»Es ist ein gemeinsamer Kampf«

Seit einem Jahr läuft in Wolfsburg eine intensive Kampagne rund um eine sozial-ökologische Transformation des Volkswagen-Konzerns, eine Verkehrswende in und um Wolfsburg. Es ist ein Versuch, Arbeitskämpfe und ökologische Kämpfe zu verbinden. Das erklärte Ziel dabei: Volkswagen wird umgebaut zu einem gemeinwohlorientierten Kooperativ-Betrieb, in dem zum Beispiel Straßenbahnen produziert werden. Ein Zwischenstand.

Ruben Gradl, Wolfsburg

Als Ausgangspunkt und Hintergrundinfrastruktur für die Kampagne startete eine kleine Runde an Menschen im Sommer 2022 ein Projekthaus in Wolfsburg: die »Amsel44«, benannt nach der Adresse im Amselweg 44. Als offenes Projekthaus steht es seitdem mitten in der Stadt für verschiedenste Gruppen und Einzelpersonen zur Verfügung, die in und um Wolfsburg an Polit-Projekten werkeln.

Nach dem Abwehrkampf gegen den Neubau einer Elektroautofabrik konnten die Verkehrswende-Aktiven nach Absage des Trinity-Werk-Projekts im November 2022 dann endlich zu 100 Prozent in die Offensive gehen: Volkswagen soll vergesellschaftet und zu einem VerkehrsWende-Betrieb umgebaut werden. Für diese Idee werben Aktive in Wolfsburg seit nunmehr einem Jahr mit kreativen Aktionen.

Mit disruptiven Aktionen (im Februar 2023 wurde ein Autozug gekapert und als Straßenbahn verkleidet, im Juni, Juli und August gab es Blockade-Aktionen rund um Stammwerk und Zulieferbetriebe), manchmal mit subversiven Aktionen (Verteilung von Stellenanzeigen in der Straßenbahn-Montage bei Volkswagen, Kommunikationsguerilla), mit Vorträgen und Workshops, mit einem großen Verkehrswende-Camp in der Innenstadt, mit einem Verkehrswende-Plan für Straßenbahn- und Fahrradstraßennetz in Wolfsburg, mit Infoständen und aufmerksamkeitserregenden Aktionen auf der Straße. Längst sind es nicht mehr nur Öko-Aktivist*innen, sondern vielfältige Zusammenhänge von Beschäftigten, Wolfsburger*innen, Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen aus verschiedensten Gruppen, die sich für eine Transformation der Autoindustrie in und um Wolfsburg einsetzen.

Seit Beginn der Kampagne versuchen die Verkehrswende-Aktiven, nicht nur die Beschäftigten direkt, sondern die IG Metall als Partnerin in der Kampagne zu gewinnen. Gute Gründe für eine Zusammenarbeit sind aus beiden Perspektiven eigentlich offensichtlich: Die kapitalistische (Auto-)Industrie zerstört Ökosysteme überall auf dem Planeten. Aber nicht nur das – die Beschäftigten der Autoindustrie sind weltweit ebenfalls Opfer einer Krise, auch bei Volkswagen. Trotz jährlicher Gewinne in Milliardenhöhe haben sich die IGM und VW auf einen langfristigen Stellenabbau geeinigt. Alleine in Wolfsburg sollen 15.000 Arbeitsplätze für immer verschwinden. Ein fauler Kompromiss, angeblich um den Standort zu sichern.

Ein echter sozial-ökologischer Umbau des großen Konzerns braucht nicht nur die Unterstützung, sondern die aktive Mitarbeit der Beschäftigten. Dort liegt geballtes Knowhow sowohl in technischen als auch in organisatorischen Fragen. Die Beschäftigten im Gegenzug erhalten im Kampf für langfristig gute und sinnvolle Arbeit Rückhalt und Unterstützung aus der Klima- und Öko-Bewegung, welche wiederum die gesamtgesellschaftliche Relevanz der Auseinandersetzung unterstreicht.

Andere haben es schon vorgemacht: »Wir fahren Zusammen« ist eine Kampagne von Ver.di und Aktiven aus der Klimabewegung. Oder ein noch progressiveres Beispiel bei GKN in Florenz: Die Autoteilefabrik wird im Sommer 2021 über Nacht geschlossen. Arbeiter*innen besetzen die Fabrik, vernetzen sich mit der Klimabewegung Sie wollen ihren Arbeitsplatz in eine ökosozialistische Fabrik umwandeln, die von den Arbeiter*innen selbst betrieben wird und Solarpaneele oder Lastenfahrräder herstellt.

Zum ersten Arbeitstag nach den Betriebsferien startete die IG Metall Wolfsburg eine progressive Kampagne unter dem Titel »Unsere Arbeit, unser Werk«, mit der sie für einen Drei-Punkte-Transformationsplan warb:

1. Transformation selbst gestalten – transparentere und aktivere Gewerkschaftsarbeit

2. Konversion – Umbau von der Auto- zur Mobilitätsindustrie und

3. die Vergesellschaftung des Volkswagen-Konzerns

Mit Flyern an alle Mitglieder, öffentlichen Aushängen sowie einer Internetseite wurde für die Kampagne sowie die Teilnahme an einer Auftaktveranstaltung geworben. Leider dementierte die IG Metall noch am selben Tag die Urheberschaft an der Kampagne und erklärte, es handle sich um ein gut gemachtes Fake. Schade eigentlich. Verkehrswende-Aktive nutzten die Aktion wiederum als Aufhänger, um die IG Metall an ihre Rolle zu erinnern. Schließlich hat sie sich in Paragraf 4 ihrer Satzung sogar die Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien als Ziel gesetzt.

Auch ohne den aktiven Vorstoß der Gewerkschaft suchen die Verkehrswende-Aktiven immer den Kontakt und Austausch mit Beschäftigten. Über regelmäßige Ansprachen an Werkstoren, Aufrufe zur Beteiligung, Rundschreiben und Aushänge wird immer wieder klar gemacht: Das ist ein gemeinsamer Kampf. Das ist natürlich mühseliger als die bereits etablierten Kommunikationskanäle der Gewerkschaft zu nutzen. Es hat aber den Vorteil, dass Kommunikation so dezentral und daher unzensiert abläuft.

Nach einem Jahr Kampagnenarbeit ist unserer Beobachtung nach das Zwischenziel erreicht, dass die meisten Beschäftigten und Bewohner*innen der Stadt Wolfsburg von den Ideen eines Produktionsumbaus auf öffentliche Verkehrsmittel und einer Vergesellschaftung des Konzerns gehört oder sogar darüber diskutiert haben. Die Auseinandersetzung ist in vollem Gange.

Link: https://verkehrswendestadt.de/

Titelbild: Kundgebung für einen sozial-ökologischen Umbau von Volkswagen vor dem VW-Tor Sandkamp: Die Fahrrad-Aktions-Gruppe »Tour de Verkehrswende« demonstriert gemeinsam mit Beschäftigten und Verkehrswende-Aktiven aus Wolfsburg. Foto: Ruben Gradl

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