Rüsselheim: Ein Ort für Tiere

Doris Rauh aus Allmannshofen (Bayern) gründete 2009 »Rüsselheim e.V.« mit dem Ziel, einen landwirtschaftlichen Mastschwein-Betrieb mit eigener »Ferkelproduktion« Schritt für Schritt aufzulösen und das Leben aller dortigen Schweine zu retten. Inzwischen hat der Verein über 1.500 Tiere einen Ort für ein artgerechtes Leben geschaffen.

Kathrin Hampf, Darmstadt

Das, was bei Hunden und Katzen seit Jahrzehnten üblich ist, ist bei sogenannten Schlachttieren noch die Ausnahme: Ihre Rettung, um ein freies, artgerechtes Leben – ohne Endstation Schlachthaus – führen zu können. In der ersten Rettungsaktion von Rüsselheim e.V. wurden insgesamt 140 Ferkel, Läufer, Mastschweine und Mutterschweine aus der Intensivhaltung gerettet. In Stapen (Sachsen-Anhalt) war dem Verein kurzfristig eine ehemalige Reithalle angeboten worden, die mit viel Enthusiasmus und Herzblut in ein vorübergehendes »Schweine Bed & Breakfast-Asyl« umgewandelt wurde. Endlich konnten – zum ersten Mal – alle Tiere auf Stroh stehen und ihre arteigenen Bedürfnisse ausleben.

Inzwischen hat der Verein über 1.500 Tiere (Kühe, Ochsen, Schweine, Schafe, Ponys und Kleintiere) auf Lebenshöfen in Fulda, Nördlingen, bei Augsburg, nahe Rendsburg wie neuerdings auch bei Bingen unter seiner Obhut.

Einige Beispiele: Die Kuh Tadita flüchtete in Aschaffenburg vor dem Schlachthof. Hanna hingegen schwamm auf der Flucht vor dem Schlachttod durch die Müritz und rang stundenlang um ihre Leben, weil sie mit dem Hals im Schlamm feststeckte. Das Mastschwein Happyboy konnte bei Hamburg vor dem Transport zum Schlachthof flüchten. Sie alle und viele andere, die weniger spektakulär auf sich und ihre Not aufmerksam machen konnten, sind von Rüsselheim e.V. gerettet worden.

Seltene Vierlingsgeburt

An Pfingsten 2020 wurden in Bad Waldsee (bei Ravensburg) Vierlinge geboren. Vierlingsgeburten sind bei Rindern ausgesprochen selten und kommen unter elf Millionen Geburten nur einmal vor. Selten überleben die Mutter und alle Kälbchen. Diese Familie ist nun auf dem Lebenshof des Vereins in Fulda und darf dort in Frieden und Freiheit alt werden.
Schon einmal – vor zwei Jahren – übernahm der Verein Rüsselheim e.V. eine Vierlingsmutter und ihre Kälbchen. Die Mutter schwebte nach der Geburt in Lebensgefahr und wurde aufgrund ihres Bauchwandrisses wochenlang in der Tierklinik behandelt. Heute lebt sie mit ihren nunmehr stattlichen Vierlingen auf dem Fuldaer Lebenshof. Üblicherweise wären die Kälber in die Mast gegangen, die Milchkuh zurück in den Stall und wäre spätestens in einem Jahr geschlachtet worden, weil nach so einer Geburt keine Kuh eine weitere Schwangerschaft überstehen würde.
Glücklich überstanden haben in diesem Monat auch zwei hochschwanger gerettete ältere Limousin-Kuh-Schwestern die Geburten eines Kälbchens und eines Bullen. Nach 15 Jahren in Kettenhaltung – Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr an ein und derselben Stelle angekettet – nach vielen Kindern, die ihnen weggenommen wurden, war es der 15-jährigen Kuh Sofie zuerst nicht möglich, ihr Kälbchen anzunehmen. Die Frau vom »Pflegeplatz Rheinhessen« hat jedoch nicht aufgegeben und die Kleine unter auch gefährlichen Umständen immer wieder angelegt. Jetzt endlich, nach etlichen bangen Tagen, hat Sofie ihr kleines Kuhkalb angenommen.

50 Kühe in Kettenhaltung

Brandaktuell steckt der Verein Rüsselheim e.V. mitten in einer großen Rettungsaktion von über 50 Kühen in Kettenhaltung. Bei Donauwörth gibt ein Landwirt seinen Hof mit den auf Lebenszeit an schwere Eisenketten gelegten Milchkühen und Mastfärsen bis Ende Oktober auf. Bisher hat der Verein gut die Hälfte der Milchkühe und jungen Färsen übernehmen können und diese bereits auf dem Lebenshof in Bingen in Sicherheit untergebracht. Weitere Rettungen sind vom Spendeneingang zur Finanzierung abhängig. Es wäre bitter, nicht allen Kühen den ersten und einzigen Gang ihres Lebens direkt in den Schlachthof ersparen zu können.


Unterstützt werden kann diese große Rettungsaktion durch die Übernahme von Patenschaften, diese sind ab fünf Euro monatlich möglich, wie auch durch Spenden für Freikauf und Transport. Für die Übernahme einer Patenschaft erhält der*die Pat*in eine schöne Urkunde und kann bei den regelmäßig stattfindenden Pat*innentreffen das Patentier auch besuchen. Dies ist immer ein besonderes Erlebnis! Kühe freuen sich über mitgebrachte Karotten und Apfelschnitze, Schweine genießen hauptsächlich die Streicheleinheiten; ganz wie Hund und Katz. Auch bei ihnen ist man mit Apfelstücken oder Gelben und Roten Rüben sofort ihr bester Freund.

Link: www.ruesselheim.com

Titelbild: Eine Geburt mit vier Kälbern ist bei Rindern äußerst selten. Foto: Rüsselheim e.V.


Kooperation mit Landwirt*innen

Das Team von Rüsselheim e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, Tiere zu retten und ihnen einen sicheren Ort zum Leben zu schaffen. Das besondere Augenmerk liegt auf sogenannten »Nutztieren«, welche in der industriellen Tierhaltung niemals eine Chance auf ein würdevolles Leben hätten. Rund 500 Schweine, 550 Rinder, 350 Schafe, Ziegen, ehemalige Schlachtponys sowie etliche Kleintiere haben auf den elf Pflegeplätzen in ganz Deutschland sowie einigen privaten Pflegestellen ein würdiges Leben gefunden.

Der Verein ist immer auf der Suche nach weiteren Pflegeplätzen bei qualifizierten Landwirten, die aus der konventionellen Tierhaltung aussteigen möchten. Einige Landwirt*inne erhalten von Rüsselheim e.V. bereits ein regelmäßiges und gewaltfreies Einkommen und pflegen auf ihrem Hof gerettete Tiere. Zwei Mastanlagen wurden schon zu Lebenshöfen umgewandelt. Interessierte Landwirt*innen können sich mit dem Verein in Verbindung setzen:info@ruesselheim.com

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