Die Kunst (nicht nur) des Klebens

Plakate sind Medien für den öffentlichen Raum, »spezielle Medien für Meinungen und Botschaften und in Zeiten geläufiger, in denen besonders gestritten wird«, notiert Martin Stankowski in der Einführung zur Ausstellung »AnSchläge. Fünf Jahrzehnte politische Plakate in Köln«. Ein Besuch.

Wolfgang Hippe, Köln

Ein Plakat ist »kostenlos zu lesen und erreicht viele. Es ist einfach herzustellen und meinungsstark«. Und es kann problemlos an »Bauzäunen, Häuserwänden, Bahnunterführungen oder Litfaßsäulen« platziert werden, auch wenn das Ankleben da und dort eine Verfolgung wegen »Sachbeschädigung« nach sich ziehen könnte (und kann). Das ist die einfache Version. Vor Gericht gestritten wurde und wird auch schon mal über die plakative Botschaft, was mit zusätzlicher Publizität verbunden ist. Aktuelle Beispiele dafür gibt es zuhauf.

Eine in der Ausstellung weiter präsente (historische) Variante des Plakats ist die »Wandzeitung«, mit der etwa Flugblätter in großem Format reproduziert und verklebt wurden. Daneben haben auch andere Medien für die damals so genannte »Gegenöffentlichkeit« im Sinne der Initiativen gesorgt: das »Kölner Volksblatt« (Start: 1973) oder das Videomagazin »Kölner Wochenschau« (Start: 1976 als »erstes politisches Videoformat der Bundesrepublik«). Aus dem Redaktionsarchiv des Volksblattes entstand schließlich das KölnArchiv, das Materialien der politischen und sozialen Bewegungen der Stadt zusammenführte und aus dessen Bestand als Basis die Ausstellung entwickelt wurde.

Titelseite des Kölner VolksBlatts vom Januar 1976. Das Blatt wurde von den vielen Bürger­
initiativen monatlich als Blatt »von unten« herausgegeben, um darüber zu informieren, was
in der damaligen Presselandschaft nicht zu finden war. Die alternative Zeitung erschien von
1974 bis Ende der 90er Jahre. Montage: Gernot Huber

Eines der übergreifenden Themen ist die Gestaltung der Plakate selbst, Fragen der Typografie, der präzise Umgang mit wenig Text und der Einsatz von Fotos. Im »Volksblatt« waren »Fotoseiten« Teil des redaktionellen Konzepts, eben weil »Fotos und Bilder immer ein zentrales Medium der öffentlichen Kommunikation« seien, so Stankowski. Volksblatt, Wochenschau und Plakatproduktion waren personell eng verbunden, Zentrum dabei der alternative DruckBetrieb in Köln-Niehl.

Visualisierte Geschichte

In den 1970er Jahren galt Köln als ein Hotspot der »Alternativbewegung« mit einer Vielzahl von Initiativen, die sich in Sachen Gegenöffentlichkeit (»Enteignet Springer«), Stadtteil­arbeit, Hausbesetzungen und dem Kampf gegen Obdachlosigkeit engagierten, die Zustände in der Psychiatrie kritisierten oder in der Frauenbewegung, dem Kampf gegen Krieg für Frieden, dem Einsatz für einen »kritischen Katholizismus« oder in der Ökologie-Bewegung aktiv waren.

Die Ausstellung gliedert sich entsprechend. Neben der Vorstellung der Macher (Druckbetrieb, Zeitung, Grafiker, Fotografen) werden in zwölf Abteilungen die einschlägigen Themen präsentiert – unsentimental und treffsicher. Mit dem Slogan »Es geht ums Geld und nicht ums Leben« wird etwa das Thema Abtreibung aufgenommen: der »§ 218« wird auf einer Geldmünze vorgestellt: »Geld für Ärzte. Arbeitskraft für Unternehmer. Futter für Kanonen.« Geld regnet es auch im wahrsten Sinne des Wortes bei den »GeldAnschlägen«. In hoher Auflage wurden verschiedene imitierte »1.000 DM«-Scheine gedruckt und etwa als »Muelheimer Sanierungsgeld« ausgegeben.

Breiten Raum nimmt die Dokumentation der Aktivitäten der Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK) und der Sozialistischen Selbsthilfe (Köln-) Mülheim SSM ein. »Kaum eine Initiative, kaum ein Projekt in Köln hat eine so reiche Geschichte« wie diese Gruppen: »Die Aktionen von SSK/SSM wurden immer und von Anfang an öffentlich erklärt, begründet, es wurde um Unterstützung gebeten und im Clinch mit Behörden, Polizei, Hausbesitzern oder Gerichten wurde über die Forderungen und Strategien informiert. Plakate wurden zum zentralen Medium«, so dass über die Jahre ein »Gesamtausstoß« von mehr als 300 verschiedenen Plakaten erreicht wurde – so im Ausstellungskatalog nachzulesen. Die Plakate spiegeln die Aktivitäten und Kampagnen gegen Heimerziehung und Psychi­­­­atrie, gegen Obdachlosigkeit und Wohnungsnot. Zum Kampf gegen Leerstände und Abrisse gehörten auch die »Aufdeckung von Spekulation, Kritik an Banken und Versicherungen, die daran beteiligt waren«.

Plakate waren dabei für die Herstellung von Öffentlichkeit von zentraler Bedeutung. Sie informierten direkt vor Ort und funktionierten fast wie die »Sozialen Medien« heute: »Oft wurden sie über Nacht hergestellt und schon im Morgengrauen geklebt.«

Fotos dokumentierten dazu die Aktion, etwa als SSK/SSM die Stadt Köln über leerstehenden Wohnraum informierte und die Stadt wegen »fehlendem Personal« nicht reagierte. In einem besetzten Haus wurde sofort ein »Beschwerdebüro« zur Unterstützung der Verwaltung eingerichtet.

Ein Hauch von Satire umwehte 1976 auch die Kampagne gegen den Bau des Museums Ludwig neben dem Dom – nicht wegen der Kunst, sondern wegen der Kosten. Man bot dem Stadtrat dazu eine eigene »Kunstschenkung« an und eröffnete als Alternative das »Neue Museum Ludwig« in einer leerstehenden Schule.

Aber auch Positives wurde sofort vermeldet, etwa, als man nach 13 Jahren Besetzung einen Mietvertrag mit der Stadt, der Eigentümerin des Gebäudes, abschließen konnte.

Kunst, Symbolik, Agitprop

Wenn denn »die Straße« oder »der öffentliche Raum« Nährboden und Wirkungsstätte des politischen Plakates ist und es »aus diesem Paradies« nicht vertrieben werden darf, wie Louis F. Peters als »Sammler der politischen Plakatkunst im Umfeld des Pariser Mai ´68« im Ausstellungskatalog vermerkt, bleibt die Frage, was die Qualität von Plakaten in heutigen digitalen Zeiten ausmacht. Ohne Zweifel ist der analoge Raum auch heute noch von Bedeutung. Bilder oder Plakate können Aufmerksamkeit erringen und dabei auf Informationen hinweisen, vielleicht Denkprozesse anstoßen, mehr noch: »Hier geht es nicht nur um bloße Aufklärung und Meinungsvermittlung, und es muss überzeugt und mitgerissen werden«, so Peters. Dazu gehört eine gewisse spielerische Kreativität ebenso wie eine gewisse Distanz zu kommerziellen Angeboten. Gefragt ist ein »Ideenschmuggel«, denn, so wiederum Martin Stankowski im Katalog zusammenfassend: »Das Medium ist nicht die Botschaft, sondern fügt sich der Botschaft, der Absicht und dem Nutzer.« Es gilt also, genau hinzusehen.

Die Ausstellung »AnSchläge. 5 Jahrzehnte politische Plakate in Köln« ist vom 31. Oktober bis 24. November 2021 jeweils mittwochs und freitags von 17 bis 19 Uhr, samstags von 14 bis 17 Uhr und sonntags von 11 bis 14 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Ort: Kunsträume Horbach, Wormser Str. 23, 50677 Köln

Der Katalog zur Ausstellung: Jochen und Martin Stankowski »Anschläge. Plakate aus 5 Jahrzehnten« ist im Verlag der Buchhandlung Walther König in Köln erschienen.


Titelbild: Der Klebetrupp des Kölner-SSK macht öffentlich: Das neu geplante »Museum Ludwig« kostet Millionen DM, während das Soziale darniederliegt. Foto: Gernot Huber

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