Es geht auch ohne Facebook & Co

Soziale Medien sind, erst recht seit der Pandemie, nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken. Um im Internet publizieren und kommunizieren zu können, sind wir aber weitgehend auf wenige große Konzerne angewiesen, die nicht die Interessen der Nutzer*innen, sondern ihre eigenen Profitinteressen bedienen. Mit dem »Fediverse« entsteht gerade eine Alternative: dezentral, Open Source und ohne Werbung und Datensammlung.

Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz

Fediverse – eine Abkürzung für »Federated Universe« – ist ein Netzwerk verschiedener Open Source Anwendungen, die es ermöglichen, Dinge im Internet zu publizieren und dieses Universum besteht aus der Summe aller Server, die diese Anwendungen hosten. Das Flaggschiff des Fediverse ist, auch wegen der Einfachheit der Anwendung, Mastodon – eine Werkzeug zum Posten von Kurznachrichten, vergleichbar mit Twitter. Es gibt aber auch Tools für die Veröffentlichung von längeren Texten, Bildern, Videos, Podcasts oder Musik und die Ankündigung von Veranstaltungen.

André Menrath aus Graz betreibt mit einigen Freunden seit mehr als zwei Jahren einen Server, der den Zugang zum Fediverse ermöglicht. Er ist damit nicht alleine. Tausende Server stehen weltweit verstreut, auf jedem Server ist eine Instanz mit einem eigenen Domainnamen eingerichtet, auf der Nutzer*innen sich einen Account anlegen können. Manche davon sind von großen Organisationen betrieben, etwa der Europäischen Union oder der deutschen Regierung. Dort können sich die Mitarbeiter*innen registrieren und den Account für die digitale Öffentlichkeitsarbeit nutzen. In einigen deutschen Bundesländern ist es nämlich Behörden untersagt, Facebook für ihre Kommunikation zu verwenden, um Menschen nicht dorthin zu zwingen. Manche werden auch nur von einer kleinen Gruppe von Menschen in ihrer Freizeit betrieben, so wie die Instanz graz.social von André. Einige sind offen für alle, andere nur für bestimmte Gruppen gedacht.

Ein weltweit verwendetes Protokoll

Aber egal wo mensch sich registriert, es ist möglich, mit allen anderen Accounts im Fediverse zu kommunizieren. Und man braucht nur mehr einen Account für alle Anwendungen, weil alle eine gemeinsame Sprache verwenden, nämlich Activity Pub. Das ist ein Internet-Protokoll, das mittlerweile weltweit in Verwendung ist und, wie andere gängige Internetprotokolle, etwa http oder html, vom World Wide Web Consortium verwaltet wird. Längst vorbei ist also die Zeit, wo Open Source Alternativen ein Hobby für einige Internet-Nerds waren. Sie sind heute nutzer*innenfreundlich und sicher.

Auf der Webseite von Mastodon selbst gibt es eine Liste von Servern, aus denen man wählen kann. Man kann sich dabei etwa für einen regionalen Server entscheiden oder für ein bestimmtes Interessensgebiet. Wer auf diese offizielle Liste will, muss einige Bedingungen erfüllen. Es braucht etwa mindestens zwei Personen als Administrator*innen, es muss gesichert sein, dass der Server nicht von einem Tag auf den anderen abgeschaltet wird, dass es tägliche Sicherungen gibt und es gibt einige Grundregeln für die Moderation, etwa, dass aktiv gegen rassistische, sexistische, homo- und transphobe Postings vorgegangen wird. Die Grazer Gruppe hat diese Bedingungen erfüllt, und ist auf der offiziellen Liste auffindbar. Aber warum tun sie das und wie viel Aufwand steckt dahinter?

Raus aus dem Überwachungskapitalismus

Hinter all den hauptsächlich verwendeten sozialen Medien stehen die »Big Five«, die großen Internetkonzerne Google, Amazon, Microsoft, Facebook und Apple. Diese Firmen haben das Ziel Profit zu machen und diesen machen sie fast ausschließlich durch personalisierte Werbung. Während die angebotenen Dienste also den Nutzer*innen vielfältige Formen von Kommunikation ermöglichen, haben sie für die Anbieter den einzigen Zweck, die Interessen und das Verhalten der Nutzer*innen zu ermitteln. Dieses Wissen wird an Unternehmen verkauft, die dann Menschen möglichst zielgenau und zum richtigen Zeitpunkt mit der passenden Werbung versorgen, die ihr Verhalten dann auch wieder subtil beeinflusst. Es werden verschiedene Anreize eingesetzt, um Nutzer*innen möglichst lange auf den Plattformen zu halten, um möglichst viel Werbung platzieren zu können. Aufgrund des Geschäftsmodells haben Nutzer*innen auch kaum Kontrolle darüber, welche Inhalte sie sehen. Dadurch werden Menschen manipuliert, ohne es zu merken. Da diese Medien und die Werbeprodukte auch von Parteien und Politiker*innen genutzt werden, haben sie auch enormen Einfluss auf Wahlen und sind daher schädlich für die Demokratie. Solche Daten sind aber auch für Regierungen interessant, niemand kann garantieren, dass sie nicht an diese weiter gegeben werden. Die Plattformen sind zudem so angelegt, dass sie Suchtverhalten fördern, denn je mehr Zeit Menschen dort verbringen, desto mehr Werbung sehen sie, desto mehr Profit machen die Anbieter. Auch Depressionen und Minderwertigkeitsgefühle treten häufig durch exzessive Nutzung von Sozialen Medien auf.

Der Gruppe um André ist es ein Anliegen, die Vorteile sozialer Medien zugänglich zu machen, ohne diese Nachteile. Selbstverständlich wird im Fediverse keine Werbung angeboten, alle Anwendungen sind so einfach wie möglich gehalten, ohne Anreize möglichst lange auf der Seite zu bleiben. Meldungen werden streng chronologisch gereiht, kein Algorithmus pusht irgendwelche Sensationsnachrichten. »Wir wollen, dass Menschen unsere Dienste nur solange nutzen, wie sie es für ihre eigenen Zwecke brauchen.« Es werden nur die Daten gespeichert, die notwendig sind, damit die Dienste funktionieren und Nutzer*innen können auch differenziert selbst entscheiden, wer ihre Posts sehen kann. Wichtig, um das Vertrauen der Nutzer*innen zu gewinnen, ist Transparenz. Es ist auf der Webseite ersichtlich, wer den Server betreibt und nach welchen Regeln er moderiert wird.

Warum Moderation gar nicht immer so streng sein muss

Wie viel Moderation jeweils nötig ist, hängt auch davon ab, ob die Anmeldung offen ist, ob man nur einen Account bekommen kann, wenn man von einer anderen Person eine Einladung bekommt oder überhaupt nur gegen Anfrage. Das Ausmaß der Moderation ist zudem auf den Servern unterschiedlich, die Regeln, nach denen moderiert wird, werden jedoch auf der jeweiligen Webseite ersichtlich gemacht. Weil Mastodon den niederschwelligsten Einstieg ins Fediverse bietet, ist auf graz.social die Anmeldung für alle offen, die anderen Dienste sind derzeit nur nach Anfrage nutzbar, was auch mit dem verfügbaren Speicherplatz zusammenhängt.

Die Grazer Gruppe hat inzwischen Erfahrungen gesammelt. Am Beginn, als André quasi alleine war, war ihm nicht ganz wohl damit, wieviel Macht er als Admin hatte. Er ist froh, dass er jetzt Kolleg*innen hat, mit denen er sich im Zweifelsfall austauschen kann, und dass der Moderationsprozess einer Gruppe an Moderator*innen einsichtig ist. Eine Erkenntnis war aber bald, dass eine aktive Moderation eigentlich gar nicht so wichtig ist.

Einerseits gibt es viele differenzierte Möglichkeiten, mit problematischen Beiträgen umzugehen. Man kann sie etwa nur für die öffentliche Zeitleiste stumm schalten, dann sehen sie nur Personen, die der betreffenden Nutzer*in aktiv folgen. Weil es keinen Algorithmus gibt, der widersprüchliche Beiträge extra oben hält, rutschen diese zudem auch automatisch in der Zeitleiste nach unten und die Aufmerksamkeit, die der Beitrag bekommt, schwindet. In der Regel wurden nur Beiträge, die wirklich verhetzend oder beleidigend sind, gelöscht und das waren bisher sehr wenige.

Auch was »Fake News« betrifft, wird in Graz eher zurückhaltend moderiert. Erstens, »wer sind wir denn, dass wir das immer wissen können?«, zweitens gilt auch hier, man kann oft mehr Schaden anrichten, wenn man Beiträge löscht und daraus erst hitzige Streitereien entstehen, die die Meldung interessant machen. Also, erklärt André, »wir löschen generell wenig, in Grenzfällen schränken wir zunächst erst die Sichtbarkeit der Beiträge ein. Uns ist einfach eine höfliche Grundstimmung auf der Plattform wichtig. Und letztlich, niemand kann mir verbieten, dass ich etwas von ›meinem‹ Server lösche, denn wenn da etwas Gesetzeswidriges steht, bin ich ja auch dafür verantwortlich.« Bei etwa 250 aktiven Nutzer*innen auf dem Server hält sich der Aufwand also bisher in Grenzen, einmal im Tag muss aber auf jeden Fall jemand reinschauen.

Letztlich sind es aber doch diese vier Menschen, die entscheiden, was auf dieser Instanz gepostet werden darf. Auch das ist aber kein Problem, niemand ist ja auf diesem Server eingesperrt. »Wenn man sich bei uns registriert, muss man uns als Moderator*innen vertrauen oder sich ein anderes Zuhause suchen«, meint André. Denn im Gegensatz zu Facebook könne man graz.social jederzeit verlassen, sich einen anderen Server suchen, der die eigenen Bedürfnisse besser abdeckt oder ohne große Pro­bleme selbst einen aufsetzen.

Potenzial im Kultur- und Bildungsbereich

Für André sind solche alternativen sozialen Netzwerke wichtige Bausteine für eine gedeihliche Entwicklung der Gesellschaft im digitalen Zeitalter. Er sieht seinen Server als »Reallabor« in der Stadt, um die Praxistauglichkeit dieser Plattformen zu demonstrieren, die für die Menschen da sind und nicht für den Profit.

Aktuell ist die Zahl der Instanzen ständig im steigen, mittlerweile hat das Bewusstsein für die Notwendigkeit solcher Alternativen auch Regierungen und Forschungseinrichtungen erreicht. Vor allem in Kultur- und Bildungsbereich läge aus Andrés Sicht noch viel Potenzial.

Das Fazit aus dem Gespräch: Soziale Bewegungen, die sich für einen Systemwandel einsetzen, müssen für ihre Tätigkeit nicht länger jene Plattformen nutzen, die genau jenes System stützen, das sie eigentlich verändern wollen – es gibt Alternativen.

Links:

graz.social

Fediverse auf Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Fediverse

Übersicht über alle gelisteten mastodon-Server: joinmastodon.org

Titelbild: Immer mehr Menschen nutzen Mastodon. Foto: Mastodon

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