An der Radarfalle

Neulich kommt mir auf schnurgerader Straße eine Schlange von Autos entgegen, von denen eines ununterbrochen den Gegenverkehr anblinkt: Warnung vor einer »Radarfalle«! Ich schaue auf den Tacho, er zeigt: 65 km/h an – erlaubt sind 70. Beruhigt lehne ich mich zurück und fahre entspannt weiter. Da leuchten plötzlich vor mir helle Bremsleuchten auf. Zwei SUVs der gehobenen Klasse bremsen scharf ohne ersichtlichen Grund und lösen fast einen Auffahrunfall aus. Jetzt sehe ich es auch: Dort rechts auf dem Bürgersteig steht ein mobiles Radar-Gerät! Die beiden SUVs sind reflexartig wie ertappte Übeltäter in einen Schleichmodus verfallen und passieren die Radarfalle mit höchstens 50 Stundenkilometern.

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel – Illustration: Eva Sempere

Wie ist das zu erklären, dass offensichtlich gut situierte Bürger vor einer derart harmlosen Geschwindigkeitskontrolle anscheinend kaum kontrollierbare Emotionen entwickeln, sodass sie völlig unnötig, übertrieben und sogar unter Gefährdung anderer auf die Bremse treten? Finanziell dürfte die mögliche Strafe für sie kaum ins Gewicht fallen.

Auch im Internet wird dieser Brems-Reflex bei »Blitzern« ernsthaft als Problem diskutiert. Von Verkehrspsychologen wird auch immer mal wieder aufgrund empirischer Untersuchungen vermutet, dass diese Kontrollen keinerlei nachweisbare Wirkung auf die Verkehrssicherheit haben. Die Polizeigewerkschaft verteidigt sie damit, dass es darum gehe, »Flächendruck« zu erzeugen – mit anderen Worten also darum, die Regelbefolgung durch Angst vor Kontrolle und Strafe zu verbessern.

Die Werbung bedient das Selbstbild des autonomen Subjekts und verwendet mit Vorliebe das Klischee des selbstbewußten, großartigen Individuums, das einmalig ist und sich nicht einfach anpasst und gesellschaftlichen Normen unterwirft: »Typisch Du: Nur mit dem Besten zufrieden!«, so die aktuelle Vodafone-Werbung auf dem Jentower in Jena; oder die von eplus: »Für mich, nicht für irgendwen!«; oder die bekannte Zigaretten-Werbung: »Es war immer schon etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben.«

Schon merkwürdig, wie leicht dieser angeblich so starke Typ zu erschüttern ist: eine Uniform, ein Blitzer, genügt um Untertanenreflexe zu erzeugen – auch wenn es wohl übertrieben wäre, dieses spontane Wegducken immer noch mit dem Typ des »autoritären Charakters« in Verbindung zu bringen, den Fromm, Adorno und andere in den 1930er Jahren besonders in Deutschland analysierten.

Eine angepasste Geschwindigkeit im Straßenverkehr ist zweifellos ein hohes gesellschaftliches Gut, das sehr erwünscht ist – allerdings: Wenn dieses Ziel über Kontrolle und Strafandrohung und »Flächendruck« erzeugt werden muss, steht es im Widerspruch zum immer wieder geforderten »mündigen Bürger«. Anders der Verkehrs­psychologe Karl-Friedrich Voss: Er appelliert an das Bewusstsein der Bürger*innen für mehr Selbstkontrolle. »Der Übergang von der Fremd- zur Selbstkontrolle würde die Sicherheit im Straßenverkehr erheblich erhöhen. Die Akzeptanz dieser Ordnung ist eine Kulturleistung.«

Uli Frank

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