Seit 2013 unterstützt der Verein »Kunst hilft geben« arme und obdachlose Menschen in Köln. Namhafte Künstler*innen wie Gerhard Richter und Rosemarie Trockel stiften dem Verein regelmäßig einige ihrer Werke, deren Verkaufserlöse den Projekten von »Kunst hilft geben« zugute kommen. In diesem Jahr ist nun der Erwerb einer Immobilie für das Großprojekt CASA COLONIA geplant – einem Integrationshaus, das bezahlbaren Wohnraum für Wohnungslose, Studierende und Künstler*innen bieten und Arbeitsplätze für körperlich, geistig und/oder sozial benachteiligte Menschen schaffen soll.
Marlene Seibel, Redaktion Lüneburg
Seinem jüngeren Bruder Michael konnte Dirk Kästel 1992 nicht helfen. Michael erlag damals im Alter von 30 Jahren seiner Alkohol- und Drogensucht, hatte zuvor seine Wohnung verloren und auf der Straße gelebt. 20 Jahre nach Michaels Tod initiierte Dirk Kästel »Kunst hilft geben« und arbeitet seither mit 14 ehrenamtlichen Unterstützer*innen daran, die Lebenssituation von armen und wohnungslosen Menschen zu verbessern und ihnen eine soziale und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. »Jeder Mensch hat Hilfe verdient«, sagt Kästel. »Das ist die Motivation für mein Engagement.«
2012 kam Kästel die Idee, Kunst einzusetzen, um »Brücken zu bauen zwischen Arm und Reich«. Eine kleine 14-tägige Ausstellung in der IHK Köln wollte er daraufhin veranstalten, zwölf Werke zeigen und einen Kalender aus den Fotografien der Werke machen. Die Erlöse des Kalenderverkaufs sollten der Obdachlosenhilfe gespendet werden. Gemeinsam mit einem befreundeten Künstler und einem Journalisten trat Kästel an verschiedene Künstler*innen heran und erzählte von seiner Idee. Die kam gut an: Anstatt der geplanten zwölf Werke konnten schließlich über 100 Ausstellungsstücke gezeigt und 12.000 Euro über den Verkauf einiger dieser Werke eingenommen werden. Das Geld spendeten Kästel und seine Mitstreiter*innen zu gleichen Teilen an zwölf Kölner Einrichtungen, die sich für wohnungslose Menschen einsetzen. Der geplante Kalender war daraufhin passé. Dirk Kästel wusste, dass er mit seinem Ausstellungskonzept an etwas dran war, das weitaus mehr Potential hat.
Etwa 88 Benefizausstellungen hat Dirk Kästel mit »Kunst hilft geben« seither in Köln und Umland organisiert. Seit Vereinsgründung 2013 konnten so rund 650.000 Euro an Spenden und Erlösen von Kunstverkäufen generiert werden. Das Spendensiegel des Deutschen Instituts für soziale Fragen wurde »Kunst hilft geben« vergangenes Jahr verliehen und bescheinigt dem Verein niedrige Verwaltungs- und Werbekosten. Die Künstlerinnen und Künstler Gerhard Richter, Rosemarie Trockel und HA Schult zählen zu den Unterstützer*innen des Vereins. Zu dessen Beirat gehören unter anderem Künstler Oliver Jordan, Journalist Günter Wallraff und Verlegerin Hedwig Neven DuMont. »Die bekannten Künstlerinnen und Künstler stiften uns in der Regel ihre Werke«, sagt Kästel. »Die Erlöse kommen dann fast vollständig unserem Verein und somit unseren Projekten zu. Andere Künstlerinnen und Künstler erhalten 50 Prozent des Verkaufspreises, wenn sie ein Werk über unseren Online-Shop oder im Rahmen einer Ausstellung verkaufen. So, wie in Kunstgalerien üblich.«
Doch das Ausstellen und Verkaufen von Kunst ist bei »Kunst hilft geben« nur ein Teil der Arbeit, beinahe könnte man es gar als »Mittel zum Zweck« bezeichnen: »Es gibt nichts Gutes – außer man tut es« lautet das bekannte Erich-Kästner-Epigramm, das auch die Werbematerialien von »Kunst hilft geben« ziert. Ein Leitspruch also, der das konkrete individuelle Handeln zur Maxime macht. Und genau da setzt die eigentliche Arbeit von Dirk Kästel und seinem Team an. So unterstützen die Vereinsmitglieder Wohnungslose ganz konkret und individuell etwa bei der Wohnungssuche und bei Behördengängen oder durch das Verteilen von Kleidung und Lebensmitteln. Darüber hinaus organisiert »Kunst hilft geben« Ausflüge, Kunstworkshops und Kino-, Konzert- oder Ausstellungsbesuche für obdachlose Menschen, um ihnen auch eine kulturelle Teilhabe zu ermöglichen.
In diesem Jahr soll nun das Großprojekt des Vereins einen großen Schritt weitergebracht werden: Seit 2013 laufen die Vorarbeiten für CASA COLONIA, ein Integrationshaus, das unter seinem Dach Wohnraum schaffen soll für Obdachlose, Studierende und Künstler*innen. Auch ein Café ist dort geplant, das Arbeitsplätze für Menschen bieten soll, die geistig, körperlich oder sozial benachteiligt sind. Die Wände des Cafés sollen Kunstwerke schmücken und das Café so zu einem kleinen Museum machen. Lesungen und Wohnzimmerkonzerte sind ebenfalls angedacht, außerdem Räumlichkeiten für Ateliers.
Für 2020 steht der Kauf einer geeigneten Immobilie für CASA COLONIA an. Ein denkmalgeschütztes Objekt an der Dellbrücker Hauptstraße, Ecke Bergisch Gladbacher Straße in Köln-Dellbrück kommt derzeit dafür infrage. 1,63 Millionen Euro fallen für dessen Erwerb und die Sanierung an, die angesparten 650.000 Euro aus den Vorjahren werden hier dann vollständig investiert. Für Erwerb und Betrieb der Immobilie ist seitens des Vereins derzeit die Stiftung »Cultopia Köln« in Gründung. Ob die Immobilie tatsächlich an »Cultopia« gehen wird, entscheidet sich in der letzten Kölner Ratssitzung vor der Sommerpause. Dirk Kästel ist zuversichtlich: »Wir rechnen uns gute Chancen aus.« Glückt der Kauf des Objekts und werden im Anschluss die notwendigen Baugenehmigungen erteilt, können die Umbauarbeiten voraussichtlich in 2022 beginnen. Die Inbetriebnahme von CASA COLONIA ist für 2024 geplant.
Mit ihrem Integrationshaus arbeiten Dirk Kästel und sein Verein ganz plastisch an der sozialen Skulptur (siehe Infokasten) und tragen so dazu bei, dass die beuys’sche Idee des kreativ handelnden Menschen, dessen Taten positiv gestaltend auf die Gesellschaft als Ganzes einwirken, Wirklichkeit bleibt. Stein um Stein.
Wer sich am Bau von CASA COLONIA beteiligen möchte, kann dies zum Beispiel über Geld-, Kunst- oder Zeitspenden tun: Derzeit wird vor allem ein*e Expert*in im Bereich Crowdfunding gesucht.
Mehr Infos und Kontaktmöglichkeiten: www.kunst-hilft-geben.de
Titelbild: Jährlich lädt »Kunst hilft geben« ein bis zwei Mal 20 bis 30 Gäste aus Wohnungsloseneinrichtungen zu einer Ausstellung samt Livemusik und
Festessen ein. Ein Gast der Ausstellung »30 Jahre Mauerfall« kürte Gerhard Richters »Eisberg« zu seinem Lieblingsbild. Foto: Anatoliy Stepanko