Protestkarawane gegen »Tren Maya«

Der mexikanische Präsident plant derzeit, den artenreichen Süden Mexikos mit Hilfe internationaler Investoren für den Welthandel zu öffnen. Ungeachtet unzähliger Menschenrechtsverletzungen sowie diverser Fälle von Umweltzerstörung ist auch die Deutsche Bahn an dem Vorhaben beteiligt. Indigene Gruppen stellen sich gemeinsam mit Aktivist*innen im Frühjahr 2023 auf einer Protestkarawane entlang der Baurouten gegen den Ausverkauf ihrer Lebensräume.

LOU DAUCALY, RECHERCHE AG, BERLIN

Lange Zeit wurden der sogenannte »Maya-Zug« und der Transozeanische Korridor als zwei von einander getrennte Projekte betrachtet. Die beiden Infrastrukturprojekte sollen jedoch am Golf von Mexiko zusammenlaufen und zergliedern damit den gesamten Süden und Südosten des Landes. Es handle sich nicht um zwei isolierte Megaprojekte, sondern um ein Gigaprojekt zur kolonialen Ausbeutung und territorialen Neuordnung der gesamten Region, so Umweltaktivist Miguel Angel.

Die dem Schein nach linke Regierung unter Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) argumentiert mit Entwicklung, wirtschaftlichem Aufschwung und der Schaffung von Arbeitsplätzen. Gleichzeitig überträgt sie immer mehr Verantwortung dem Militär und missachtet die national und international unterzeichneten Abkommen zur Konsultation indigener Gemeinden. Unter der Losung »El Sur Resiste« (»Der Süden widersetzt sich«) organisieren sich Betroffene gegen das Gigaprojekt. Sie folgen dem Aufruf der selbstverwalteten Dachorganisation indigener Menschen in Mexico (Congreso Nacional Indígena: CNI), besuchen die Stätten der Zerstörung und führen lokale Kämpfe zusammen.

Eine Kommission der 32 Mixe-Gemeinden vom Isthmus des Tehuantepec empfängt in ihrem Protestcamp »Tierra y Libertad« (Land und Freiheit) am dritten Tag ihrer Route die Karawane. In der Ortschaft Mogoñe Viejo im Bundesstaat Oaxaca erhalten die Anwohnenden seit mehr als 60 Tagen einen Sitzstreik aufrecht. Ihr Ziel ist es, die Erneuerung der Zugstrecke zu verzögern und damit den Weiterbau des Corredor Interoceánico del Istmo de Tehuantepec (CIIT), des Transozeanischen Korridors, zu verhindern.

Ein zweiter Panama-Kanal

Im Jahr 1907 war die Eisenbahnanlage gebaut worden und galt bis zur Öffnung des Panama-Kanals 1914 als bedeutendste Landhandelsroute zwischen Pazifik und Atlantik. AMLO verspricht nicht nur, die Passage von Gütern über den Trockenkanal in einem halben Tag abzuwickeln, auch Gas- und Ölpipelines, Raffinerien, Fabriken, Minen sowie der Bau von zehn Industrieparks und einer Autobahn sind entlang der Strecke vorgesehen. Das Interesse vieler multinationaler Konzerne ist groß, den Warentransport zwischen den beiden Ozeanen zu beschleunigen. Über den Panama-Kanal kann die Passage momentan mehrere Tage dauern.

Der Bau sowie die Inbetriebnahme der Anlage untersteht der mexikanischen Marine. Der CIIT soll wie eine Mauer Mexiko teilen, als Bollwerk gegen die Migration aus Zentralamerika fungieren und die migrierenden Menschen womöglich in den Indus­trieparks in Niedriglohnbeschäftigungen zwingen. Für den mexikanischen Grenzschutz Richtung Zentralamerika geben die USA jährlich enorme Summen aus. Im Jahr 2018 schloss AMLO darüber hinaus mit dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump einen Deal über amerikanische Investitionen in Millionenhöhe im gesamten Isthmus von Tehuantepec. Wofür genau dieses Geld vorgesehen ist, bleibt derzeit unbekannt. Aber nicht nur US-Konzerne zeigen Interesse an dem Projekt. Der Schweizer Multi Nestlé eröffnete unlängst eine neue Fabrik in der Nähe. Eigenen Aussagen nach hofft Nestlé, durch den CIIT sein Geschäft Richtung Pazifik zu verdreifachen. Mit Wintershall Dea sowie Euro Pipeline sind deutsche Konzerne bereits vor Ort tätig. Auch VW und BMW haben große Werke in Mexiko. Eine erste Entscheidung, welche Firmen sich am CIIT beteiligen sollen, wird im Sommer diesen Jahres erwartet.

Derweil verfügt das Megaprojekt immer noch nicht über alle Grundstücke. Weitergebaut wird trotzdem. Indigene Gemeinden beklagen Enteignungen und Landraub, fordern, dass Umweltauflagen eingehalten werden. Ihre Proteste werden kriminalisiert. Sie sind ständigen Einschüchterungen ausgesetzt. Nach Abzug der Karawane wurde ihr Protestcamp dann auch am 30. April durch Polizei und Militär gewaltsam geräumt. Mobiltelefone wurden beschlagnahmt und sechs Mitglieder der Mixe Gemeinde verschleppt. Erst nach vier Tagen kamen sie auf internationalen Druck wieder frei. Wer sich den Plänen der mexikanischen Regierung entgegenstellt, lebt gefährlich. So werden Gemeindemitglieder nicht nur vom Militär, sondern auch von Kartellen des organisierten Verbrechens bedroht, um den Prozess der kollektiven Organisation zu unterbinden. In den letzten drei Jahren wurden in Mexiko mindestens 50 gegen Großprojekte tätige Aktivist*innen ermordet.

»Es ist ein deutscher Zug, kein ›Maya-Zug‹!«

Eine weitere Station auf der Route der Karawane liegt in Carrillo Puerto im Bundesstaat Quintana Roo. Erschrecken herrscht beim Anblick der breiten Schneise, die für den sogenannten »Tren Maya« durch einen der noch größten zusammenhängenden Regenwälder des Planeten geschnitten wurde. Auch hier, auf der Yucatan-Halbinsel, sollen neben der Zugstrecke, eine Autobahn und Industrieansiedlungen entstehen. Bereits sichtbar sind die zahlreichen Schweinemastanlagen, die mitten im Regenwald entlang der Zugstrecke aus dem Boden gestampft wurden. Die Namensgebung des »Maya-Zug« beschämt viele der dort ansässigen Maya, weil der Zug nichts mit ihnen oder ihren Vorfahren zu tun hat. Sie selbst nennen ihn »Tren Alemán«, deutschen Zug.

Nachforschungen deckten unlängst die Verstrickungen der DB in das Megaprojekt auf. Aus einer parlamentarischen Anfrage geht hervor, dass die Deutsche Bahn Tochter DB Consulting & Engineering vom mexikanischen Staat für die Beratung zu eisenbahnbetrieblichen Entscheidungen im Dezember 2020 beauftragt wurde. Der Vertrag läuft noch bis Ende 2023 und umfasst mit einer Auftragssumme von 8,6 Millionen Euro zwar einen vergleichsweise geringen Betrag, auf symbolischer Ebene ist die Beteiligung des deutschen Staatskonzerns jedoch nicht zu unterschätzen. Obwohl der »Tren Maya« mit einer Flotte des französischen Konzerns Alstom fahren soll, verwenden die schillernden Werbekampagnen die weiß-roten ICE Züge. Deutsche Innovation und Technologie geben dem Projekt zumindest in Mexiko einen seriösen Anstrich.

Dieser scheint auch mehr als notwendig, um davon abzulenken, wie mit den Rechten der indigenen Menschen umgegangen wird, deren Territorien hier betroffen sind. Autonomie und Selbstbestimmung der Urbevölkerung, festgeschrieben im Art. 2 der mexikanischen Verfassung (1917), sowie auch die Auflagen des ILO-Abkommen 169, das in Mexiko seit 1991, in Deutschland seit 2022 in Kraft ist, wurden weitgehend ignoriert. Die mexikanische Regierung hatte lediglich Scheinkonsultationen durchgeführt. Auf Nachfragen über den Vorwurf der Menschenrechtsverletzungen beruft sich das deutsche Verkehrsministerium auf in Mexiko tätige UN-Behörden. Eine der genannten Stellen jedoch verurteilt selbst das Projekt. »Der Konsultationsprozess der indigenen Bevölkerung zum Maya-Zug hat nicht alle internationalen Menschenrechtsstandards erfüllt,« gibt das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte in Mexiko unmissverständlich zu verstehen.

Eine durch den Nationalen Wissenschafts- und Technologierat (CONACYT) durchgeführte multidisziplinäre Studie sieht in dem Projekt eine ernstzunehmende Gefahr für Umwelt und Sozialgefüge. Die mexikanische Regierung selbst hatte die Risiko-Analyse 2019 in Auftrag gegeben. Im Februar diesen Jahres wurde die Studie dann zensiert, die CONACYT in einem Eilverfahren abgeschafft und unter Aufsicht des Militärs kurzerhand neu gegründet. Von einem leisen bzw. verdeckten Militärputsch in Mexiko ist bereits die Rede. Auch der Bau und Betrieb des »Maya-Zug« untersteht dem Militär, inklusive Gewinnausschüttung. Das Militär steigt derweil auch als Investor in die Tourismusbranche ein, baut und betreibt unter anderem Hotels an der Bahnstrecke.

Organisation für ein Leben in Würde

Zum Abschluss der Karawane findet ein Treffen mit Vertreter*innen aus mehr als 20 indigenen Gemeinden vom gesamten Kontinent Abya Yala (Lateinamerika), sowie Aktivist*innen und Medienmacher*innen statt. Es wird dargelegt, dass es unter anderem staatliche Wohlfahrtsprogramme wie beispielsweise »Sembrando Vida« oder die Rentenzahlungen für ältere Menschen sind, die die Gemeinden spalten und am Ende einer kollektiven Organisierung entgegen stehen.

Der CNI betont, wie wichtig es ist, sich solidarisch und global zu vernetzen, gemeinsam Widerstand zu organisieren, und Autonomie aufzubauen. Ein Teil dieses Widerstandes bedeutet auch, die Täter*innen der Zerstörung zu identifizieren und zu benennen. So fordert der CNI dazu auf, »den intellektuellen und materiellen Verursachern dieser planetarischen Verwüstung Namen und Gesichter zu geben, Länder, Unternehmen, Abkommen, Pakte und Allianzen aufzulisten, zu kartografieren und zu analysieren«.

Dass Selbstverwaltung und Autonomie Garanten für Biodiversität und Umweltschutz sind, ist unlängst bewiesen. Indigene Völker machen weniger als fünf Prozent der Weltbevölkerung aus, kümmern sich aber um schätzungsweise 80 Prozent der Artenvielfalt der Erde. Der Süden Mexikos stellt mit seinem großen Anteil an Land, das im kollektiven Besitz indigener und lokaler Gemeinschaften genutzt wird, einen der wichtigsten Retter fürs Weltklima dar.

So sagt Juan vom CNI, dass die Bedeutung des Wortes »Entwicklung« für sie als Indigene ein Zusammenleben mit der Natur bedeute. Für die Kapitalist*innen bedeute Entwicklung aber Zerstörung. Er sei nicht bereit, die Natur als Lebensgrundlage seiner Gemeinde, die seine Vorfahren seit über 500 Jahren verteidigen, gegen einen Job als billige Arbeitskraft, als Diener, als Sklave, einzutauschen. »Das Land gehört denen, die es bearbeiten, denen, die es bewohnen, denen, die es lieben und denen, die es verteidigen. Geld wird nicht kaufen können, was wir brauchen.«


Recherche AG
Transnational arbeitende Gruppe von Forschenden. Teil des Netzes der Rebellion. Ihr Report »›Tren Maya‹ – Made in Germany« ist auf Deutsch, Englisch und Spanisch gratis abzurufen unter: deinebahn.com
Kontakt: recherche-ag@riseup.net

»El Sur Resiste«
Karawane und internationales Treffen vom 25. April bis 7. Mai 2023, um gegen das Gigaprojekt im Süden Mexikos bestehend aus »Tren Maya« und Transozeanischem Korridor zu protestieren.
Link: elsurresiste.org

CNI (Congreso Nacional Indígena)
Gründete sich 1996 als selbstverwaltete und unabhängige Dachorganisation indigener Menschen in Mexiko; bildet Teil der »Sexta«, der Sechsten Erklärung der Selva Lancandona der Zapatistas.
Link: congresonacionalindigena.org


Titelbild: Tag 8 der Karawane besucht Carrillo Puerto: Der Regenwald wird durch den unter Beteiligung der Deutschen Bahn gebauten »Maya-Zug« dem Erdboden gleichgemacht. Foto: Juan Valeiro

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