»Von vorne bis hinten rechtswidrig«

Der Freie Radiosender Radio Dreyeckland und die Gesellschaft für Freiheitsrechte wenden sich gegen ein Ermittlungsverfahren und Durchsuchungen bei dem Freiburger Sender.

Achim Schill, Berlin

Wie bereits mehrfach berichtet, kam es bei dem freien Sender Radio Dreyeckland (RDL) zu Durchsuchungen der Wohnungen von zwei Redakteuren und des Redaktionssitzes. Anlass dazu war ein Artikel vom 30. Juli 2022, der über die Einstellung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Verbot des angeblichen »Verein[s] ›linksunten.indymedia‹« berichtete. Das Verbot war 2017 vom Bundesinnenministerium verfügt worden. In dem jetzt verfahrensgegenständlichen RDL-Artikel, der auch immer noch online ist, wurde auch das »Archiv« von linksunten.indymedia verlinkt. Von wem dieses Archiv ins Internet gestellt wurde, ist nicht bekannt.

Beschwerde eingelegt

Die Link-Setzung versucht die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nun als »Unterstützung« des verbotenen Vereins zu kriminalisieren. Die Betroffenen haben inzwischen gegen die Durchsuchungsbeschlüsse Beschwerde bei Gericht eingereicht. Am 13. März erstellten Radio Dreyeckland und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Presseerklärungen mit der Information, dass die GFF die Beschwerden unterstützt, und stellten die Grundzüge der Beschwerdebegründung vor.

Im Wesentlichen bekräftigte RDL seinen Willen, die Durchsuchungen nicht auf sich sitzen zu lassen. Denn es gehe nicht nur um die Meinungs- und Pressefreiheit (in dem Fall vielmehr: Rundfunkfreiheit) des Senders, die ja schon wichtig genug sind, sondern obendrein auch noch um den Versuch der Verletzung der Datenschutzrechte der HörerInnen von RDL bzw. genauer: der LeserInnen der Webseite von RDL. Denn die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte versucht, die »IP-Zugriffe« auf die Webseite von Radio Dreyeckland in Erfahrung zu bringen. Dies könne der Sender – entgegen anderslautender Behauptung der Karlsruher Staatsanwaltschaft – auch belegen.

David Werdermann, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF, machte zusammenfassend geltend: »Die Durchsuchungsbeschlüsse waren von vorne bis hinten rechtswidrig. Die Presse muss kritisch über Medienverbote berichten dürfen – dazu gehört auch die Verlinkung von relevanten Seiten. Nur so können Leser*innen sich selbst informieren und eine Meinung bilden«.

Im Einzelnen führt Radio Dreyeckland folgende Argumente gegen die Rechtmäßigkeit des ganzen Ermittlungsverfahrens und insbesondere der Durchsuchung an:

  1. Es könne schon deshalb keine Straftat der Unterstützung des verbotenen Vereins geben, da der Verein auch nach Ansicht der Verbotsbehörde (=Bundesinnenministerium) gar nicht mehr existiert. »Die Freiburger Kriminalpolizei und in der Folge die Karlsruher Staatsanwaltschaft hätten also nie Ermittlungen gegen Radio Dreyeckland aufnehmen dürfen«, so Radio Dreyeckland. Was nicht existiert, kann auch nicht unterstützt werden. »Es gibt schlichtweg keine Vereinigung, die die Meldung vom 30. Juli 2022 hätte unterstützen können«, so der Freiburger Sender.
  2. Im Übrigen habe der Artikel auch inhaltlich keine unterstützende Tendenz für den ehemaligen »Verein«. Schon gar nicht habe sich der Sender zum »Sprachrohr« (so aber der Vorwurf der Staatsanwaltschaft und des Amtsgerichts Karlsruhe) des »Vereins« gemacht. Der Artikel habe bloß »sachlich über die Einstellung des Verfahrens wegen vermeintlicher ›Bildung einer kriminelle Vereinigung‹ im Fall von Indymedia Linksunten« informiert. Ergänzt sei: Auch über die Existenz des Archivs der vormals von dem angeblichen Verein betriebenen Webseite (open posting-Plattform) wurde sachlich – und faktisch zutreffend (dies können alle überprüfen!) – berichtet: »Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite.«
  3. Um dennoch eine unterstützende Tendenz des Artikels zu konstruieren, scheuten Staatsanwaltschaft und Amtsgericht nicht einmal davor zurück, den Inhalt des Artikels zu verfälschen. In dem Durchsuchungsbeschluss (vom 13. Dezember 2022) zum Aktenzeichen 35 Gs 1845/22 heißt es: Dass sich der Artikel-Autor (und der für den Artikel medienrechtliche Verantwortliche des Senders) »als Sprachrohr« bzw. »verlängerter Arm« in den Dienst des verbotenen »Vereins« gestellt und diesen dadurch unterstützen hätten, ergäbe sich unter anderem daraus, dass »bei der Aufmachung des Artikels bereits als zentrale Aussage das bildliche Statement ›Wir sind alle linksunten‹ gewählt wurde, was von dem angesprochenen Leserkreis zweifelsohne als eine sich die unterstützende Tendenz [des ›bildlichen Statements‹] zu eigen machende Meinungsäußerung der Verfasser verstanden werden« müsse (zit. n. taz-Blogs vom 22. Januar 2023).
  4. Die Bildunterschrift zu dem Foto (zu sehen ist die zitierte Parole als Graffiti an einer Wand) lautet aber vielmehr: »›Wir sind alle linksunten‹ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.« – Also von wegen »zu eigen machen« des bildlichen Statements. Vielmehr handelte es sich um einen strittigen Diskussionspunkt einer Podiumsdiskussion.

Eingriff in das Redaktionsgeheimnis

Schließlich griffen die Durchsuchungen mit anschließender Beschlagnahme in das – von der Rundfunkfreiheit mit geschützte – Redaktionsgeheimnis ein. »Mit den beschlagnahmten Daten, die gespiegelt immer noch bei der Polizei liegen, wäre zusammen mit dem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Karlsruhe gegen die komplette digitale Infrastruktur von RDL eine der größten Redaktionsausforschungen der letzten Jahrzehnte möglich«, kritisiert der Sender.

Abschließend ist zu dem linksunten-Verbot aus dem Jahr 2017 – das dem jetzigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die beiden betroffenen RDL-Redakteure zugrunde liegt – zu ergänzen, dass es bereits 2020 zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Leipzig kam, die eine gute und eine schlechte Nachricht enthielt:

  • Die gute Nachricht ist, dass nicht das Internetportal verboten worden sei, sondern vielmehr der »Personenzusammenschluss« (»Verein«), der »linksunten« herausgegeben hatte: »Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internet­adresse linksunten.indymedia.org betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ›linksunten.indymedia‹ als Organisation.
  • Die schlechte Nachricht ist, dass über das Verbot selbst (also die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verbotes des Personenzusammenschlusses) nicht entschieden wurde.

Verfassungsbeschwerde nicht angenommen

Gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wandten sich die KlägerInnen (das waren diejenigen, denen 2017 die Verbotsverfügung zugestellt worden war) anschließend mit Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe. Über diese Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG (bereits) am 1. Februar 2023 entschieden, wie aber jetzt erst aufgrund eines Berichtes der Legal Tribune Online vom 10. März 2023 bekannt wurde. Das Entscheidungsergebnis: Es gibt keines – die Verfassungsbeschwerde wurde gar nicht erst zur Entscheidung angenommen, da der Vortrag der BeschwerdeführerInnen »nicht substantiiert« sei, so das Bundesverfassungsgericht.

In dieser ziemlichen Justizfarce fehlt zwar das Potential für eine Tragödie, aber immerhin findet sich noch eine heitere Attitüde. So schreibt die Wochenzeitung Kontext: »Das Ministerium [Justizministerium Baden-Württemberg] betont jedoch, dass das von RDL verlinkte Archiv ›alle Artikel mit Tatbekennungen oder befürwortenden Kommentaren zu begangenen Straftaten, aber auch Aufrufe zur Begehung künftiger Taten‹ enthalte. Es ist wohl nur als Treppenwitz zu verstehen, dass auch das Justizministerium in seiner schriftlichen Antwort [auf FDP-Landtagsabgeordneten und Juristen Nico Weinmann] gleich zwei Links auf das verbotene Archiv gesetzt hat.«

Achim Schill lebt in Berlin und arbeitet als Telefonist in einem Call-Center. In seiner Freizeit ist er unter anderem Blogger im Bereich Kultur-und Medienkritik.

Link zu seinem Blog: https://systemcrash.wordpress.com

Anmerkung der Redaktion: RDL hat am 23. Mai eine aktuelle Pressemitteilung veröffentlicht. Die Staatsanwalt Karlsruhe hat Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe eingelegt. Das Landgericht hatte die Klage gegen den Verfasser der RDL-Meldung zuvor abgelehnt.

Titelbild: Hausdurchsuchung in der Redaktion von Radio Dreyeckland. Foto: Radio Dreyeckland

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