Die neokoloniale Illusion wirksamer Klimapolitik

Auf einer Fahrrad-Demonstration über die Autobahn in Bremen hielt unser Autor den folgenden Redebeitrag. Die Demonstration war Teil der bundesweiten Aktionstage für eine Mobilitätswende vom 4. bis 6. Juni.

Johann Bergmann, Bremen

In diesem Beitrag geht es mir darum aufzuzeigen, dass wir das Stoppen der Erderhitzung und ein gutes Leben für alle selbst in die Hand nehmen müssen. Es bringt nichts, darauf zu warten, dass die Politiker*innen handeln. Ihr Handeln wird den Anforderungen nie gerecht. Es ist immer neokolonial und fördert die Großkonzerne, die bis heute von der Zerstörung der Lebensgrundlagen auf der Erde profitieren. In der Regel ist diese Politik dazu noch anti-sozial, belastet auch hierzulande die Armen.

Rot-Rot-Grün in Bremen zeigt das mit seiner Politik deutlich auf. Der größte Haushaltsposten ist die Sanierung des Flughafens. Die Koalition produziert mit ihrer Verkehrspolitik immer mehr Autoverkehr. Baumaßnahmen wie der Ausbau der A1 auf bis zu acht Spuren, die Fertigstellung des Autobahnringes um Bremen mit der A28 und dem Wesertunnel sind dazu wichtige Schritte. Auf der anderen Seite stehen einige groß beworbene kleine Schritte für Radverkehr und Verkehrsberuhigung.

Europaweit sind es die Förderung des Elektro-Autos und die smarte Mobilität, also das selbstfahrende Auto, ein Groß-Projekt zur Überwachung, die Europa zur Klimaneutralität verhelfen sollen. Aber: Elektro-Autos machen Städte leiser, vermindern die Feinstaubbelastung, tragen aber nichts zum Klimaschutz bei. Das selbstfahrende Auto wird unter anderem den Energieverbrauch deutlich steigern.

Bremens Rot-Rot-Grün ist darüber hinaus Impulsgeber für die Verpflichtung, bei allen Neubauten bessere Dämmung und Solarpanels vorzuschreiben. Das soll jetzt auch bundesweit Gesetz werden.

Vor einem Monat legten EU-Kommission, Verfassungsgericht und Bundesregierung sogenannte Meilensteine der Klimapolitik vor, Klimaneutraliät bis 2050/2045. Die taz lobt die Bundesregierung als ehrgeizig und als Umwelt-Turbo der CDU. Wird hier der Wendepunkt fürs Klima eingeleitet?

Die Propaganda erzählt uns, dass die Industriestaaten ihren CO2-Fußabdruck deutlich verringern. 1990 betrug der CO2-Ausstoß der BRD 1.252 Millionen Tonnen. Bis 2019 wurden 400 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß eingespart. Ein Viertel davon entfällt auf die ersten beiden Jahre, die Abwicklung der DDR.

Weniger produzieren, aber mehr verbrauchen

Den größten Einfluss haben Verlagerungseffekte. Sie sind Ergebnis des Umbaus der Industriegesellschaft. Vielfach wurde Produktion, in den 1970ern beginnend, verstärkt ab Mitte der 1980er, in den reichen Ländern abgebaut und in den Globalen Süden verlagert. Die BRD hat zum Beispiel von 1980 bis 2015 ihre extrem klimaschädliche Aluminium-Produktion fast halbiert, ihren Verbrauch aber extrem gesteigert. Sie ist mit 40 kg Aluminium pro Kopf Weltmeister im Verbrauch. Die CO2-Emissionen dafür werden aber Ländern wie der VR China oder Mosambik angerechnet.

Eine Studie von 2011 kam »zu dem Ergebnis, dass der Anstieg der Emissionen aus Gütern, die in Entwicklungsländern produziert, aber in Industrieländern konsumiert werden, sechsmal größer war, als die Emissionseinsparungen der Industrieländer«. Das ist der »Rich-Country-Illusion-Effect«.

Die VR China lagert auch einiges ihrer Klimabelastung aus. China produziert und verbraucht gut die Hälfte des weltweiten Zements und Stahls. Damit baut die VR China als Niedriglohn-Standort eine Infrastruktur auf, die wesentlich auf den Weltmarkt, auf die Versorgung der reichen Industriestaaten ausgerichtet ist.

Extraktivismus auf dem Rücken der Indigenen und Armen

Der Globale Süden ist seit der Kolonialzeit vor allem Rohstoffexporteur. Ein Viertel der CO2-Emissionen Kolumbiens zum Beispiel entfallen heute auf den Export von Erdöl und Kohle, zwei Produkte des extraktivistischen Rohstoffsektors. Sie belasten Kolumbiens CO2-Bilanz, nicht die der Importeure, wie zum Beispiel der BRD. Zum Export gehören viele Hunderte Morde, unzählige Vertreibungen, Vergiftungen usw. Die große Kohle-Mine Cerrejon verbraucht täglich 17 Millionen Liter Wasser. Für die Menschen und ihre Landwirtschaft in der Region bleiben so nur ca. 0,7 Liter pro Person. Der größte Fluss der Region, der Arroyo Bruno, soll umgeleitet werden. Damit verlören 30 indigene Wayuú-Gemeinschaften ihre letzten Wasser-Zugänge. Wayuú-Frauen kämpfen gerade dagegen. Überall im Globalen Süden wird der Extraktivismus für unseren Wohlstand auf dem Rücken von Indigenen und Armen durchgeführt.

Der neuerliche Umbau der Industriegesellschaft in Richtung Erneuerbare Energien und Klimaneutralität wird den Extraktivismus in andere Rohstoff-Bereiche verlagern und sogar noch verschärfen. Eine Studie von Tobias Kind et al von 2018 berechnete: »Für eine äquivalente installierte Erzeugungskapazität werden für Solar- und Windsysteme bis zum 15-mal mehr Beton, 90-mal mehr Aluminium und 50-mal mehr Eisen, Kupfer und Glas benötigt als für konventionelle Energiesysteme.« Die Steigerung des CO2-Ausstoßes über den sich ausdehnenden Bergbau und die damit verbundene Land-Umnutzung wird wesentlich den Ländern des Globalen Südens in Rechnung gestellt. Der weltweite CO2-Ausstoß steigt weiter. Die reichen Industriestaaten aber können sich als »klimaneutral« feiern.

Einfach weitermachen wie bisher

Der Propagandabegriff Klimaneutralität ist wichtig dafür, dass das möglich wird. Klimaneutralität bedeutet nicht, dass keine Klimagase ausgestoßen werden. Sie können auch vollständig kompensiert werden. Die zweite Möglichkeit reißt neokoloniale Hintertüren weit auf. Die wichtigsten sind CDM und Redd+. CDM ermöglicht es Unternehmen, ihren CO2-Verbrauch durch Investitionen im Globalen Süden klein zu rechnen. REDD+ soll Länder des Globalen Südens dafür belohnen, dass sie Wälder schützen und damit CO2-Emissionen vermindern. Konzerne können also dank CDM und REDD+ einfach weitermachen wie bisher. Die rein rechnerischen CO2-Einsparungen werden dann im Globalen Norden gutgeschrieben.

Das dritte Mittel, das wesentlich zur Klimaneutralität beitragen soll, sind Großtechnologien, die teils noch in der Entwicklung stecken: CO2 soll aus Luft und Kraftwerken abgeschieden und unter der Erde verpresst werden. Das kann eine tödliche Falle werden, weil das CO2 wieder austritt. AKWs, Eisendüngung des Meeres und noch destruktivere Methoden des Geo-Engineering gehören auch dazu. Alle dies Maßnahmen haben sehr große Risiken, die wir im Band 2 von unserem Buchprojekt »Befreiung vom Geld und Eigentum« diskutiert haben.

Die globale Ausbeutung muss beendet werden

Alle politischen Parteien, bieten uns also nur den Schein von Veränderung an. Die Destruktivität des warenproduzierenden Patriarchats bleibt. Schon der Anarcho-Kommunist Kropotkin schrieb 1901: »Repräsentative Demokratie entspricht der Herrschaft des Kapitals.« Über Wahlen kann deshalb höchstens eine Modernisierung des Herrschaftssystems erreicht werden, wie es die Grünen mit dem »Green New Deal« oder die CDU mit dem »Green Deal« versprechen.

Das Gute Leben für Alle weltweit, ein Ende des Artensterbens, der Erderhitzung oder auch die Reduzierung der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Pandemien erfordert die Überwindung der herrschenden Ordnung. Kropotkin schrieb bereits 1892, dass mit einer sozialen Revolution sofort die globale Ausbeutung beendet werden muss, der damit verbundene Ressourcenzufluss beendet wird und den Menschen des Globalen Südens damit »gestattet« wird, sich selbst zu emanzipieren.

Juli, eine Aktivistin von Ende Gelände schreibt: »Die Ausbeutung unseres Planeten funktioniert nach denselben Prinzipien wie die Ausbeutung von Menschen. Darum können wir das eine nicht ohne das andere abschalten. Und das bedeutet nicht weniger als das gesamte patriarchale, kapitalistische Getriebe aus den Angeln zu heben.«

Es kann keinen Masterplan für den Aufbau einer herrschaftsfreien Re_Produktion geben. Aber: Eigentum, Geld und Warenverhältnisse als Triebfedern der Zerstörung müssen entsorgt werden. Und, wie DeCOALonize Europe 2019 schrieb: »Um unsere Vorstellungen von einem guten Leben zu dekolonialisieren, müssen wir von dekolonialen Konzepten lernen.«

Im Abschnitt »Die utopische Perspektive« im noch unveröffentlichten Band 5 unseres Buchprojektes »Befreiung vom Geld und Eigentum … und warum das noch lange nicht reicht« formulieren wir Grundzüge einer offenen Utopie. Eine offene Utopie, die im Sinne des zapatistischen »Eine Welt, in die viele Welten passen« auf lebendige Vielfalt setzt. Die Zeit von Mobilität per Auto und Flugzeug geht zu Ende, wenn es weiter ein vielfältiges Leben auf der Erde geben soll. Dazu brauchen wir den vollständigen Bruch mit den herrschenden Verhältnissen.

Buchprojekt »Befreiung vom Geld und Eigentum«: https://befreiungvomgeldundeigentum.blackblogs.org

Titelbild: Die Abschlusskundgebung der Raddemo in Bremen am 5. Juni 2021 fand auf dem Marktplatz statt – zeitlgeich mit dem lokalen Klimacamp. Foto: Johann Bergmann

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