Für ein offenes Europa

Die Festung Europa schottet sich immer weiter ab: Im April hat das EU-Parlament einer Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zugestimmt. Doch die gesetzlichen Verschärfungen bleiben nicht unkommentiert: Zahlreiche Initiativen leisten praktischen Widerstand und setzen sich für ein solidarisches Europa ein.

Regine Beyß, Redaktion Kassel

Vor dem EU-Parlament wurde am 10. April symbolisch das Recht auf Asyl zu Grabe getragen. Abgeordnete der Linksfraktion versammelten sich um einen hölzernen Sarg samt Grabstein mit der Aufschrift »Right to Asylum (1951-2024)«1. Über 50 Organisationen und Initiativen riefen zu einer Demonstration in Brüssel auf, um ihr Nein zur Verschärfung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) deutlich zu machen. Und auch während der Abstimmung im Parlament wurde protestiert. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, riefen Aktivist*innen von der Besuchertribüne aus »Dieser Pakt tötet – stimmt dagegen« und warfen Papierflugzeuge in das Plenum.

»Kurz gesagt bedeutet diese Reform die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl«, kritisiert auch Kerem Schamberger von medico international. Er erläutert im Interview mit CONTRASTE die Folgen der neuen Gesetzgebung: So sollen Menschen an den Grenzen in gro­­ßen Lagern inhaftiert werden, ohne ausreichende Prüfung ihrer Asylanträge. Abschiebungen, vor allem in so genannte »sichere Drittstaaten«, werden erleichtert. Dabei sei das Asylrecht kein humanitärer Gnadenakt, betont Kerem Schamberger, sondern eine zwingende Verpflichtung gegenüber Geflüchteten (Seite 9).

Während die politischen Institutionen die Rechte von Geflüchteten immer weiter aushebeln, sind selbstorganisierte Initiativen an den EU-Außengrenzen aktiv, um Menschen auf der Flucht zu unterstützen und Öffentlichkeit herzustellen. In unserem Schwerpunkt wollen wir einige dieser Projekte vorstellen.

Das CompassCollective aus dem Wendland startete seinen ersten Einsatz im August 2023. Mit einem Segelschiff unterstützt die Gruppe die zivile Seenotrettung im Mittelmeer und versucht, Menschen vor dem Tod durch Ertrinken oder Verdursten zu bewahren und ihre unmittelbare Not zu lindern. Jan Becker berichtet in seinem Beitrag von den bisherigen Rettungseinsätzen (Seite 10). Geflüchtete, die von der Organisation SOS Méditerranée aus Seenot gerettet wurden, kommen auf Seite 12 zu Wort. Inoussa, Marina und Fahim (Namen geändert) erzählen, warum sie sich auf den Weg gemacht haben und welche Erfahrungen sie auf ihrer Flucht machen mussten.

Vor allem auf der Balkanroute ist der Verein »Blindspots« aktiv. Die Aktivist*innen leisteten bisher vor allem praktische Hilfe in den Wintermonaten, zum Beispiel durch improvisierte Unterkünfte, Öfen und Brennholz. Außerdem dokumentieren sie Menschenrechtsverletzungen, wie zum Beispiel illegale Pushbacks. Mitgründerin Pina berichtet im Interview (Seite 11), wie sie und ihre Mitstreiter*innen sich immer wieder motivieren, obwohl die (rechtliche) Situation sich auch für sie weiter zuspitzt. Mit Repressionen haben auch Aktivist*innen zu kämpfen, die 2016 am Grenzübergang Brenner gegen die Festung Europa protestierten. Über 100 Personen wurden damals von der Polizei festgenommen, die Prozesse laufen bis heute (Seite 10).

Seenotrettung und praktische Hilfe, Protestaktionen und Zeug*innenschaft – an diesen Beispielen wird deutlich: Es gibt bereits ein anderes, ein solidarisches Europa. Und es ist wichtiger denn je.


  1. 1951 wurde auf einer Sonderkonferenz der UN die Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet.


  2. Titelbild: Flavio Gasperini / SOSMEDITERRANEE

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