Einen »reinen« Kapitalismus etablieren

Dieser Artikel ist als eine Art Hinweis oder vielleicht sogar Warnung gedacht. Ich bin ehemaliger Kommunarde, das heißt, ich habe jahrelang in einer Landkommune mit gemeinsamer Ökonomie und Konsensprinzip gelebt, und befasse mich nun kritisch mit dem Gegenteil dieser basisdemokratischen und herrschaftsfreien Projekte: mit Privatstadtprojekten.

Andreas Kemper, Münster

Hinter diesen Projekten steht die Absicht, einen »reinen« Kapitalismus zu etablieren, ohne Demokratie, ohne Arbeiter*innenrechte, ohne Antidiskriminierungs- oder Umweltschutzmaßnahmen. Weil es schwierig ist, auf nationaler Ebene einen solchen Kapitalismus ohne Staat und Demokratie einzuführen, entsteht seit 2008 eine Bewegung, die entsprechende Enklaven einführen möchte. In Honduras wurde nach dem Putsch unter der rechtsnationalen Regierung eine Gesetzesgrundlage geschaffen, mit der nun drei Privatstadtprojekte im Entstehen sind. Zwar gibt es seit einem Jahr eine linke Regierung und sie hat die Gesetze zurückgenommen, doch die Privatstadtprojekte machen in Honduras fast ungebremst weiter und drohen mit internationalen Schiedsgerichten.

Zugleich hat diese Privatstadtszene dazu gelernt. Sie stellen sich nun sehr viel breiter auf. In Afrika und Europa sei man zwar in konkreter Planung mit den dortigen Regierungen für weitere Privatstadtprojekte, wie Titus Gebel vom Privatstadtunternehmen Tipolis betont. Aber zugleich strich seine Stiftung Free Private Cities Foundation das verräterische »Private« aus dem Titel und öffnet sich nun auch den »Intentional Communities«, also den sogenannten »Intentionalen Gemeinschaften«, Gruppen von Menschen, die mit gemeinsamen Ziel zusammenleben und deren Lebensstil geteilte Grundwerte zeige. Es geht um Verwässerung, um die Vermischung von Projekten, die möglichst ohne kapitalistischen Verwertungszwang auskommen wollen, mit fanatisch kapitalistischen Projekten, die jenseits von demokratischer Kontrolle auch Polizei, Gerichtsbarkeiten, Bildung und Gesundheit privatisieren möchten. Auf diese Aneignungsversuche werde ich gleich noch eingehen.

Anzumerken ist hier, dass die Privatstadtidee nicht nur auf Intentionale Communities ausgedehnt wird.

Auch die 6.000 bis 8.000 Sonder­entwicklungszonen sind im Fokus der Privatstadtbewegung. Es gibt inzwischen internationale Verbände als Interessenvertretungen dieser SEZ und mit Hilfe der UNCTAD wurden diese zur Globalen Allianz der SEZ zusammengeführt (GASEZ). Würden diesen SEZ mehr Rechte auf administrativer, politischer und auf der Ebene der Gerichtsbarkeit zugestanden, könnten diese zu Privatstädten ausgebaut werden. Gepriesen wird inzwischen auch, Refugee Camps zu Refugee Cities als Privatstädte auszubauen.

Als dritte Basis neben den Intentionalen Gemeinschaften und den SEZ hat ein Investor aus Silicon Valley, Balaji Srinnivasan, die Schaffung einer »virtuellen Gemeinschaft« vorgeschlagen. Privatstädte oder gar ein Privatstaat könnte unter der Parole »Digital first« entstehen. Sammlungsbewegung wäre das Internet, in dem Geld gesammelt wird. Im nächsten Schritt wird überall auf der Welt Land gekauft. Und in einem dritten Schritt soll dieses Land als neuer »Network State« diplomatisch anerkannt werden. Vor allem Teile der rechten Crypto-Währungs-Bewegung sind begeistert: Freie Währung, freie Stadt.

Es ist dieses Wort »frei«, was mich in diesem Zusammenhang besonders stört. Damit komme ich auf die Aneignungsversuche zurück. Diese Privatstadtbewegung, die ich als »Privarismus« bezeichne, nennt sich selber »libertär« oder »anarcho-kapitalistisch«. Beim US-amerikanischen Fernsehsender HBO lief gerade eine Dokumentation mit dem Titel »The Anarchists«. Dies war keine Dokumentation über Bakunin, Kropotkin oder die CNT in Katalonien. Es handelt sich um einen Bericht über eine angeblich »anarchistische« Szene, die sich jährlich zu einer Konferenz »Anarchopulco« in Mexiko traf. Es handelte sich um eine Mischung aus Cryptofanatiker*innen und Anarchokapitalist*innen und die mehrteilige Sendung endete mit dem Hinweis auf einen Mord, der im Zusammenhang mit dieser Konferenz stattfand.

Die Idee des Anarchismus und vor allem die Idee des Libertarismus hat mit dieser Szene nichts zu tun. Anarchismus steht für Herrschaftsfreiheit und Kapitalismus ist nicht herrschaftsfrei, vor allem dann nicht, wenn – wie der anarchokapitalistische Chef von Zaha Hadid Architects dies fordert – Arbeiter*innen-Rechte abgeschafft werden. Und der Begriff »libertär« entstand im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit einer Kritik an Proudhon, »libertär« ist noch dezidierter feministisch und sozial ausgerichtet als »anarchistisch«. Wie der Anarchist Murray Bookchin betonte, sind diese prokapitalistischen »Libertarians« also keine Libertarians, sondern »Propertarians«, sie treten ein für Privateigentum (proprius = Eigentum), alles habe sich dem Privateigentum (an Produktionsmitteln) unterzuordnen und damit auch den Privateigentümer*innen. »Anarcho-Kapitalismus« ist ein Widerspruch in sich, denn eine anarchistische Gesellschaft schließt Herrschaft aus. In der »anarcho-kapitalistischen« Gesellschaft wird Herrschaft privatisiert. Die Polizei wird Unternehmen gehören, genau wie die Gerichtsbarkeit und die Knäste – ohne demokratische Interventionsmöglichkeit.

Andreas Kemper: Privatstädte. Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus. Unrast Verlag, April 2022, 184 Seiten, 14 Euro

Blog des Autors: andreaskemper.org

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