Orchideen gegen Stahlbeton

Seit Oktober 2020 besetzen mehrere Dutzend Menschen den Mormont-Hügel, in der Schweiz nördlich von Lausanne. Dieser Naturraum ist durch die Ausdehnung eines Steinbruchs bedroht, der für die industrielle Produktion von Zement genutzt wird. Das Projekt des Branchenprimus Lafarge-Holcim wird derzeit durch gerichtliche Schritte blockiert, aber der »ZAD« (zone à défendre, deutsch: zu verteidigende Zone) droht eine baldige Räumung.

Peter Streiff, Redaktion Stuttgart

Von oben gesehen scheint sich der 19 Hektar große Einschnitt immer tiefer in die Eingeweide des Mormont-Hügels zu fressen. Aus dem seit 1953 betriebenen Steinbruch produziert Holcim jährlich mehr als 800.000 Tonnen Zement. Er erstreckt sich über die Gemeinden Eclépens, La Sarraz und Orny und ist der bedeutendste Standort von Lafarge-Holcim, des weltweit größten Zementherstellers in der Westschweiz.

Doch die lokale »Vereinigung zur Rettung des Mormont« (ASM) kämpft seit 2013 gegen die Erweiterung des Steinbruchs, unter anderem mit einem Rechtsstreit bis vor das schweizerische Bundesgericht. Im Oktober 2020 erhielt der Kampf eine neue Dimension durch die Einrichtung der »ZAD de la Colline« auf dem Plateau von »la Birette«, dem von Abbau-Gelüsten bedrohten Grundstück auf dem Hügel.

Wilde Orchideen

Der Mormont mit seiner in der Region einzigartigen Artenvielfalt ist eine der größten Wildtierpassagen zwischen den Alpen und dem Jura. »Es ist ein ganz besonderer Ort, mit vielen seltenen Arten, darunter wilden Orchideen. Die Einheimischen sind schon immer zum Spazierengehen hierhergekommen, es gab viele Wanderwege«, erklären Basile und Blé, BewohnerInnen der ZAD. »Doch all das droht zu verschwinden zugunsten einer der umweltschädlichsten Industrien des Planeten.«

Hier, wie auch anderswo, entstand die ZAD, weil die Kraft, den Umweltschutz auf dem Rechtsweg zu erreichen, in Frage gestellt wird: »Wir wissen, wie schwierig die juristischen Wege sind, vor allem wegen der allmächtigen Privatunternehmen, des langsamen Tempos der Institutionen und der fehlenden Umweltschutzgesetze. Wir wollten nicht auf die Antwort des Bundesgerichts warten, um zu handeln. Wir mussten zu etwas Direkterem übergehen, um dieses Projekt zu verhindern. Wir haben gesehen, dass sich diese Vorgehensweise bewährt hat, vor allem in Notre-Dame-des-Landes, Hambach, Roybon und Sivens«, erklärt Basile.

Selbstorganisierter Raum

In den Tagen nach der Besetzung gab die ASM ihre Unterstützung bekannt und lud alle ihre Mitglieder zu einem Treffen mit den BesetzerInnen ein. Die neue ZAD ist im Laufe der Wochen und Monate zu einer Zone des kollektiven Lebens geworden: »Eine ZAD zu machen, ist genauso ein Werkzeug, um gegen ein großes, aufgezwungenes Großprojekt zu kämpfen, da es bei der Zone um ein Mittel geht, Zeit und Raum frei zu machen, um andere Wege des Lebens zu experimentieren. Wir machen Begegnungen, egal, ob wir nun aus einer guten Familie kommen oder aus dem einfachen Volk, diese Mischung zieht uns nach oben. Wir versuchen auch, uns so zu organisieren, dass wir in unserem täglichen Leben die Welt verkörpern, die wir verteidigen: inklusiv und anti-unterdrückend«, sagt Blé.

Die ZAD lebt im Rhythmus der täglichen Arbeit, der kollektiven Gemeinschaftsaufgaben und der vielen Besuche, die sie erhält. Einige kommen mit Fragen, andere mit Materialien und Essen. »Wir sind nicht nur hier, um den Mormont zu retten, wir haben eine allgemeinere Kritik am Beton und seiner Welt. Und wir setzen dem klimaschädlichen Baustoff unsere Bau-, Planungs- und Lebensalternativen entgegen. Wir wollen rechtliche Garantien, dass der Steinbruch nicht weitergeführt wird.«

Die ZAD bereitet sich auf eine Evakuierung vor, denn die verschiedenen rechtlichen Verfahren, die sie betreffen, sind abgeschlossen und sie könnte ab Mitte März vertrieben werden. Verbände und BewohnerInnen vor Ort kämpfen Seite an Seite gegen ein Projekt, das in einer Zeit des globalen ökologischen Desasters die inneren Widersprüche eines Landes verkörpert, das die schlimmsten multinationalen Konzerne beherbergt. Und Blé schließt entschlossen: »Wir werden es nicht zulassen, wir werden Widerstand leisten. Dies ist nicht nur ein ökologischer Kampf, sondern ein globaler Kampf gegen den Beton und seine Welt!«

Info:

Dieser Beitrag basiert auf einem Bericht der französischen Umweltzeitschrift Reporterre (reporterre.net), übersetzt von einer Aktivistin von »Stuttgart21 ist überall«.

Link zur ZAD: https://orchidees.noblogs.org/ (fr./dt.)

Titelbild: Grafik der ZAD de la Colline

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