Care ist mehr!

In Österreich ist im vergangenen Jahr eine neue Initiative im öffentlichen Raum sichtbar geworden: »Mehr für Care!«, mit dem Motto »Für eine Wirtschaft, die allen dient«. Nach den Krisen der letzten beiden Jahrzehnte, so die Initiatorinnen, ist es Zeit für einen Perspektivenwechsel.

Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz

Seit Beginn der zweiten Frauenbewegung war die unbezahlte Arbeit der Frauen ein Thema, verschiedene Vorschläge wurden zur Lösung angeboten, etwa »Lohn für Hausarbeit«. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts hat sich der Fokus aber auf die Forderung nach Gleichstellung verlegt. Frauen sollten die gleichen Möglichkeiten im Arbeits- und Wirtschaftsleben haben. Die dazugehörige Forderung der Beteiligung der Männer an der unbezahlten Arbeit nach dem Motto »Halbe-Halbe« verhallte bisher weitgehend ungehört. In Zusammenhang mit den negativen Auswirkungen des aktuellen Wirtschaftssystems und den notwendigen Systemänderungen zur Bekämpfung des Klimawandels kam es zu einem neuerlichen Umdenken. Der Begriff »Care« hat dabei einen Bedeutungswandel erfahren. Wurde er davor hauptsächlich für einen bestimmten Wirtschafts- oder Arbeitsbereich verwendet, nämlich jenen der Pflege, wird nun selbstbewusst festgestellt, Care-Tätigkeiten seien die Basis auch der monetarisierten Wirtschaft, ohne diese wäre das kapitalistische System nicht lebensfähig.

2012 hat Marianne Gronemeyer in ihrem Buch »Wer arbeitet sündigt« bereits festgestellt, ein zerstörerisches System werde dadurch nicht besser, »wenn Frauen auch noch mitmachen«, und damit die Gleichstellungspolitik in eine neue Richtung gelenkt – Gleichstellung ja, aber unter anderem Vorzeichen. Und 2015 geht Ina Praetorius noch einen Schritt weiter: in der Publikation »Wirtschaft ist Care«, stellt sie praktisch die männliche Ökonomie vom Kopf auf die Füße, indem sie »das Selbstverständliche wiederentdeckt«, dass nämlich Care-Tätigkeiten im Zentrum des Wirtschaftens stehen.

Seit in der Pandemie sichtbar wurde, was die »systemerhaltenden Tätigkeiten« sind und deren prekäre Situation klar zutage trat, haben auch die Forderungen aus den Berufsfeldern und von Gewerkschaften selbst mehr Dringlichkeit erhalten und in der Schweiz sogar zu einer erfolgreichen Volksabstimmung geführt. Vor diesem Hintergrund – in der Tradition feministischer Analysen und Forderungen und in Konfrontation mit konkreten Problemlagen – ist »Mehr für Care!« entstanden.

Im Interview auf Seite 9 erzählen Elisabeth Klatzer und Alexandra Strickner über die Entstehung der Bewegung. Birge Krondorfer geht in ihrem Beitrag auf Seite 10 der Entwicklung des Konzepts »Care« in der Frauenbewegung nach und kommt zu dem Schluss, »eine Care Revolution muss her«. Die Forderungen, die weit über Finanzielles hinausgehen, sind auf Seite 11 zu lesen, ebenso einige Literaturtipps. Ebenfalls auf Seite 11 ein Beitrag von Peter Streiff zur erfolgreichen Schweizer Pflegeinitiative. Auf Seite 12 wird der Blick wieder auf den konkreten Care-Bereich gelenkt: die Physiotherapeutin und Osteopathin Regina Novy beschreibt die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen von Menschen im Gesundheits- und Pflegesektor und schildert, warum es nicht reicht, sie besser zu bezahlen, sondern es eben genau dieses gesellschaftliche Umdenken, diese neue, erweiterte Perspektive auf Care braucht, damit die Menschen in diesen Arbeitsfeldern ihre Arbeit gut machen können.

Titelbild: Mehr für Care!-Aktionstag in Graz im Juni 2021 mit den drei Konjunkturpaketen. Foto: schu


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