Am 1. Januar feierte der Aufstand der Würde und gegen das Vergessen der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) im zapatistischen Gebiet in Südmexiko seinen 30. Jahrestag. Unsere Autorin war bei den Feierlichkeiten in Chiapas dabei.
Alina Hendrix, Kampagne »Gemeinsam Kämpfen«
Die große Mehrheit der Teilnehmer*innen bei den Feierlichkeiten zum Jubiläum sind Zugehörige der sogenannten »pueblos originarios«, die nicht nur in Chiapas, sondern auch in anderen Teilen Mexikos für das Recht auf Wasser und Land und somit für das Leben in Würde kämpfen und sich in vielen Fällen gemeinsam im CNI, dem Nationalen Indigenen Kongress, organisieren. Sie alle teilen die Realität der Zapatistas: die zunehmende Militarisierung, die zugespitzte Situation im Kampf um Territorien, einhergehend mit Vertreibungen, Verschleppungen, Zwangsarbeit und Morden.
Neben Zapatistas, CNI-Zugehörigen und Interessierten aus den umliegenden Gemeinden sind internationalistische Aktivist*innen aus fernen und benachbarten Gegenden vor Ort, die sich in ihren lokalen oder globalen Kämpfen auf die Zapatistas beziehen. Zum Beispiel Aktivist*innen aus Atlanta, USA, die dort gegen die Militarisierung kämpfen (Stop Cop City), oder Gesandte der kurdischen Freiheitsbewegung, die ebenfalls den Aufbau autonomer Strukturen ins Zentrum ihres Widerstandes stellen.
Das kulturelle Programm füllt ganze vier Tage. Die ersten beiden Tage zeigen die zapatistischen Caracoles jeweils ein Theaterstück. Die Theaterstücke bilden das Herzstück des Jubiläums, sie erklären und geben die bildliche Ansage, dass es das Kollektiv ist, das auf die Fragen und Probleme antwortet. Im Zentrum steht die Geschichtserzählung – die Geschichte der letzten 500 Jahre, die Geschichte der EZLN im Untergrund, die Geschichte des Aufstands, die Geschichte der zivilgesellschaftlichen Strukturen der letzten 30 Jahre mit all den Lernprozessen darin und schließlich die neuen Umbrüche und Aufbrüche, die vollzogen werden.
Letzteres passiert bildlich über den Sturz der »Pyramide«, die den Aufbau der bisherigen Strukturen symbolisiert. Denn die vorherigen zapatistischen widerständigen autonomen Gemeinden (MARZ) sind nun zapatistische lokale autonome Regierungen (GALZ). Jede kleinste Einheit regiert sich neuerdings vollkommen selbst und nur, wenn keine Einigung innerhalb der Dorfgemeinschaft gefunden werden kann, kommt eine höhere regionale Ebene ins Spiel. Getreu dem Motto »Fragend schreiten wir voran« soll die neue Struktur erprobt werden und zeigen, ob sie ihren Zweck erfüllt.
Ein oder der zentrale Begriff der gesamten Äußerungen ist wohl das Konzept des »común«, vielleicht am ehesten zu übersetzen mit dem »Gemeinen« oder dem »Aller« in Kombination mit »no propiedad«, dem »Nicht-Eigentum«. Mit diesem Konzept reagieren die Zapatistas zum einen auf die Realität in den Gemeinden, in denen oft Zapatistas mit Nicht-Zapatistas zusammenleben und gehen zum anderen das zentrale Problem der Eigentumsfrage an. So soll auf nicht in familiärem oder Gemeindebesitz befindlichem Gebiet angefangen werden, im »común« zu arbeiten.
Rund um Mitternacht formieren sich die Milicianos und Milicianas der EZLN, um tanzend zum Cumbia-Klassiker »Cómo te voy a olvidar« ihre Parade vorzuführen. So ungewöhnlich die Parade erscheinen mag, ohne sichtbare Waffen, so sehr scheint sie die Umstehenden zu berühren und dem Titel des zugrunde gelegten Liedes direkt Rechnung zu tragen – »Wie könnte ich dich vergessen?«.
Subcomandante Moises schließt in seiner Rede daran an, in dem er zuallererst all derjenigen gedenkt, die an diesem Tag nicht da seien konnten. Weil sie Gefangene sind, »verschwunden gelassen«, ermordet oder im Aufstand getötet wurden; und auch nicht die Ururgroßeltern, die mehr als 500 Jahre gekämpft hätten. Wir seien heute versammelt, um der Toten von vor 40 und 30 Jahren zu gedenken und in dem Gedenken die Verpflichtung gegenwärtig zu halten, die die anwesenden Zapatistas noch nicht erfüllt hätten.
Es gehe darum, zu erkennen, was getan werden müsse, und so erläutert er die Bedeutung des »común«: »Das Eigentum muss dem Pueblo gemeinschaftlich gehören und der Pueblo muss sich selbst regieren.«
»Wir brauchen nicht zu töten, aber dafür braucht es Organisierung, in die Praxis setzen« und »keiner wird dort, wo wir sind, kämpfen.« Das ist auch die Antwort auf die Totsagung des zapatistischen Kampfes in der mexikanischen sowie der internationalen Presse nach der angekündigten Auflösung der bisherigen Strukturen. Und es ist auch die Antwort auf die Feststellung der Zapatistas: »Estamos solos.« – »Wir sind allein.« In Anerkennung der globalen Unterstützung, die sie über die Jahre erfahren haben, sehen sie sich aktuell stetig mit weniger internationaler und nationaler Unterstützung konfrontiert.
Im mexikanischen Kontext haben die Zapatistas sich klar gegen die »schlechte Regierung« gewandt, unter der sie das Geflecht aus Kartellen, legalem unternehmerischem Kapital und Regierung verstehen. Das hat sie in den letzten Jahren viele Unterstützer*innen und Mitstreiter*innen an die sozialdemokratische Regierung verlieren lassen. Auch die Reise nach Europa könnte eine Bestätigung für diese Feststellung gewesen sein.
Mit den letzten Worten der Rede startet das Feuerwerk.
Die Kommuniqués der Zapatistas auf Deutsch nachlesen: https://www.chiapas.eu/kommuniques.php
Kampagne »Gemeinsam Kämpfen«: https://gemeinsam-kaempfen.de
Titelbild: Feierlichkeiten zum 30-jährigen Jubiläum: In Theaterstücken veranschaulichen die Zapatistas ihre Geschichte und die neuen Um- und Aufbrüche in ihren selbstverwalteten Strukturen. Foto: Pedro Mireles