Solidarität ist gesund!

Es passt zum neoliberalen Zeitgeist, dass Gesundheit vor allem mit individuellem Verhalten in Verbindung gebracht wird. Doch ein gesundes Leben lässt sich nicht alleine führen: Wir sind abhängig von anderen, die sich um uns kümmern, wenn wir Unterstützung brauchen. Und wir sind angewiesen auf Lebensbedingungen, die unserer Gesundheit zuträglich sind – und die müssen wir gemeinsam gestalten.

Regine Beyß, Redaktion Kassel und Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz

Die Caritas hat 2013 in einer »Mixtur für ein gesundes Leben« dargestellt, welche Faktoren einen Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Bewegung, Ernährung, medizinische Versorgung und Vorsorgeuntersuchungen tauchen darin natürlich auf. Aber daneben stehen auch: die Wohnsituation, die Arbeitsbedingungen, der Zugang zu Bildung, gesellschaftliche Teilhabe, Grünflächen, Parks und eine geringe Schadstoffbelastung. Zusammenfassend schreibt die Caritas: »Die Gesundheitschancen sind trotz der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland nicht gerecht verteilt.« Und hinzukommt: Die bestehenden Strukturen werden immer stärker an Profitinteressen statt am Gemeinwohl ausgerichtet.

In unserem Schwerpunkt wollen wir diese Situation aus verschiedenen Perspektiven betrachten – eine Situation, die sich seit Jahren verschärft und im Zuge der Corona-Pandemie noch einmal deutlicher zu Tage getreten ist. So führt die Ökonomisierung des Gesundheitswesens zum Beispiel dazu, dass Krankenhäuser geschlossen werden und die Zahl der Intensivbetten sinkt. Statt nach dem Kostendeckungsprinzip funktioniert die Finanzierung inzwischen vor allem über Fallpauschalen. Darüber berichtet für CONTRASTE die Initiative »Gemeingut in BürgerInnenhand« (Seite 9). Die Sparmaßnahmen verschärfen gleichzeitig die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte – und machen es ihnen unmöglich, ihre Patient*innen so zu versorgen, wie diese es bräuchten. Dagegen demonstriert nun schon seit September 2020 regelmäßig der »Walk of Care« vor dem Bundesgesundheitsministerium in Berlin (Seite 9).

Doch es geht auch anders: Selbstorganisierte Strukturen machen vor, wie eine solidarische Gesundheitsversorgung vor Ort aussehen kann. Im »Poliklinik Syndikat« organisieren sich Kollektive aus verschiedenen Städten, die in ihren Kiezen breit aufgestellte Gesundheitszentren aufbauen und betreiben. Für die Aktivist*innen ist die soziale Ungleichheit der entscheidende Faktor, um gesundheitliche Ungleichheit zu bekämpfen. Das Beispiel der Poliklinik im Hamburger Veddel zeigt das Modell einer anderen Gesundheitsversorgung: im Stadtteil verankert, gemeinwohlorientiert, interdisziplinär (Seite 10).

Ein Element davon ist das Konzept der »Community Health Nurses« (Seite 12). Auch Medibüros bieten in vielen Städten Deutschlands schon ihre Unterstützung an, vor allem für Menschen ohne Papier oder Krankenversicherung, die im derzeitigen System keinen sicheren Zugang zur Gesundheitsversorgung haben (Seite 12).

Frauengesundheitszentren sind aus der zweiten Frauenbewegung hervorgegangen (Seite 11). Sie nehmen ebenfalls gesellschaftliche Bedingungen für Gesundheit in den Blick und haben es sich zum Ziel gesetzt, Frauen wieder zu Expert*innen für ihren eigenen Körper zu machen und sie der Medikalisierung und Pathologisierung von Medizin und Pharmaindustrie zu entziehen. Dazu gehört auch der Umgang mit Geburten. Der Verein »Mother Hood« (Seite 11) macht sich stark für eine selbstbestimmte Geburt und für eine familienorientierte Geburtshilfe.

Titelbild: Walk of Care am 12. Mai 2021 in Berlin zum internationalen Tag der Pflege. Foto: Karl-Ludwig Reuter


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