Einsamkeit in Solidarität verwandeln

Die sizilianische Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft »Galline Felici« – auf Deutsch die »Glücklichen Hühner« – beliefert Einkaufsgruppen in mehreren Ländern hauptsächlich mit Südfrüchten. Wenn die Haupterntezeit vorbei ist, gehen sie auf Reisen, um ihre Abnehmer*innen kennenzulernen, zum Beispiel in Wien.

Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz

Samstag Vormittag. Der gemütliche Gemeinschaftsraum des Wohnprojektes »Grüner Markt« in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs füllt sich. Vertreter*innen mehrere Wiener Foodcoops kommen hier zusammen, um weitgereiste Gäste zu begrüßen: Mitglieder von Galline Felici, von denen sie seit vielen Jahren Orangen, Mandarinen, Zitronen, Olivenöl und verschiedene verarbeitete Produkte beziehen. Die Gäste kommen, ganz sizilianischer Zeitauffassung entsprechend, verspätet, versprühen dafür aber jede Menge guter Laune. Diese ist nicht nur dem südländischen Temperament geschuldet, man spürt: Es ist ihnen wichtig, die Menschen kennenzulernen, die ihre Produkte kaufen. Es sind keine Phrasen, wenn sie betonen, es gehe ihnen nicht in erster Linie um Orangen oder Oliven, nicht um Landwirtschaft, es gehe um soziale Beziehungen. Natürlich stellen sie hier auch ihre Produkte vor, haben Kostproben mitgebracht, aber ihr Interesse gilt den Menschen, denen sie mit Neugier und Offenheit begegnen. Nicht umsonst lautet eines ihrer wichtigsten Mottos: »Einsamkeit in Solidarität verwandeln«. Mico, der Kaktusfeigen produziert, meint: »Ich bin nicht bei den Galline, weil ich Bauer bin, ich bin Bauer, weil ich bei den Galline bin.«

Zu Beginn ein Disclaimer: Es gibt bei den Galline vieles, nur keine Hühner. So bezeichnen sich nämlich die Mitglieder der Genossenschaft selbst. Und davon gibt es mittlerweile 49 und weitere 50, die sich in einem Annäherungsprozess befinden, folgerichtig als »Küken« bezeichnet. Begonnen hat alles 2002. Der Biobauer Roberto Li Calzi, der damals bereits seit 20 Jahren Orangen und Gemüse in bester Qualität anbaute, war wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten kurz davor alles hinzuschmeißen, als er das Netzwerk der GAS kennenlernte. GAS ist die Abkürzung für »gruppi acquisto solidale«, solidarische Einkaufsgruppen, vergleichbar mit Foodcoops. Diese gab es in Italien bereits seit dem Aufkommen der Fair Trade-Idee in den 1980er Jahren. Mit diesem Zusammentreffen begann eine Erfolgsgeschichte, die bis heute andauert. Roberto reiste umher, hielt zahllose Vorträge. Mehr und mehr Produzent*innen schlossen sich an, immer größer wurde der Kreis der Abnehmer*innen. Heute liefern die Galline neben Italien auch in die Schweiz, nach Frankreich, Belgien, Österreich und Deutschland. In den letzten Jahren kamen junge Produzent*innen dazu, mit internationaler Erfahrung, guten Englischkenntnissen und einem ausgeprägten Bewusstsein für die ökologischen Krisen, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen.

Solidarische Praxis auf drei Ebenen

Nach Wien gekommen sind Sandra und Cathie, die für die Logistik sorgen und die deutsch- bzw. französischsprachigen Einkaufsgruppen betreuen, sowie mehrere Produzent*innen, darunter Valeria und Mico. Sie berichten von ihren Arbeitsbedingungen, aber auch von neuen Projektideen. Das Anliegen, eine andere, solidarische Wirtschaft aufzubauen, wird nicht nur formuliert, sondern täglich gelebt. Besonders stolz sind sie darauf, dass ihre Vision und Mission nach jahrelangen Diskussionen endlich fertig ausformuliert auf der Webseite zu lesen ist (siehe Infokasten unten).

Was die Galline unter anderem besonders macht, sind Solidaritätsbeziehungen auf drei Ebenen: zwischen den Produzent*innen, zwischen GAS und Produzent*innen und – in unterschiedlichem Ausmaß – auch solidarische Beziehungen innerhalb der Einkaufsgruppen, die zum Teil wieder an ihren Orten neue Formen solidarischer Ökonomie entwickeln.

Die beteiligten Produzent*innen profitieren natürlich von der Logistik und Verkaufsinfrastruktur, die sie allein nicht aufbauen könnten. Sie beschäftigen Arbeitskräfte gemeinsam, sowohl für Verwaltung und Lager, als auch Erntehelfer*innen. Dadurch wird es möglich, dass migrantische Erntearbeiter*innen mit regulären Arbeitsverträgen ganzjährig angestellt werden können und immer dort hinkommen, wo es gerade Arbeit gibt. Wichtiger noch ist ihnen aber die gegenseitige Hilfe, die angesichts zunehmender Extremwetterereignisse immer öfter gebraucht wird. Es wurde ein Notfallfonds eingerichtet und bei der Beseitigung von Schäden arbeiten alle zusammen. Zum Beispiel bei Valeria: Sie war noch ein »Küken«, als ein Sturm einen Teil ihres Olivenhains verwüstete. Verzweifelt rief sie ihre Kontaktperson bei den Galline an. Eine halbe Stunde später war diese auf ihrem Hof, sah die Bescherung, hängte sich ans Telefon und am nächsten Tag standen ausreichend Helfer*innen bereit. Aus dem Fonds bekam sie Geld, um neue Bäume zu pflanzen. Oder: Letzten Sommer wüteten großflächige Waldbrände in Sizilien, die auch den Hof eines der Mitglieder erfassten und die Bewässerungsanlage total zerstörten. Ihm wurden Wassertanks und neue Verrohrungen finanziert und gemeinsam verlegt. Auch externe soziale Projekte werden aus dem Fonds unterstützt.

Die Gäste erzählen, wie die Klimakrise sie trifft, aber auch, wie sie versuchen, sich anzupassen. Immer wieder gibt es neue Ideen, um den Herausforderungen zu begegnen. Sie experimentieren, teilen ihre Erfahrungen – und auch ihre Fehler. Schutz und Pflege des Landes und der Menschen sind ihnen ein Anliegen, ihr Zugang basiert auf dem Konzept der Agrarökologie (siehe CONTRASTE Nr. 475).

Transparenz und Partizipation

Im Verhältnis zu den Einkaufsgruppen werden Transparenz und Partizipation großgeschrieben. Gemeinsam mit ihnen wollen sie die Gesellschaft verändern. »Alles was wir tun, können wir tun, weil es euch gibt«, ist die Botschaft, die sie mitbringen. Darum werden alle Ideen mit den GAS geteilt und auch ihre Solidarität eingefordert. Ein Beispiel: Durch die starke Nachfrage nach manchen Produkten kam es manchmal zu Lieferengpässen. Andererseits soll auch nicht zu viel produziert werden, um nichts verderben zu lassen. So wurde für einige Produkte das Modell der Ko-Produktion eingeführt. Die Konsument*innen sagen im Voraus, wie viel sie im kommenden Jahr abnehmen wollen und finanzieren die Produktion vor. Der Betrag wird ihnen über die nächsten zehn Jahre sukzessive von ihren Einkäufen abgezogen. Der Notfallfonds wird ebenfalls zu einem guten Teil von den GAS finanziert, indem sie bei großen Bestellungen auf Rabatte verzichten, diese Beträge wandern dann in den Fonds. Manchmal werden die Abnehmer*innen auch unmittelbar in Notfallaktionen einbezogen: Als etwa der Hagel die Orangenernte eines Mitglieds schwer in Mitleidenschaft gezogen hatte und die Produkte schnell verkauft werden mussten. Es gab einen Aufruf an die GAS, zu reduzierten Preisen die leicht beschädigten Früchte zu bestellen und so einen Teil des Schadens mitzutragen.

Die IG-FoodCoops

Und wie kam es, dass die Wiener*innen zu einer der Einkaufsgruppen geworden sind? 2012 wollte eine junge Frau ihre Masterarbeit über GAS schreiben und lernte dabei Roberto Li Calzi kennen. Zurück in Wien erzählte sie von dem Projekt und brachte Kostproben mit, die offensichtlich überzeugten. Es war die Zeit, als gerade die ersten Foodcoops in Wien entstanden und man überlegte, wie man es anstellen könnte, auch Waren aus Sizilien zu beziehen. Das ist nämlich logistisch durchaus herausfordernd.

Erstens muss mindestens eine Palette an Waren zusammenkommen, damit eine Lieferung möglich ist. Eine Foodcoop allein konnte das nicht schaffen, das war der Beginn der Zusammenarbeit zwischen den Wiener Foodcoops. Man könne das durchaus als Gründungsimpuls für den österreichweiten Dachverband der Foodcoops, die IG-FoodCoops, verstehen, erzählt Janette, die derzeitige Sprecherin der IG. Über diesen Dachverband laufen die Bestellungen bis heute.

Zweitens fährt der Lastwagen mit Laderampe nur bis Verona. Dort übernimmt eine andere Spedition, deren Wagen jedoch die Paletten nicht selbst ausladen kann, deshalb kann nur an einen Ort geliefert werden, der die dafür nötige Infrastruktur hat. Für Wien ist das der Gemüsegroßmarkt im Vorort Inzersdorf. Ab dort muss die Gruppe den Transport selbst organisieren. Es muss ein LKW bestellt und ein Ort gefunden werden, wo die hunderten Kisten ausgeladen und zwischengelagert werden können. Lange Zeit waren das immer wieder wechselnde Orte, bis sich im letzten Jahr der »Grüne Markt« als geeignete Anlaufstelle etabliert hat. Von dort holen dann die einzelnen Foodcoops ihre Anteile ab und verteilen sie entsprechend ihrem jeweiligen Modus an die Endverbraucher*innen. Lieferungen gibt es einmal monatlich von Ende Oktober bis Ende April, jedes Mal muss eine Person die Verantwortung für die Abwicklung übernehmen.

Die Begeisterung der Gäste ist ansteckend und so ist es naheliegend, dass der Tag mit einem gemütlichen Abend beim Heurigen ausklingt.

Titelbild: Interner Workshop der Genossenschaftsmitglieder in Noto. Foto: Sandra Kleimann

Links:
https://www.legallinefelici.bio/de_DE/ – hier erfahrt ihr auch die Bedingungen für eine Lieferung nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz
https://foodcoops.at


Vision & Mission

Eine Welt, in der Landwirt*innen, Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen glückliche Beziehungen aufbauen, pflegen und weiter ausbauen.

Wir bauen mit Respekt vor der Natur an und wir verkaufen mit Respekt vor den Menschen.

Wir setzen auf kurze Lieferketten von Erzeuger*innen zu Verbraucher*innen: eine Garantie für Qualität und für einen fairen Preis für alle.

Wir schützen das Land und seine Ressourcen, indem wir uns um das Gemeinwohl kümmern.

Wir bieten Chancen für partizipative Beschäftigungsmöglichkeiten, unter Achtung der Würde, an.

Wir arbeiten gemeinsam mit den Verbraucher*innen, indem wir ein transparentes Verhältnis aufbauen und sie in unsere Entscheidungen einbeziehen.

Wir flechten Netze von Menschen, die miteinander zusammenarbeiten, um Einsamkeit in Solidarität umzuwandeln.

Das könnte für dich auch interessant sein.