Kollektive vernetzt euch!

Ob Kneipe, Druckerei, Verlag, Poliklinik, IT-Support oder Kaffeerösterei – zum zweiten bundesweiten kollektiven Vernetzungstreffen vom 22. bis 24. April 2022 in Lübeck waren knapp 55 Menschen aus über 30 Kollektiven vertreten. Diese Bandbreite an Kollektivbetrieben vereint vor allem eins: der Kollektivgedanke.

Nadine Gerner, Café Cralle, Berlin

Er ist ein Gegenentwurf zu individualisierten, vereinzelten, ausbeuterischen und hierarchischen betrieblichen Strukturen im kapitalistischen System und der bewusste Zusammenschluss von Menschen, um sich rund um Arbeit und Leben zu organisieren. In anarchosyndikalistischer Tradition geht es zudem um das Aufbauen antikapitalistischer Alternativen im »Hier und Jetzt«. Zwar variieren kollektiveigene Vorstellungen von gesellschaftlicher Transformation, doch diese emanzipatorischen Inseln befähigen die Arbeiter*innen, selbst über ihre Produktion zu bestimmen sowie diese gemeinschaftlich zu organisieren und zu verhandeln. Instrumente hierfür sind oftmals basisdemokratische Organisations- und Entscheidungsformen wie regelmäßige Plena und Konsensprinzip.

Was ist ein Kollektiv und wenn ja, wie viele?

Nirgends steht dies festgeschrieben und die kollektive Form ist schon gar nicht rechtlich formuliert. Als Genossenschaften, GbR, GmbH oder Vereine versuchen kollektive Betriebe sich der rechtlichen Lage anzupassen und in den Schranken des Rechts den Kollektivgedanken zu praktizieren. Einige Kollektive pflegen zudem Kollektivvereinbarungen, Binnenverträge, Manifeste, kollektive Selbstverständnisse oder lose Absprachen zur Abgrenzung von »klassischen«, an Gewinn orientierten, hierarchisch organisierten Unternehmen, in denen Verantwortung(en) und Macht in den Händen einiger Weniger verbleibt. Außerdem gilt es den Weg in ein tauschlogikfreies Wirtschaften zu ebnen, welches an Bedürfnissen orientiert gesellschaftlich nützliche Produkte produziert. Dieses Leitmotiv treibt viele Kollektive schon lange an.

Auf dem Vernetzungstreffen war die Frage nach »dem richtigen Kollektiv« im Herzen einer Fishbowl-Diskussion, denn es scheint einen Trend zum Kollektiv und der Aneignung des Kollektivbegriffs zu Verwertungszwecken zu geben, da sich das Konzept besonders gut vermarkten lässt. Die Angst, dass »Kollektivwashing« die zentralen Pfeiler und die Geschichte des Kollektivgedanken verwäscht, wurde von vielen Kollektiven geteilt. Für viele anwesende Betriebe ist eine emanzipatorische Gesellschaft und ein gutes Leben für alle ohne kollektive Strukturen nicht denkbar. Kollektive als real existierende funktionierende alternative Wirtschaftsformen stellen Hierarchien und herrschende Eigentums- und Produktionsverhältnisse in der alltäglichen politischen Praxis infrage. Diese kollektive Praxis bewegt sich allerdings immer wieder im Spannungsfeld mit hegemonialen, neoliberalen Arbeitsformen, prekären Beschäftigungs- und Anstellungsverhältnissen, existentiellen Bedrohungen am Wohnungsmarkt und Unterförderung, gar Verdrängung linker Projekte.

Kollektiv Leben und Arbeiten im Kapitalismus

Hierbei ist das Balancieren vieler Kollektive zwischen den eigenen politischen Idealen und der kapitalistischen Realität oftmals ein Drahtseilakt. Wie können wir Lohngerechtigkeit erreichen und garantieren, wenn wir eventuelle rote Zahlen schreiben? Können Kollektivmitglieder von ihrem Kollektivlohn leben oder braucht es einen »normalen« Job außerhalb des Kollektivs, um zu (über-)leben?

Nicht zuletzt muss die Frage der sozialen Absicherung auch mit Blick auf das Älterwerden gestellt werden. Oftmals herrschen in Kollektiven prekäre Anstellungsverhältnisse, die Frage nach der Rente und der sozialen Absicherung im Alter, im Fall von Arbeitsausfällen, bei Sorgeverantwortlichkeit oder Krankheit ist daher essentiell. Ein Nachdenken über alternative Absicherungen oder eine Kollektivrente muss weiter forciert werden und kann gerade im Austausch mit anderen, vor allem erfahrenen Kollektiven fruchtbar sein.

Fragend schreiten wir voran zum nächsten Treffen!

Ziel des Kollektivvernetzungstreffens ist es, größere Strukturen aufzubauen und den Zusammenhalt von Kollektivbetrieben zu stärken, denn in einem System, in dem linke Betriebe und Projekte kontinuierlich unterfördert, gar verdrängt werden, haben es gerade Kollektivbetriebe nicht leicht. So erklärte ein Kollektivbetrieb: »Wenn alle Kollektivbetriebe bei uns einkaufen würden, hätten wir keine Geldprobleme.« Für einander sichtbar zu werden und sich kennenzulernen, kann auch lokale oder überregionale wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kollektiven ermöglichen. Eine Frucht des Vernetzungstreffens waren erste Bestrebungen, sich auf lokaler Ebene weiter zu vernetzen. Weiter besteht bundesweit Lust auf Vernetzung zu konkreten Themen (zum Beispiel sexualisierte Gewalt, interne Machtverhältnisse). Die bisherige Vernetzung motiviert bereits jetzt eine kleine Gruppe, die das nächste Treffen im April 2023 vorbereitet – in der Hoffnung, noch mehr Betriebe zu erreichen.

Kontakt für interessierte Kollektive: kollektivvernetzung@kollektivliste.org

Titelbild: Pixabay

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