»Wunder geschehen immer wieder?«

»Dieses Haus ist dem spekulativen Wohnungsmarkt nun dauerhaft entzogen.« Ein eher beiläufig geäußerter Satz beim ersten Tag der offenen Tür führte zu einem spontanen, intensiven Applaus aller Anwesenden im Eingangsportal. Die Kumi*13, das neu entstandene Hausprojekt des Miets­häuser Syndikats im Schöneberger Norden, hatte Anfang Dezember 2019 die Nachbarschaft und die interessierte Öffentlichkeit eingeladen, die gerade erworbene und in selbstverwaltetes Gemeineigentum überführte Immobilie zu besuchen und über die entstehenden Möglichkeitsräume gemeinsam zu diskutieren.

Holger Lauinger & Steffi Müller, KUMI*13

Angesichts des überhitzten Berliner Wohnungsmarkts ist das ein außergewöhnliches Angebot. Sind doch die Lebensräume im Berliner Innenstadtbereich gegenwärtig massiv durch gegenläufige Tendenzen gekennzeichnet: rapide steigende Bodenpreise und Mieten und eine latente Verdrängung von finanziell schwächer aufgestellten Bevölkerungsschichten oder Institutionen prägen die Stimmung. Diese bedrohlichen Prozesse wirken aktuell ebenso im erweiterten Umfeld von Potsdamer Straße, Kurfürstenstraße und Bülowstraße, der unmittelbaren Nachbarschaft der Kumi*13. Kapitalstarke Player wie beispielsweise der Konzern Sony Music oder die Lagrande Group drängen mit Großprojekten in den Kiez, während kleinere Institutionen wie die selbstverwalteten Jugendzentren Potse und Drugstore (siehe Artikel auf Seite 3) vor dem Aus stehen.

Elemente für das Gelingen

Die wundergleiche Geschichte der Kumi*13 gründet auf einem äußerst seltenen Phänomen: Ein mondänes fünfstöckiges Schöneberger Bürgerhaus (Baujahr 1875) mit zwei Höfen, Werkhalle, kleiner Remise und einer Tiefgarage (Baujahr ca. 1929) ist zu Beginn des Jahres 2019 mit seinen Wohn- und Gewerbeflächen nicht voll ausgelastet. Die denkmalgeschützte Immobilie befindet sich in sehr unterschiedlichen Sanierungszuständen. Die nutzbaren Flächen werden zu diesem Zeitpunkt von fünf Mietparteien wie auch der Eigentümerin und ihrer Tochter belegt. Für die Eigentümerin im Seniorenalter ist es eine kürzlich erfahrene Erbschaft, für die eine stattliche Erbschaftssteuer ansteht. Sie muss sich entscheiden, ob sie die Immobilie verkaufen oder die Verwaltung des Hauses lukrativ entwickeln will. Zu Beginn des Jahres teilt sie ihren Mieter*innen ihre Verkaufsabsicht mit.

1. Die Gruppe

Hausverein Kumi*13

Das eindrucksvolle Haus birgt erkennbar mehr Entwicklungspotential und eine Mieterin weiß von der sozialen Raumaneignungsstrategie des Mietshäuser Syndikats. Freund*innen, Bekannte und die anderen Mieter des Hauses werden daraufhin angesprochen. Es bildet sich eine Gruppe von zwölf Personen, unter ihnen drei Mietparteien des Hauses. Ein Großteil der Gruppe kennt sich untereinander bisher nicht. Viele sind im weitestgehenden Sinn »Kunst- und Kulturschaffende«. Sie sehen in der Aneignung der Immobilie die Chance, einen Ort zu entwickeln, an dem mit Mitteln der Kunst soziale Praxis gelebt werden kann. Individuelle und soziale Handlungsspielräume sollen neu gedacht und erweitert werden, der Ort soll in den Kiez wirken. Ihr Augenmerk legt sich dabei auch auf die Potentiale der baufälligen Werkhalle, die auch nach der Sanierung als ein »Experimentierfeld der Selbstorganisation« von einem Verwertungsdruck freigehalten werden soll. Für das Hausprojekt »Kumi*13« sind sie auch bereit, absehbar mehr Miete zu bezahlen als an ihren bisherigen Wohnstätten. Gleich einer »Taskforce« bildeten sie eine geschlossene Gruppe bis zum erfolgreichen Abschluss des späteren Hauskaufs. Ihre Stärken: Lernbereitschaft, Vertrauen zueinander, Bemühen um Aufmerksamkeit und Kommunikationskultur.

2. Milieuschutz

Der Schöneberger Norden ist ein ausgewiesenes soziales Erhaltungsgebiet. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist genehmigungspflichtig. Luxusmodernisierungen und Zusammenlegungen von Wohnungen können untersagt werden. Die Investor*innen sehen für sich keine profitbringende Entwicklungschance der Immobilie in der Kurmärkischen Str. 13 und springen ab.

3. Moderate Eigentümerin

Der Verkaufspreis wurde ohne Verhandlungen auf vier Millionen Euro festgelegt. Allein der Bodenwert war zu diesem Zeitpunkt schon höher. Nach dem Verkauf unterstützte die ehemalige Eigentümerin das Hausprojekt mit einem relevanten Direktkredit.

4. Das Mietshäuser Syndikat

Mit der erfolgreichen Umsetzung von nahezu 150 Hausprojekten in etwa 30 Jahren hat sich das Mietshäuser Syndikat (MHS) ein seriöses Re­nom­mee geschaffen. Dies kann Eigentümer*innen bei Vergabeentscheidungen positiv beeinflussen. Wichtiger für die Kumi*13 war das vorhandene große Netzwerk mit solidem Wissenstransfer. Gerade in der rasanten Abfolge konnte verlässlich auf die verschiedensten Expertisen, Knowhow und Kontakte zurückgegriffen werden. Mit einer vorrätigen »GmbH« konnte die notwendige Geschäftsfähigkeit einen Tag vor dem notariellen Verkaufstermin sichergestellt werden.

5. Die Stiftung Edith Maryon

Doch im aktuellen Berliner Immobilienmarkt wird die Umsetzung von MHS-Projekten immer schwieriger bzw. ohne kapitalstarke Partner*innen nahezu unmöglich. Gruppen benötigen für ihre solide Projekt- bzw. Finanzaufstellungen und Angebotsabgabe zu viel Zeit gegenüber konkurrierenden Investorengesellschaften. Ebenso sind die Mieten, die bei einer reinen Finanzierung durch Bankkredite zu erwarten sind, oftmals absehbar zu hoch. So suchen immer mehr Projekte finanzielle Unterstützung bei Stiftungen. Die Schweizer Edith-Maryon-Stiftung (EMS) verfolgt den Anspruch, Boden dem spekulativen Markt zu entziehen. Wohn- oder Arbeitsstätten sollen zu sozialverträglichen Mieten zur Verfügung gestellt werden. Mit der Rettung des Kulturveranstaltungsortes »Schokoladen« und der Sicherung der Arbeitsstätte ExRotaprint als Miteigentümerin des Bodens hat sich die EMS einen »guten Namen« gemacht. Eine wachsende Anzahl von MHS-Projekten in Berlin und Leipzig finden in der Kooperation des MHS und der EMS statt. Die Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen ist erprobt und kann bei Bedarf zeitnah aktiviert werden. Auch die Kumi*13 hat durch die schnelle Erstellung eines Kaufangebots der EMS profitiert.

Das Modell Erbbaurecht

Die EMS nutzt für ihre Liegenschaften das Erbbaurecht. In diesem Modell kauft der Erbbaurechtnehmer eine Immobilie auf dem Grund und Boden des Erbbaurechtgebers. Der Käufer besitzt also das eigene Haus, aber nicht auf eigenem Grundstück. Für den Boden zahlt er einen Erbbauzins. In einer intensiven mehrstündigen Diskussion hat sich die Gruppe jedoch einstimmig gegen das Erbbau-Modell entschieden. Dazu gehörte zu diesem Zeitpunkt der Projektentwicklung mehr als nur Mut. Der ermittelte Mietpreis der Variante »MHS + Erbbaurecht EMS« lag nur für wenige Jahre unter dem kalkulierten Mietpreis Variante »MHS«, dann entwickelte er sich ähnlich einer Staffelmiete entscheidungsrelevant über diesen. Nun ist aber gerade eine der primären Motivationen, Häuser in den Verbund des MHS zu überführen und sich in die zeitintensiven Mühen der Selbstverwaltung bzw. auch eines Projektaufbaus zu begeben, dass die Mieten weitestgehend eigenbestimmt und möglichst niedrig gehalten werden können. Diverse »Heimfall-Regelungen« erweckten zudem den Eindruck, das Haus in einem »worst case« wieder an den Erbbaugeber verlieren zu können. Man befand, dass beide Modelle für sich allein Vorteile reklamieren können – beispielsweise die Unmöglichkeit des Wiederverkaufs der Immobilie – die Kombination »MHS + Erbbaurecht« jedoch nur bei vergleichsweise sehr günstigen und dauerhaft garantierten Mietpreisen interessant sein kann.

Die Stiftung EM hat dann mit einer verzinsten Zwischenfinanzierung geholfen, den notwendigen Eigenanteil für einen Bankenkredit mitaufzubringen. So konnten erbrachte Leistungen refinanziert und die Kumi*13 ein »selbständiges Haus« im MHS-Verbund werden.

Tag der offenen Fragen

Foto: Benjamin Krieg

Welche Potentiale kann ein Ort wie die Kumi*13 in Zukunft entwickeln? Welche Wünsche werden von außen, von der Nachbarschaft an das Hausprojekt gestellt? Eine erste Kooperation mit Signalfunktion ist bereits in intensiver Planung: Das Nachbarschaftszentrum »Kurmark« will für drei Jahre in das Erdgeschoss einziehen. Es besteht die Absicht, eine Food-Coop mit fair gehandelten Nahrungsmitteln zu entwickeln und auf das Nachbarschaftszentrum folgen zu lassen.

Die Führungen beim Tag der offenen Tür sollten die Raumpotentiale, aber auch die zu behebenden Probleme darstellen, erste Kontaktaufnahmen und Wunschäußerungen ermöglichen. In der 270 qm Werkhalle fand ein »kollektives Halluzinieren« mit Nachbar*innen und Organisationen, die die Partizipationsmöglichkeiten im Kiez stärken, statt. Es wurde eine AG Nachbarschaft gegründet, die den kontinuierlichen Austausch zwischen Kiez und Haus gewährleisten und die Realisierbarkeit von Ideen prüfen soll.

Leben im Gemeineigentum

Das Leben im Gemeineigentum wird die Bewohner*innen verändern. Sie treten gemeinsam in einen sozialen Prozess. Sie haben die Möglichkeit, neue Strukturen gemeinsamen Handelns zu entwickeln. Neben der eigenbestimmten Organisation von Verwaltung und Wohnstrukturen können neue Muster von Solidarität und Care erprobt und gelebt werden. Jeder Gruppenprozess wird Höhen und auch Tiefen haben. Jede*r wird als Person seine sozialen Nähe-Distanzverhältnisse und auch das eigenbestimmte Handeln gegenüber Gruppenentscheidungen neu austarieren müssen. Die Kumi*13 wird unterschiedliche Lebensentwürfe und ggf. unterschiedliche Wohnformen in dem solidarischen Zusammenhang eines selbstverwalteten Gemeinguts in sich bergen.

Geschehen »Wunder« wieder?

Liebig 34, Potse, Drugstore, Köpi, Lause, Syndikat, Meuterei, Friedel54, K-Fetisch, SabotGarden, Diesel A – Berlin droht in einem rasanten Prozess zahlreiche alternative Haus- und Kulturprojekte zu verlieren. »Kein Haus weniger!« fordern zahlreiche Projekte in einem »offenen Brief« und suchen Unterstützung. Mit der Kumi*13 entstand nun überraschend das 19. Hausprojekt des MHS in Berlin. Aber neun andere Initiativen des MHS engagieren sich seit Jahren vergeblich, ein Hausprojekt realisieren zu können. Auch von daher sucht eine wachsende Zahl von Gruppen ihre Chance im angrenzenden Umland. Die Berliner Initiativen haben ihre Erfahrungen in zehn Forderungen in einem lesenswerten stadtpolitischen Thesenpapier zusammengefasst.

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Titelbild: Kumi*13