In Graz waren die Mittelmeermonologe zu Gast, ein dokumentarisches Theater von Michael Ruf. Genau genommen handelt es sich um vier miteinander verwobene Monologe; Berichte von Menschen, Flüchtenden und Retter*innen, über ihre Erlebnisse in der Todeszone Mittelmeer, berührende und manchmal schwer erträgliche Geschichten.
Dann stehen drei junge Menschen auf der Bühne, aus Sierra Leone und dem südlichen Libyen, geflüchtet übers Mittelmeer, angekommen in Graz, gestrandet in den bürokratischen Wirren und politischen Niederungen des österreichischen Asylsystems. Menschen mit guter Ausbildung und starker Persönlichkeit, aber ohne Chancen in diesem Land und täglich von Abschiebung bedroht. Sie arbeiten in einem – immerhin von der EU finanzierten – »Citizens journalism«-Projekt des freien Radios Helsinki, gestalten Sendungen von Geflüchteten für Geflüchtete und Österreicher*innen. Sie geben Auskunft über ihre Erfahrungen und beantworten Fragen aus dem Publikum.
Ob denn die Menschen in Libyen über diese Folterlager Bescheid wüssten und ob er mit seiner Familie darüber spreche, wird Saif gefragt. Er könne nur mit Freund*innen darüber sprechen, denn er habe seine ganze Familie in Libyen verloren, sein Bruder sei im Mittelmeer ertrunken. Betretene Stille im Saal. Wie er denn mit diesen Erfahrungen leben und dabei noch so fröhlich sein könne, habe ich ihn schon früher gefragt und ob er es denn überhaupt schaffen würde, sich diese Aufführung anzusehen. Vor zwei Jahren noch hätte er sich das nicht zugetraut, sagte er, aber jetzt schon, er will drüber reden.
Dann kommt Favour. Was sie sich denn von Österreich wünsche, lautet eine Frage an sie. Sie antwortet mit einer ebenso vernichtenden wie scharfsinnigen Analyse des österreichischen Asylsystems, das Menschen wie sie nur nutze, um politische Machtpositionen zu verteidigen. »Wir wollen arbeiten, wir wollen selbst für uns sorgen.« Mehrere Angebote habe sie gehabt, aber keine Arbeitserlaubnis bekommen. Ohnmachtsgefühle und Wut lösen solche Berichte in mir aus.
Auf der Heimfahrt treffe ich Favour in der Straßenbahn. Sie zeigt mir ein Foto ihrer 15-jährigen Tochter, die seit fünf Jahren in Sierra Leone darauf wartet, dass ihre Mutter sie holt. Ich erzähle ihr, dass wir vorhin darüber gesprochen hätten, dass sie Politikerin werden sollte. Sie holt tief Luft: »Weißt, du, ich habe einen Traum: Ich möchte die erste weibliche Präsidentin Sierra Leones werden!« »Das heißt, du willst zurück?« »Ja, ich will zurück. Ich bin so müde von dem endlosen Warten, den Hoffnungen und Ängsten hier. Ich brauche noch ein oder zwei Jahre, um mich weiterzuentwickeln. Dann gehe ich zurück und baue eine Frauenbewegung auf. Dann werde ich Präsidentin, ich spüre es, es ist meine Bestimmung und ich werde für meinen Traum kämpfen. Und du wirst es erfahren und du wirst sagen: Ich kenne diese Frau, ich habe sie in Graz getroffen.«
Von Brigitte Kratzwald