Augsburger Innenstadt sind erste Ideen in diese Richtung. Ähnliche Initiativen gibt es bereits in anderen Städten wie Tallinn in Estland, Aubagne bei Marseille oder in ungarischen Städten, wo Menschen ab 65 kostenlos fahren dürfen. Oder wie wäre es mit einem progressiven ÖPNV-Beitrag, der mit der Höhe des Einkommens steigt? Wer mehr verdient, zahlt auch mehr. Denn wer bereits wenig verdient, spürt den Unterschied von ein paar Euro mehr oder weniger im Monat deutlich.

Mit einem solchen ÖPNV lässt sich auch wieder über die Idee des Mobilitätsmix diskutieren. Denn was als Alleinstellungsmerkmal der E-Scooter vermarktet wird, geht mit einem anderen Verkehrsmittel schon lange: Fahrradfahrer*innen sind vor allem in Großstädten mittlerweile daran gewöhnt, längere Wege mit einer Kombination aus Zweirad und Bahn zurückzulegen, auch wenn das bisher nicht einfach ist: Wer in einer Großstadt wie Hamburg schon mal versucht hat, sein Fahrrad in der U- oder S-Bahn mitzunehmen, weiß, was für ein Kraftakt das sein kann. In Kopenhagen wird dieser Mobilitätsmix gefördert und funktioniert. Dort ist die Fahrradmitnahme in der S-Bahn und der Metro kostenlos möglich und komfortabel. So gibt es in der S-Bahn neben Mehrzweckabteilen auch ein Abteil eigens für das Zweirad. Seit die Mitnahme 2010 kostenlos wurde, hat sich die Zahl der mitgenommenen Räder innerhalb von zwei Jahren verdreifacht.

Das zeigt, dass Autos und E-Scooter Platz machen müssen für den ÖPNV und vor allem für die Bewohner*innen der Städte, denen der öffentliche Raum in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend genommen wurde. Ein Instrument dafür kann sein, die Parkflächen in den Innenstädten zu reduzieren oder autofreie Zonen einzurichten. Die neue rot-rot-grüne Landesregierung in Bremen hat sich dieses Ziel auf die Fahne geschrieben. Man darf auf die Umsetzung gespannt sein.

Andernorts werden auch weichere Methoden erfolgreich ausprobiert, um die Menschen davon zu überzeugen, freiwillig vom Auto auf das Fahrrad umzusteigen. Im schwedischen Malmö macht die Kampagne »No ridiculous car trips« (»Keine lächerlichen Autofahrten«) seit einigen Jahren von sich reden, die das Autofahren auf kurzen Strecken an den Pranger stellt und für das Fahrrad wirbt. In deutschen Städten mag das derzeit noch zynisch wirken. Vielerorts muss zuerst die Fahrradinfrastruktur so weit ausgebaut werden, dass der Umstieg aufs Rad ungefährlich und komfortabel wird. Derzeit prüft etwa die Stadt Hamburg die Einrichtung von Strecken für sogenannte Fahrrad­autobahnen, die Hamburger Vororte mit der Innenstadt verbinden sollen. Lernen können wir von Kampagnen wie der in Malmö, dass zumindest auf lange Sicht eine Regulierung des Autoverkehrs durch positive Anreize begleitet werden muss.

Weg mit Scheinlösungen

All diese Lösungen wären eine klare Absage an den Autoverkehr. In Deutschland ist das eine skandalöse Forderung. Wer es ernst meint mit einer grünen Verkehrswende, muss aber in diesen sauren – da knallgrünen – Apfel beißen. Die Stadtpolitik muss sich dazu bekennen, die Verringerung des Automobilverkehrs voranzutreiben und den Menschen ihre Vorteile aufzuzeigen. Dazu braucht es erstaunlicherweise gar nicht viel Neues: ein gut funktionierender ÖPNV in der Stadt und auf dem Land, das Fahrrad, sichere Fußwege und Platz für die Menschen in der Stadt. Wirklich skandalös ist, dass sich das alles nicht von selbst zu verstehen scheint. Besonders smart ist das nicht.


Kollektiv – Wenn ohne Aber (kwoa)

Wir sind ein junges Schreibkollektiv, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, den etablierten Erzählungen von Entwicklung und Fortschritt durch Wirtschaftswachstum etwas entgegenzusetzen. Wie Klimapolitik gemacht wird, muss und – davon sind wir überzeugt – kann neu verhandelt werden. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, indem wir bestehende Projekte und gute Ideen beschreiben und begleiten. Indem wir Degrowth als reale politische Praxis auffassen, nehmen wir der Utopie den Schleier des Abstrakten und Unverbindlichen und werden konkret.

Link: https://www.kollektiv-woa.org/

Foto: donepicr / flickr.com (CC)

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