Politisch korrekt defäkieren

Jede*r macht es mehrmals täglich. Ob nur Druck auf der Blase oder gleich »das große Geschäft«. Es ist ein höchst persönliches und oft Tabu behaftetes Thema. Abhängig von Region, Geschlecht, Ernährungsstil und individueller Tagesform sind es im Schnitt rund 1,4 Liter Urin und 140 Gramm Fäzes pro Person und Tag sagt die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall. Dieses vermeintliche Abfallprodukt enthält allerdings noch wertvolle Nährstoffe.

Malte Kraus (Stuttgart) & Alina Reinartz (Rotenburg)

Stickstoff, Phosphor, Kalium, Calcium, Magnesium, Schwefel und viele weitere wichtige Spurennährstoffe sind für das Pflanzenwachstum unverzichtbar. Pro Jahr produziert jede*r von uns auf der Toilette rund 4.400 Gramm Stickstoff, 550 Gramm Phosphor und 550 Gramm Kalium zusammen. Im Fall von Stickstoff ist diese Menge schon genug, um einen Gemüsegarten von 300 bis 400 qm zu düngen.

Und was machen wir? Wir vermischen unsere nährstoffreichen Ausscheidungen mit einer Menge frischem Trinkwasser und schicken es zusammen mit unserem anderen Grauwasser aus dem Haushalt unterirdisch auf den weiten Weg zur Kläranlage. Auf dem Weg vermengt sich dieses bis dahin recht harmlose häusliche Abwasser mit kommunalen und gewerblichen Abwässern aus Industriegebieten, Universitätslaboren, Krankenhäusern und Pflegeheimen. Dies führt zu erhöhten Konzentrationen von Schadstoffen, Schwermetallen und Pharmazeutika, die für die Umwelt sehr problematisch sind. Das seit gut 100 Jahren kaum veränderte System der Schwemmkanalisation bietet darüber hinaus noch weitere Risiken: unbemerkt undichte Kanäle, die das Grundwasser belasten, und allerlei Lebensgemeinschaften von Ratten und Keimen. Am Ende der Reise haben die Kläranlagen die nahezu unlösbare Aufgabe, diesen Cocktail aus Wert- und Schadstoffen so zu behandeln, dass anschließend wieder sauberes Wasser in die umliegenden Flüsse entlassen werden kann. Hier werden also unter Einsatz von viel Energie, Chemikalien und Technik Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor eliminiert.

Die clevere Trocken-Trenntoilette Liloo von Finizio. Foto: Finizio – Future Sanitation

Dem gegenüber steht die ebenfalls energieaufwendige Gewinnung von Düngemitteln für die Landwirtschaft. Roh-Phosphor stammt aus dem Bergbau aus zum Beispiel Marokko, Russland oder der Türkei und ist damit eine endliche Ressource, die in einem zweiten Schritt pflanzenverfügbar gemacht werden muss. Stickstoff in konventionellen, mineralischen Düngemitteln wird größtenteils in Chemiefabriken durch das Haber-Bosch-Verfahren aus Luft-Stickstoff gewonnen. Dazu braucht es 14 kWh pro Kilogramm Stickstoff. Setzt man diese Energiemenge zu der vom Mensch ausgeschiedenen Jahresmenge an Stickstoff (4.400 Gramm) ins Verhältnis, wäre das in etwa so, als würde man einen großen Haarfön zwei Tage am Stück durchlaufen lassen – ohne sich dabei die Haare zu fönen.

Legalisierung von Nährstoff-Recycling

Bäuer*innen düngen, wir essen, geben einen Großteil der Nährstoffe wieder ab und entsorgen diese. Bäuer*innen kaufen neuen Dünger, düngen und so weiter und so fort… Das ist der Lauf der Dinge, der leider nicht im Kreis läuft. Läge es da nicht nahe, diesen Kreislauf zu schließen? Natürlich! Geeignete Verfahren für die sichere Nutzbarmachung sind die Herstellung von Nährsalzen aus den flüssigen Ausscheidungen und die Heißrotte oder auch Verkohlung der festen Trockentoiletteninhalte. Dabei gilt es, sowohl angemessene Hygienestandards einzuhalten, als auch die nötigen Nährstoffgehalte für die Anerkennung als Düngemittel zu erreichen. Allerdings ist derzeit die Nutzung von Nährstoffen aus wasserlos gesammeltem Urin und Fäzes in der deutschen Gesetzgebung nicht geregelt und liegt damit in einem an Illegalität grenzenden Graubereich. Einen wichtigen Beitrag für die politische Arbeit hin zur Legalisierung dieser Art der nachhaltigen Nährstoffrückführung hat nun eine Gruppe aktiver Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen rund um das Netzwerk für nachhaltige Sanitärsysteme (NetSan) e.V. gemeinsam mit dem DIN e.V. geleistet. Sie haben mit der DIN SPEC 91421 einen Produktstandard erstellt, der in Zukunft bei der Entscheidung helfen kann, ob ein Recyclingprodukt sicher genug für die bodenbezogene Nutzung im Gartenbau ist.

Es geht also um nichts weniger als eine Sanitärwende und ein Update unserer veralteten Infrastruktur. Dafür braucht es auf politischer Ebene eine Kraftanstrengung, um sichere, dezentrale und zukunftsorientierte Systeme für Nährstoff-Recycling in Deutschland zu legalisieren. Ziel ist es, die verschiedenen Ausscheidungen schon an der Quelle getrennt zu erfassen und der jeweils passenden Weiterverarbeitung zuzuführen. Es gibt bereits verschiedene Initiativen, die an Infrastrukturlösungen für die Verwertung fester Ausscheidungen und Herstellung sicherer Recyclingdünger arbeiten. Notwendig ist dafür die Aufnahme menschlicher Ausscheidungen in die Düngemittelverordnung, um sie als Ausgangsstoff zur Weiterverarbeitung nutzen zu dürfen. Gleichzeitig gilt es die Bildungsarbeit auszuweiten, um Vorurteile bezüglich der Nutzung von Düngemitteln auf Basis von aufbereiteten menschlichen Ausscheidungen abzubauen.

Mit eigenem Urin düngen

Wer nicht auf die Politik warten will und die eigenen Vorurteile bereits überwunden hat, kann direkt aktiv werden. Als Privatanwender*in kann Urin mit Wasser verdünnt (1:10) direkt zur Bewässerung und Düngung von fruchtendem Gemüse und krautigen, mehrjährigen Pflanzen eingesetzt werden. Das führt zu einer doppelten Einsparung: eine günstige Alternative zu handelsüblichem Dünger und weniger Energieverbrauch in der kommunalen Kläranlage. Oder mensch stellt sich direkt das Trockentrennklo in den Garten und baut sein eigenes Gemüse an! Wer die wissenschaftliche und politische Arbeit für die sinnvolle Nutzung der Nährstoffe menschlichen Ursprungs unterstützen und sich weiter informieren möchte, ist auf den Seiten des NetSan e.V. genau richtig. Dort findet mensch auch die Trockenkloanbieterin des Vertrauens in der eigenen Region. Denn auch Kacken ist politisch!

Link:
Netzwerk für nachhaltige Sanitärsysteme: www.netsan.org

Titelbild: Gerade an abgelegenen Orten ist mensch manchmal froh, es zu finden: ein stilles Örtchen. Foto: Jonas Linder/Kompotoi AG

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