Viele schauen derzeit besorgt auf die »Anti-Corona-Demos«, an denen neben Rechten und Verschwörungstheoretiker*innen auch viele Menschen teilnehmen, die sich einfach als unpolitisch verstehen, aber kein anderes Ventil finden, um ihre starke Belastung durch die Anti-Corona-Maßnahmen zum Ausdruck zu bringen. Tatsächlich gab es außer Durchhalteparolen lange Zeit wenig aus linker Perspektive zu hören, vor allem kaum Kritik an den Maßnahmen.
Viel Zustimmung erhielt die Zero-Covid-Initiative für ihre Forderungen nach noch schärferem Lockdown. Kritik daran wird oft vorschnell als sozialdarwinistisch und rechts diskreditiert. Hinter diesen Diskussionen verschwinden die dazugehörigen sozialen Forderungen und schaffen es nach wie vor nicht, die betroffenen Menschen zu erreichen. Zu viel Terrain wurde offensichtlich schon an die schnell und laut vorgebrachten und oft auf den ersten Blick plausibel klingenden Verschwörungstheorien verloren.
Dabei enthält die wachsende Zahl linker Debattenbeiträge jenseits der unterschiedlichen Positionen zu Corona viele Gemeinsamkeiten. Alle zeigen auf, dass all die Probleme des neoliberalen Kapitalismus, die schon lange benannt wurden, durch die Corona-Krise verstärkt und nun für alle Menschen überdeutlich wahrnehmbar werden. Und sie sind sich auch einig darin, dass längerfristig nur durch die Überwindung des Kapitalismus Bedingungen geschaffen werden können, unter denen Gesellschaften mit Pandemien wirklich solidarisch umgehen können. Derzeit verschärft sich die soziale Ungleichheit, zuhause bleiben können im Wesentlichen die Bessergestellten. Prekär Beschäftigte, ökonomisch Schwache, soziale Randgruppen leiden am meisten und können sich am wenigsten schützen. Daraus müssten sich doch Forderungen ableiten lassen, mit denen die betroffenen Menschen erreicht werden könnten, wenn man sich nur überwinden könnte, den Unterschieden in der Bewertung der Maßnahmen zum Trotz, gemeinsam aufzutreten.
Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung der am meisten geforderten Beschäftigten in Handel, Pflege oder bei Zustelldiensten, Maskenpausen, Verbesserungen bei Arbeitslosengeld und Sozialhilfe – oder gleich ein Bedingungsloses Grundeinkommen; Rücknahme der Privatisierungen im Gesundheits- und Pflegesektor; Entwicklung des Schulsystems, das derzeit die ohnehin schon Marginalisierten endgültig abhängt; Vermögenssteuern, die die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns abdecken. Schon lange war die Wahrscheinlichkeit nicht mehr so groß, dass diese Forderungen von einer großen Masse von Menschen mitgetragen werden könnten, zeichnet sich doch schon ab, dass es wieder die Schwächsten sein werden, die die Kosten tragen, finanziell und mit ihrer Gesundheit. Wir könnten nicht weniger als »die gesellschaftliche Veränderung als eine dringliche lebensrettende Maßnahme einfordern«, wie es der Autor Panagiotis Sotiris schon im März vorschlug.
Brigitte Kratzwald