Mobil für eine solidarische Welt

Seit 2019 ist der »Solibus« bei politischen Aktionen dabei – und das nicht nur als fahrbarer Untersatz, der Aktivist*innen von A nach B bringt. Vielmehr ist der Solibus ein sozialpolitisches Projekt, das auf vielen Ebenen einen Beitrag zur linken Infrastruktur leistet. Und der Bedarf ist groß: Dieses Jahr hat der Verein einen zweiten Bus gekauft, um bei noch mehr Aktionen dabei sein zu können.

Jürgen Weber, Berlin

»Wenn wir als Politgruppe früher an einer Demonstration oder anderen Aktion in einer anderen Stadt teilnehmen wollten, fanden wir es immer super, wenn die Organisator*innen einen Bus gechartet hatten – manchmal auch einen kompletten Sonderzug –, der uns zusammen zum Ort der Demo brachte, und uns danach auch wieder in unsere Städte zurückfuhr. Das war natürlich viel besser, als alleine oder in einer kleinen Gruppe fahren zu müssen oder mit dem eigenen Auto in eine Polizeikontrolle zu geraten«, erinnert sich Anna, die nun schon einige Male mit dem Solibus mitgefahren ist. Während dieser Fahrten gab es nichts Gemeinsames mit denjenigen, die die Mobilität erst möglich machten, wie etwa den Angestellten, die den Auftrag bearbeiteten, die Techniker*innen und Fahrer*innen. Der Transport wurde als Paket gekauft, die dahinter stehenden Menschen blieben meistens anonym. »Es kam uns gar nicht in den Sinn, dass sie etwas mit uns zu tun haben könnten, wir hatten einfach keinen Bezug zu den Menschen, die uns zu den Aktionen brachten.«

Etwas anderes ist es, mit dem Solibus unterwegs zu sein: Die politische Aktion hat für die Fahrer*innen und Busbegleiter*innen schon angefangen, wenn die Aktivist*innen zusteigen, und sie endet erst, wenn der Bus nach der Rückfahrt abgestellt wird. Der Solibus kann auch nicht gebucht werden. »Man kann uns anfragen, und jede Aktion, die wir wichtig finden, machen wir auch. Wenn wir eine Fahrt zusagen, sind wir Teil der Tour und der politischen Aktion. Das heißt, ab dem Zeitpunkt, wenn die Anfrage auf unser Interesse stößt bis zum Beginn der Tour, was während der Fahrt passiert, wie dann die Aktion verläuft – alles ist miteinander verzahnt und eingebettet in den politischen Kontext«, erklärt Piet einen der Grundsätze des Solibus e.V. Den mitreisenden Aktivist*innen, ob sie in Berlin oder unterwegs zusteigen, wird vermittelt, dass der Solibus ein Teil der gesamten Organisationsstruktur ist und für sie auch bis zum Ende der Aktion da ist.

»Uns ist es wichtig, im Bus jedes Mal zu erklären, wer wir sind, weil wir glauben, dass die wenigsten sich vergegenwärtigen, dass es einen Reisebus geben kann, der von Leuten mit einer politischen Haltung in dieser Weise organisiert wird und der eben kein Dienstleistungsbetrieb ist, sondern ein sozialpolitisches Projekt. Damit wollen wir auch die konsumistische Haltung, die es überall um uns herum und auch in der Bewegung gibt, ein wenig aus den Köpfen vertreiben. Die Aktivist*innen sollten auch begreifen, dass wir ein Teil der Aktion, ein Teil ihrer Tour sind, und dass wir eben auch die meiste Zeit unseres bisherigen Lebens politisch aktiv waren, und es weiterhin sind.« Nicht nur bei Polizeikontrollen und Durchsuchungen bei der An- und Abfahrt oder bei Repressionen und Gewalt während der Aktion wird der Zusammenhalt bestärkt, lassen sich Verunsicherungen und Ängste solidarisch besprechen. »Schon auf der Hinfahrt tauschen wir uns alle gemeinsam darüber aus, was uns erwartet und wie wir mit der möglichen Repression umgehen können, wie wir aufeinander aufpassen können und alle sicher nach Hause kommen.« Die Diskussionen im Bus haben eine große Bedeutung für die sich entwickelnde Solidarität auch während der Aktionen. Und dafür, dass sich die Aktivist*innen mit der Idee von Mobilität für eine solidarische Welt identifizieren.

Teil einer linken Infrastruktur

Ein Beispiel unter vielen Aktionen, bei denen der Solibus Teil der Bewegung oder eines Aktionscamps geworden ist, waren die Proteste im Dannenröder Forst. »Wir waren zweieinhalb Monate im Dannenberger Forst und bei den Waldbesetzungen dabei«, berichtet Piet. »Das heißt, wir haben als Teil der Camp-Struktur mit den anderen gemeinsame Aktionen und die Mobilitätsstruktur diskutiert. Der Bus war die ganze Zeit über aber auch ein Anlaufpunkt für Aktivist*innen mit ganz unterschiedlicher politischer Vorgeschichte, die bei manchen bis zu 40 Jahre zurückreichte. Der Bus war eigentlich immer voll und jüngere und ältere Aktivist*innen haben sich die ganze Zeit über ihre Erfahrungen und Ideen austauscht.«

Auf dem Weg zum Camp Ziviler Ungehorsam gegen Kriegsvorbreitungen 16. bis 21. September 2020 am Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in der Altmark (bei Magdeburg). Foto: Solibus e.V.

Der Bus ist auch so etwas wie ein Puffer, wenn der Repressionsapparat und Aktivist*innen aufeinandertreffen, beispielsweise bei Polizeikontrollen und Durchsuchungen des Busses. Dadurch, dass der Solibus erst einmal auf die Verhandlungsebene geht, können beide Seiten oft emotional »runterdrehen«. »Wir haben im Dannenröder Forst irgendwann mal von einem Plenum die Rückmeldung bekommen, dass es für sie emotional sehr wichtig ist, dass wir mit dem Bus da sind und wir auch hinter den Sachen stehen. Mit unserer Ruhe und Erfahrung bieten wir einen gewissen Schutz, wenn es zur Konfrontation mit der Polizei kommt.«

Dem Solibus und seinen Unterstützer*innen aus dem gesamten Bundesgebiet geht es darum, dass die sozialen Bewegungen den Solibus als ihren Bus akzeptieren, ihn als Teil einer linken Infrastruktur annehmen, so wie diejenigen, die sich um die Essensversorgung auf den Aktionscamps, um die Technik bei Veranstaltungen und die Kinderbetreuung kümmern, die die Toiletten reinigen oder Rechtsberatung anbieten. Der Bus soll eine Ressource sein, die von allen genutzt werden kann, die es Menschen ermöglicht, Teil eines politischen Diskurses im öffentlichen Raum zu sein.

Innenansichten

Seit dem 22. Januar 2019 gibt es den »Solibus e.V.«, seine erste Tour hatte der Solibus im Juni 2019. Die Vereinsmitglieder sind »Busfahrer*innen, Busmechaniker*innen, Buchhalter*innen, Bücher- und Steuerfüchse, Schreiberlinge, Grübler*innen, Kritiker*innen, Archäolog*innen und weitere(s) mehr«. Von vornherein sollte nach außen klar gemacht werden, dass der Solibus kein alternatives Dienstleistungsunternehmen ist. »Wir organisieren uns als Kollektiv«, sagt Piet, »aber wir sind kein Kollektiv im klassischen Sinne«. Die Spendengelder fließen 1:1 in den Betrieb und Unterhalt des Busses. Die Anfragen werden von Piet in Berlin bearbeitet. Selbst seit 40 Jahren in verschiedenen sozialen Bewegungen aktiv, diskutiert er sämtliche Anfragen mit den nachfragenden Gruppen und tauscht sich mit Mitstreiter*innen vom Solibus und Unterstützer*innen von außen darüber aus. Es wird diskutiert, wie die Aktion unterstützt werden kann oder auch, ob sich der Solibus daran beteiligt. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit jeder Anfrage soll ein Korrektiv dafür sein, dass der Solibus ein politisches Projekt bleibt und kein Dienstleistungsbetrieb wird, der mit etwas anderen Konditionen wie herkömmliche Busbetriebe arbeitet. Aktionen von Parteien und anderen Großorganisationen werden nicht unterstützt und entsprechende Anfragen abgelehnt.

Gegenseitiges Vertrauen

Mit der Vorstellung, dass mit der Finanzierung des Busses keine Ressourcen von der Bewegung abgezogen werden (zu Beginn betrachteten einige die benötigten finanziellen Mittel als Verlust für die Bewegung), sondern alles, was ein Reisebus leistet, als Ressource einer parteiunabhängigen emanzipatorischen linken Bewegung zurückgegeben werden soll, ist die Idee eines Soli-Reisebusses schon 2007 entstanden. Nach den Protesten gegen den G7-Gipfel in Heiligendamm haben sich zwei Berliner Aktivist*innen intensiv mit der Idee auseinandergesetzt und ein Konzept geschrieben, das für das jetzige Projekt den Referenzrahmen lieferte. Der Bedarf für eine solidarische Mobilität war nicht schwer zu erklären, aber es war noch unklar, ob es als Kollektiv funktionieren könne und wie die Kosten aufgebracht werden.

»Mir war klar«, sagt Piet, »dass ein Großteil der Arbeit an mir hängen bleibt, da ich diese Kontinuität und Erfahrung mitbrachte als Mechaniker und ich im Besitz eines Busscheines der bestandenen Prüfung an der Industrie- und Handelskammer zum ›Verkehrsleiter für Omnibusbetriebe‹ und damit konzessionsberechtigt bin, um den Solibus betreiben zu können. Dadurch waren Verantwortlichkeiten erst einmal verteilt. Vor allem aber wurde mir wegen meiner politischen Haltung der lange Atem zugetraut, den es braucht, um ein solches Projekt auch auf die Beine zu stellen«. Ausgestattet mit einem großen Vertrauensvorschuss aus der sozialen Bewegung wurden die Diskussionen dann 2017/2018 immer konkreter, einen Bus zu kaufen.

Die Liste der Soli-Bustouren seit Juni 2019 ist beeindruckend lang, allein in den letzten Wochen war der Solibus bei Ende Gelände in Hamburg, bei der Demonstration »30 Jahre nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen«, beim Rheinmetall Entwaffnen-Camp in Kassel und bei den Aktionstagen im Oldenburger Land gegen die Tierindustrie (siehe auch Seite 13) unterwegs. Durch die vielen Solibus-Touren sind in den vergangenen Jahre viele neue Vernetzungsstrukturen zwischen Organisationen und politischen Aktivist*innen aus der sozialen Bewegung entstanden.

»Viele politisch Aktive sind begeistert vom Solibus«, sagt Piet, »und mittlerweile haben wir oft doppelte und dreifache Anfragen für einen Termin und uns tut es dann total leid, absagen zu müssen. Wir möchten eigentlich viel öfter fahren. Mit dem zweiten Bus, den wir in diesem Jahr gekauft haben, können wir nun aber bei einer ganzen Menge mehr Aktionen dabei sein.«

Link: www.soli-bus.org

Um den neuen Bus finanzieren zu können, hat Solibus e.V. einen Spendenaufruf gestartet.

Spendenkonto:
Solibus e.V.
GLS Gemeinschaftsbank
IBAN DE89 4306 0967 1231 8868 00
BIC GENODEM1GLS
Spendenzweck: Zweiter Solibus

Titelbild: Polizeikontrolle auf einer Tankstelle auf der Fahrt zu einer Demonstration in Krosno in Polen am 12. Februar 2022, wo Geflüchtet in einer Polizeikaserne festgehalten wurden. Foto: Solibus e.V.

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