Obdachlosigkeit überwinden

Unser Titelfoto zeigt, dass Aktivist*innen gegen Wohnungsnot durchaus auch ein Herz für Reiche zu zeigen wissen. Das Kölner Villenviertel Marienburg ist nämlich international ein schlechter Standort: alles viel zu billig gegenüber London beispielsweise. Da braucht es Förderung, etwa durch »Armut besteuern«. Ein Bericht dazu von Klaus Jünschke und weitere Fotos von Helmut Nick von der Satire-Demo im Oktober 2023 finden sich im Schwerpunkt.

Heinz Weinhausen, Redaktion Köln

Die neue drastische Zunahme von Obdachlosigkeit lässt sich natürlich nicht weglachen. Rainer Kippe zeigt in seinem Auftaktartikel, dass die Elendsexplosion einhergeht mit der Etablierung des Neoliberalismus, beginnend in den 1980er Jahren. Dessen lächerliche Heilsverkündung lautet, dass ein gnadenloser Markt Wohlstand für alle bringen würde. Allein durch die heutigen Potentiale digitaler Rationalisierung – aktuell ChatGPT – ist aber gar nicht mehr zu erwarten, dass Menschen durch Lohnarbeit wieder ausreichend integriert werden könnten und sich auf diese Weise die brutale Ausgrenzung in Luft auflöse. Weiß die Gesellschaft aber nicht – wie noch in den 1960er/70er Jahren geleistet – ausreichend bezahlbare Wohnungen bereit zu stellen, droht die Sündenbock-Politik einer AfD, die die realen Abstiegsängste des Mittelstands für Hetze und Spaltung zu nutzen weiß. Insofern zeigt der schwierig zu führende, aber unerlässliche Kampf gegen Obdachlosigkeit, wie den Rechtsradikalen auf ihrer anvisierten Reise in eine neue unterdrückerische Barbarei der Wind aus ihren Segeln genommen werden kann.

Kommunen und überhaupt der Staat sind demnach unter Druck zu setzen, den neoliberalen Wohnungsmarkt unter anderem wieder durch eigene, sozial aufgestellte Wohnungsgesellschaften zu entschärfen. Deutschland muss nicht kriegs-, sondern wohntüchtig werden. Geld ist wie immer genug da, wenn es nur den Millionär*innen und Milliardär*innen wieder genommen würde.

Andererseits braucht es Soforthilfe. Kommunale wie private Häuser bleiben ungenutzt, anstatt sie für Menschen von der Straße zu öffnen. Proteste und Hausbesetzungen legen hier den Finger in die Wunde, teils retten sie sogar Wohnraum. Andererseits gab und gibt es viele Beispiele, wie Selbsthilfe und Genossenschaften mit Muskelhypothek – unterstützt mit privaten oder öffentlichem Baugeldzuschüssen – Altbestände wieder flott machen oder gar neu bauen. Einige davon werden im Schwerpunkt vorgestellt. Aus der Verknüpfung von Selbsthilfe mit hartnäckigem Protest samt konkreten Forderungen an die öffentliche Hand ergibt sich eine brodelnde Gemengelage zur Überwindung von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit.

Dass die wohnungslosen Menschen nicht nur in die Kälte geschickt werden, sondern darüber hinaus kriminalisiert und in Gefängnisse gesperrt werden, zeigt Klaus Jünschke in seinem Buch »Gefangen & Obdachlos« auf. Hierin lässt er nach einer Einordnung der Misere Betroffene selbst zu Wort kommen. Das geht unter die Haut. Eine Rezension von Blecki aus der JVA Siegburg unterstreicht dies. Dass Nothilfe nicht nur bürokratisch verwaltend, sondern durchaus menschenwürdig gestaltet werden kann, zeigen die vielen Suppenküchen von Ehrenamtlichen. Und dass Notübernachtungen auch freundlich, gar herzlich sein können, berichtet Anastasia Hilliger über die langjährige »Kältebrücke« im Berliner Mehringhof. Das bringt es wohl auf den Punkt: Freundlichkeit und menschenwürdige Unterstützung von Ausgegrenzten aller Couleur, andererseits eine laute Sprache und klare Forderungen an die Politik und die Verwaltung.

Titelbild: Oktober 2023 – Satiredemo im Kölner Villenviertel. Foto: Helmut Nick


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