Ungehorsam für Agrarökologie

Der entschlossene Protest gegen ein geplantes Logistikgebiet im nordhessischen Neu-Eichenberg feiert erste Erfolge. Die lokale Bürgerinitiative und Ackerbesetzer*innen stellen sich gemeinsam gegen die Versiegelung des fruchtbaren Bodens und entwickeln Alternativen.

Aktionsgruppe »Acker bleibt!«

Seit einem Jahr besteht die Ackerbesetzung in der kleinen Gemeinde Neu-Eichenberg – gelegen im Dreiländereck Hessen, Thüringen, Niedersachsen. Am 4. Mai 2019 hatten Klimaaktivist*innen dort einen Teil der 80 Hektar großen Fläche mit Zelten und Bauwägen besetzt, um sich dem Investor Dietz AG und seinen zerstörerischen Plänen direkt in den Weg zu stellen (Contraste Nr. 417). Der bewusst vollzogene Regelübertritt stärkte den lokalen Widerstand und verschaffte den Logistik-Gegner*innen endlich die nötige Aufmerksamkeit in der politischen Auseinandersetzung.

Während die Aktivitäten der Bürgerinitiative (BI) zunächst vor allem für Aufklärung, Organisierung im Dorf und punktuelle Mobilisierung von Unterstützer*innen aus der näheren Umgebung sorgten, errreichte die Besetzung auch überregionale Kreise der Klimagerechtigkeitsbewegung. Vor allem aber ist durch das dauerhaft besetzte Acker-Camp unseren »Gegner*innen« klar gemacht worden, dass ein Bau des riesigen Logistikgebietes nicht ohne erhebliche Konfrontationen zu haben ist. Die freundschaftliche Solidarität zwischen BI und Besetzung hat dabei dazu beigetragen, dass eine Spaltung in »gute« und »böse« Aktivist*innen nicht möglich war.

Mittlerweile ist einige Zeit des gemeinsamen Widerstands ins Land gegangen. Die Besetzung hat verschiedene Phasen durchlaufen und auch in Landespolitik und Gemeindevertretung bleibt der Protest nicht folgenlos. So haben die Gemeindevertreter*innen am 21. Januar mit denkbar knapper Mehrheit von 8:7 Stimmen für einen sechsmonatigen Planungsstopp gestimmt. Viele sprechen bereits vom »Einstieg in den Ausstieg«, ein offizielles Ende der Planungen ist damit jedoch leider noch nicht besiegelt.

Die Gemeindevertretung hat nun einen »Arbeitskreis Alternativen« einberufen, an dem auch Vertreter*innen der BI sowie zwei Schülerinnen der lokalen FridaysForFuture-Gruppe teilnehmen. Wir Besetzer*innen waren in diesem Kreis explizit nicht erwünscht. Auch wenn das natürlich bedauerlich ist, tragen wir es mit Fassung und werden weiter auf unsere Weise an den Entscheidungen mitwirken.

Ende Februar verkündete Investor Dietz AG offiziell, dass er sich aus dem Vorhaben zurückziehe und nicht weiter am Kauf und einer »Entwicklung« der Fläche interessiert sei. Bereits Ende 2019 hatte die Dietz AG beklagt, der Standort habe »enorm an Attraktivität eingebüßt« und dies u.a. mit dem »intensiven Protest« begründet.

Trotzdem tut sich die Gemeinde weiter schwer damit, das umstrittene Projekt zu beenden. Ein Grund dafür ist finanzieller Art. Denn für die Planung des »Sondergebietes Logistik« sind inzwischen etwa 1,5 Mio. Euro Kosten angefallen. Diese trägt aktuell noch die Hessische Landgesellschaft (HLG). Doch wenn sich die Gemeinde dafür entscheidet, die Pläne fallen zu lassen, würden die entstandenen Kosten der Gemeinde in Rechnung gestellt. Dies lähmt einige Lokalpolitiker*innen, die ihren politischen Handlungsspielraum oder gar die Eigenständigkeit der kleinen Gemeinde in Gefahr sehen. Deshalb lautet eine Forderung an die schwarz-grüne Landesregierung, dass sie die kleine Gemeinde durch eine Übernahme der Kosten unterstützen solle. So könnte sich Neu-Eichenberg ganz ohne finanziellen Druck für Klima- und Bodenschutz entscheiden – dies entspräche dem »Staatsziel Nachhaltigkeit«, welches erst kürzlich in die hessische Verfassung aufgenommen wurde.

Gleichzeitig arbeiten wir daran, gemeinsam mit den Menschen vor Ort eine Perspektive für ein klimagerechtes Neu-Eichenberg zu entwickeln. Dabei wollen wir deutlich machen, dass alle Menschen wichtig sind für die Prozesse im Dorf und nicht nur die 15 Personen in der Gemeindevertretung, welche formal über die Zukunft des Ackers abstimmen werden. Denn für den nötigen sozialökologischen Systemwandel braucht es auch eine andere Entscheidungskultur.

Als mögliche Alternativen zum geplanten Logistikgebiet werden aktuell zwei verschiedene Konzepte diskutiert. Ein lokaler Investor hat Interesse angekündigt, auf einem Großteil der 80 Hektar einen Solarpark errrichten zu wollen. Unter den Solarzellen würde der fruchtbare Boden nicht zerstört, dennoch würde er für die Lebensmittelproduktion vorerst verloren gehen. Außerdem sieht auch dieser Vorschlag auf einer Fläche von 15 Hektar ein Gewerbegebiet vor – Bodenversiegelung mit grünem Anstrich.

Dem gegenüber steht das Konzept der Initiative »Land schafft Zukunft«, in der sich Studierende der Agrarwissenschaften aus Witzenhausen mit Praktiker*innen aus Landwirtschaft und Gartenbau zusammengeschlossen haben, um eine agrarökologische Alternative für die 80 Hektar zu entwerfen. Unter Beteiligung der Menschen in Neu-Eichenberg möchte die Initiative in der kommenden Zeit die konkrete Umsetzung einer regenerativen Landwirtschaft vor Ort gestalten. Für dieses integrierte Konzept mit kommunaler Energieversorgung, gemeinsachftlichem Wohnen und lokaler Lebensmittelproduktion werden nun Kooperationspartner*innen gesucht, die sich in das zukunftsträchtige Projekt einbringen wollen.

Auch wir fühlen uns der Vision der Agrarökologie verbunden und beginnen selbst schonmal mit ökologischem Gemüsebau auf der Besetzung. Wenn uns nicht der nächste Dürresommer in die Quere kommt, wollen wir ab Sommer hier unser ungehorsames Gemüse ernten und Teile davon auch an unsere Nachbar*innen im Dorf verschenken. Alle Menschen aus Nah und Fern sind herzlich eingeladen vorbeizukommen und mitzugärtnern. Schon bei der ersten Bodenbearbeitung half uns ein benachbarter Landwirt – so entsteht neuer Austausch und der Widerstand wächst.

Aktuelle (Corona)-Infos & Unterstützungsmöglicheiten:

Link: www.ackerbleibt.org
Mail: ackerbleibt@riseup.net

Titelbild: Acker bleibt! (2019)

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