Kolumne: Politik unerwünscht?

In meinem letzten Kommentar an dieser Stelle ging es um die Kommunikation im Fediverse, die ich durchaus positiv beurteile. Heute geht es um eine andere Eigenheit, die Mastodon von Twitter unterscheidet, und die ich kritischer sehe: die »Content Warnings«, auf Deutsch Inhaltswarnungen. Damit kann man die Inhalte eines Textes oder Bildes verstecken. Man schreibt nur eine Überschrift, die anzeigt, worum es geht und zum ganzen Inhalt kommt erst, wer den Beitrag anklickt. Damit soll verhindert werden, dass jemand Texte und vor allem Bilder sieht, die er oder sie nicht sehen will.

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel
Illustration: Eva Sempere

Das ist nachvollziehbar und hilfreich, wenn es um Gewaltszenen geht, wie wir sie etwa bei Polizeieinsätzen oder bei Berichten aus Kriegsgebieten sehen. Bei traumatisierten Menschen können solche Bilder Retraumatisierungen auslösen. Auch nicht traumatisierte Menschen können aber so entscheiden, was sie sich an Bildern oder Videos zumuten wollen.

Was mich aber irritiert hat: Es gibt Instanzen, auf denen grundsätzlich »politische« Inhalte mit Warnungen versehen werden sollen. Das finde ich ziemlich krass, ganz unabhängig davon, dass es schwer zu definieren ist, was »politisch« ist. Klar, im Privatleben kann ich immer entscheiden, worüber ich zu welchem Zeitpunkt reden will. Bei Familientreffen kann es durchaus sinnvoll sein, politische Themen auszusparen. Aber soziale Medien sind ein öffentlicher Raum, kein privates Wohnzimmer.

Gibt es wirklich ein Recht auf Nicht-Wissen? Das Recht zu sagen, ich will nichts über Umweltprobleme hören, über die Situation an den europäischen Grenzen, über Polizeigewalt und Korruption? Für mich persönlich sind soziale Medien Ort, wo ich mich genau über solche – und andere »politische« – Dinge informiere, aber auch diese Informationen weitergeben will, weil ich es für wichtig halte, dass niemand sagen kann, er oder sie haben davon nichts gewusst. Dass das auf Mastodon nicht selbstverständlich ist, fand ich erschreckend. Was sagt das über eine Gesellschaft, wenn politische Angelegenheiten, die uns ja alle angehen, mit einer Warnung versehen werden müssen?

Twitter ist eine explizit politische Plattform. Politiker*innen, Medienleute, Aktivist*innen und NGOs sind dort aktiv, streiten miteinander, finden aber auch Möglichkeiten, sich auf kurzem Weg auszutauschen. Hier wurde wirklich ein Kulturschock sichtbar und die Verstörung war bei vielen groß, als sie sich nach dem Abschied von Twitter auf Mastodon wieder fanden. Es war so mancher Umzug von einem Server zu einem anderen nötig, bis alle dort waren, wo ihre Inhalte auch erwünscht waren. Zum Glück gibt es auch Instanzen, auf denen politisch diskutiert werden kann und ich kann auch auf Mastodon die politischen Entwicklungen verfolgen und mit Menschen in Kontakt bleiben, die unmittelbar aus Konfliktzonen berichten, trotzdem bleibt eine gewisse Irritation.

Brigitte Kratzwald

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