Kolumne: Über Drukos und Drükos

Seit ich vergangenen September einen Beitrag für CONTRASTE über das Fediverse geschrieben habe, habe ich einen Mastodon-Account, das ist das Fediverse-Äquivalent zu Twitter. Ich hatte das aus Neugierde gemacht, aber auch weil ich den bekannt rauen Ton auf Twitter während der Pandemie nicht mehr ertragen konnte. Im Vergleich dazu ging es dort sehr friedlich zu. Nicht nur, weil da nur wenige Leute waren, das oberste Motto im Fediverse lautet »be excellent to each other«, also: seid nett zueinander. Mit der Ruhe war es vorbei, als Elon Musk Twitter kaufte. Plötzlich stürmten viele Menschen Mastodon und ein soziales Experiment begann: Kann das mit einem dezentralen, mit viel ehrenamtlicher Arbeit betriebenen Netzwerk überhaupt funktionieren? Eine interessante Frage dabei: Inwieweit ist es möglich, durch Algorithmen und mit technischen Mitteln die Gesprächskultur im Internet zu beeinflussen?

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel
Illustration: Eva Sempere

Ein Beispiel dafür sind die Möglichkeiten der Kommunikation. Bei Twitter gibt es dafür zwei. Man kann auf einen Tweet antworten, dann erscheint die eigene Antwort unterhalb des ursprünglichen Textes. Wenn mehrere Menschen darauf antworten entsteht ein »Thread«, in dem alle Antworten untereinander sichtbar sind. Das sind die sogenannten »Drunterkommentare«, kurz »Drukos« genannt. Der Ablauf gleicht einem Gespräch im realen Leben.

Dann gibt es die »Drüberkommentare« oder »Drükos«. Dabei wird ein Tweet zitiert und der eigene Kommentar erscheint oberhalb. Meist sind diese Kommentare nicht sehr freundlich, eher zynisch, abwertend, empört. Oft entstehen daraus die berüchtigten Shitstorms. Diese zweite Möglichkeit gibt es auf Mastodon nicht. Für viele war nach dem Umzug der Schreck groß – wo sind die Drükos? Wir brauchen die! Die Antwort der Serveradmins war so einfach wie nachvollziehbar: »Redet miteinander, nicht übereinander!«

Tatsächlich entsprechen Drükos im realen Leben eher einem Verhalten, bei dem man sich in Abwesenheit eines Menschen über dessen Dummheit oder Schlechtigkeit auslässt. Man könnte den gleichen Effekt, nämlich eine Kritik anzubringen und andere mitlesen und -reden zu lassen, auch mit der Antwortfunktion erreichen. Man würde dann vermutlich die Kritik wertschätzender formulieren und so vielleicht eine interessante Diskussion anstoßen.

Nun kann man mit Recht einwenden, dass man nicht mit jedem rechten Troll eine Diskussion beginnen will. Muss man aber umgekehrt wirklich über jeden rechten Troll »drüber kommentieren« und ihm vielleicht dadurch erst die gewünschte Aufmerksamkeit verschaffen? Weil kein Algorithmus umstrittene Beiträge oben hält, sinken sie im Fediverse einfach schnell und leise in der Zeitleiste nach unten, was vielleicht die bessere Lösung ist.

Weil die Software offen ist und die einzelnen Betreiber*innen viele Freiheiten haben, ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis Instanzen auftauchen, die Drükos erlauben – und andere werden sie für ihre Server sperren. Das soziale Experiment läuft …

Brigitte Kratzwald

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