Kunst und Kultur statt »Schweineöde«

Der Stadtteil Schöneweide im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick heißt im Volksmund seit langem eigentlich nur »Schweineöde« oder vereinzelt auch »Schöne Langeweile«. Er liegt weit außerhalb des Berliner S-Bahnringes, der Berlin wie eine unsichtbare Stadtmauer umgibt. Hier lag lange Zeit der sprichwörtliche Hund begraben – und auch ein Campus der Hochschule für Technik und Wirtschaft hat daran lange Zeit nicht viel geändert. Einen Ort wie die Novilla würde man hier nicht erwarten – schon eher in einem Trendbezirk wie Friedrichshain, Mitte oder Prenzlauer Berg, wo es manchmal wohl auch leichter wäre, für das vielschichtige Programm ein größeres Publikum zu gewinnen.

Maurice Schuhmann, Berlin

Seit Mai 2014 bespielt der ursprünglich in den USA gegründete Kunstverein »Moving Poets« mit seinem Berliner Pendant eine Etage in der Novilla. Derweil benutzen Musiker*innen die Proberäume im Keller und die Künstler*innen arbeiten ihren Ateliers und Literat*innen in ihren Schreibstuben in den oberen Stockwerken. »Bespielen« heißt konkret, dass der gemeinnützige Verein »Moving Poets Berlin« ein reichhaltiges und vor allem international ausgerichtetes Kulturprogramm (meist) bei freiem Eintritt anbietet. Das reicht von Einzel- und Gruppenausstellungen von bildenden Künstler*innen über experimentelle Theateraufführungen, Weltmusik-Konzerte bis zu schönen Lesungen und diskussionsfreudigen Philocafés.

Die internationale und interkulturelle Ausrichtung macht diese Villa zu einem wunderbaren Ort. Mal findet deutsch-zypriotischer Literaturaustausch statt, ein anderes Mal beherbergt der Verein das »Berlin Asia Arts Festival« oder zelebriert zusammen mit der Fachstelle Treptow-Köpenick für Vielfalt gegen Antisemitismus das jüdische Laubhüttenfest (Sukkot). Hier zeigt sich, dass Internationalismus und Multikulturalismus keine leeren Worthülsen sind. Dabei kommt aber auch der lokale Bezug nicht zu kurz. Zweimal jährlich findet zum Beispiel ein Nachbarschaftsflohmarkt statt. Auch andere Nachbarschafts­initiativen nutzen gelegentlich die Räume und organisieren schon mal ein deutsch-französisches Sommerfest im Garten der Novilla.

Dabei wird von dem Verein nicht nur die eigene Etage genutzt, sondern auch der fast schon parkartige Garten, der zum Grundstück dazu gehört. Gerade in den Sommermonaten spielt sich vieles hier ab. Diverse Bänke bieten eine Sitzgelegenheit, es gibt eine mobile Feuerstelle, ein kleines Zirkuszelt zum Unterstellen bei Regen. Auch Getränke gibt es gegen eine geringe Spende.

Der Ort, eine direkt an der Spree gelegene Villa, ist dafür ideal – und mit seiner wechselvollen Geschichte auch gleichzeitig mit einer Verpflichtung verbunden. Die Villa gehörte einst dem jüdischen Fabrikantenpaar Richard und Elsbeth Lehmann, die auf dem Nachbargrundstück eine Plüschfabrik betrieben. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise mussten sie die Villa verkaufen, die dann später in der Zeit des Nationalsozialismus als Gesundheitsamt diente. Das Ehepaar Lehmann, an die in Berlin auch zwei Stolpersteine erinnern, starben in unterschiedlichen Konzentrationslagern. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Standort dann als Wehrkreiskommando genutzt. Die Wehrpflichtigen wurden hier gemustert. Später residierte hier zeitweilig das Bezirksordnungsamt. Auch als Standesamt war die Villa einmal im Gespräch, was mit der Berliner Bezirksreform allerdings obsolet wurde. Nun ist das Gebäude seit fast zehn Jahren ein Ort der internationalen Kunst und Kultur, der nicht nur im Bezirk Strahlkraft besitzt.

Dass dieser Ort als solcher funktioniert, verdankt er den ehrenamtlichen Helfer*innen, die das Projekt am Laufen halten. Ohne ihre Mitarbeit wäre die Novilla längst nicht mehr das, was sie jetzt ist – auch wenn es die eine oder andere Projektförderung gibt. An dieser Stelle daher ein großer Dank an diese – vor allen dem langjährigen Berliner Kulturarbeiter Lutz Längert, der die gute Seele des Projektes ist und die Programmkoordination innehat. Damit das Projekt weiter so tolle und wertvolle Kulturarbeit machen kann, ist man sowohl auf weitere helfende Hände als auch Geldspenden für das Bestreiten der Fixkosten (Miete, Strom) angewiesen. Interessierte können sich gerne melden.

Es gibt einen monatlichen Newsletter, den man über die Webseite abonnieren kann. Die Öffnungszeiten variieren. Es lohnt daher, vorher auf die Webseite zu schauen.

Link: https://kurzelinks.de/wr93
Facebook: https://www.facebook.com/MovingPoetsBerlin
Instagram: https://www.instagram.com/movingpoets

Titelbild: Die Novilla im Berliner Stadtteil Schöneweide ist seit fast zehn Jahren ein Ort der internationalen Kunst und Kultur. Foto: Yvonne Schwarz / Semiramis Photoart

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