Eine gemeinschaftliche Antwort auf die Pandemie

Cecosesola stellt als gemeinnützige Organisation einen fundamental wichtigen Faktor für das Überleben eines nennenswerten Anteils der Bevölkerung in Venezuela dar – besonders unter den derzeitigen Umständen. Das sagt viel aus über ihre Möglichkeiten in puncto Resilienz.

Autor*innenkollektiv von Cecosesola-Mitgliedern

Die Situation, die Venezuela durchlebt, ist mit COVID 19 noch um einiges schwieriger geworden. Venezuela ist das Land mit der höchsten Inflation weltweit: 3.684 Prozent gegenüber dem Vorjahr, laut der Nationalversammlung. Das hat das Land in das ärmste in der Region verwandelt. Der Mindestlohn liegt bei ca. drei Dollar monatlich. In den letzten sechs Jahren ging das Bruttoinlandsprodukt um ca. drei Viertel zurück, dadurch gingen auch massiv Arbeitsplätze verloren. Im ganzen Land ist die Stromversorgung stark eingeschränkt. Ein landesweiter Mangel an Gas für den häuslichen Bereich hat zur Folge, dass die Verwendung von Holz als Brennstoff sich weit verbreitet hat – einhergehend mit der sich daraus ergebenden Umweltzerstörung. Die Verknappung in der Trinkwasserversorgung ist gravierend, in Zeiten der Pandemie entsteht daraus eine lebensgefährliche Bedrohung. Hinzu kommt die unzulängliche Versorgung mit Medikamenten in einem prekären öffentlichen Gesundheitssystem, darüber hinaus ein dramatischer Mangel an Treibstoff, ein vollständig zum Erliegen gekommenes öffentliches Transportwesen und die enorme allgemeine Verteuerung von Gütern und Dienstleistungen.

Eine resiliente Organisation

Derzeit klagt die Privatwirtschaft über eine massive Konkurswelle, Entlassungen und das Unvermögen, auch nur das aktuelle Lohnniveau zu halten. In unserem Fall leben wir als Mitglieder von Cecosesola eine Realität, die im offenen Widerspruch mit der der anderen Akteur*innen in der Wirtschaft steht. Wir stellen nach wie vor neue Mitarbeitende ein. Im bestmöglichen Fall passen wir unsere Einkünfte so der Inflation an, dass wir weiterhin unsere Grundbedürfnisse befriedigen können, auch indem wir uns gegenseitig mit unseren Solidaritätsfonds, zum Beispiel bei Investitionen, mit Medikamenten und im Bereich Gesundheit unterstützen. Gleichzeitig und in Anbetracht der Hoffnungslosigkeit der Situation, unter der die Bevölkerung leidet, haben wir die Zuschlagsmargen für unsere Produkte und Dienstleistungen reduziert, um die Zugänglichkeit noch weiter zu erleichtern, allerdings ohne unsere wirtschaftliche Stabilität zu gefährden.

Nicht-Gehorchen als notwendige Aktion

Im Netzwerk Cecosesola haben wir 20 kommunale Märkte. Wir versorgen etwa 40 Prozent der Bevölkerung der Millionenstadt Barquisimeto. In einigen unserer Märkte werden bis zu 6.000 Menschen an einem Tag versorgt. Das bedeutet eine große Menschenansammlung. Mit den Einschränkungen durch die Ausgangssperre in Zeiten des Coronavirus mussten wir mehr Menschen in weniger Zeit unter Einhaltung der Abstandsregeln versorgen. Niemand durfte vor 7 Uhr morgens sein Haus verlassen und alle mussten vor 14 Uhr wieder zurückkehren. Das Nichteinhalten des Erlasses wird mit Verhaftung durch die Polizei bestraft. Es war unmöglich, diese Mengen an Menschen in so limitierter Zeit zu versorgen; und ohne Rücksprache mit der Regierung entschieden wir uns dafür, das zu tun, was wir seit über 40 Jahren tun: Wenn ein Gesetz, eine Regel oder irgendeine Anordnung der Staatsmacht unseren Bildungsprozess oder die Bedürfnisse unserer Gemeinschaft behindert, missachten wir diese in aller Stille. Wir tun das, was getan werden muss – ohne Konfrontationen, ohne anzugreifen oder jemanden zu beschuldigen. Für uns ist das Nicht-Gehorchen eine notwendige Aktion, die außerdem versucht den Dialog zu öffnen um Verständnis zu erlangen.

Konkret verließen wir um 3 Uhr morgens unsere Häuser in Richtung Märkte und um 5.30 Uhr öffneten wir für den Verkauf. Gleichzeitig, ohne uns abzusprechen und aufgrund der Einbindung von Cecosesola in das Umfeld, kamen die ersten Menschen, die auf unsere Märkte zählen, um ihr gebeuteltes Haushaltsbudget zu strecken, um 3 Uhr morgens an. Und als wir öffneten, war die Schlange von Menschen, die auf Einlass warteten, bereits fünf Blocks lang. Angesichts des dramatischen Fehlens eines öffentlichen Nahverkehrs haben sich einige zusammengetan und Diesel-LKWs angemietet. Zusammen haben wir gegen den Erlass der Ausgangssperre verstoßen ohne uns vorher abzustimmen. Es hat nicht lange gedauert, bis die öffentliche Verwaltung eine Ausnahmegenehmigung erteilte, die die Konsequenzen der Ausgangssperre für Cecosesola aufhob.

Um Menschenansammlungen wegen Corona zu vermeiden, mussten wir um einen weiteren Verkaufstag erweitern. Das bedeutet fünf Tage hintereinander frühes Aufstehen gefolgt von einem intensiven Arbeitsrhythmus.

Die Gesundheitsdienste

Angesichts der Einschränkungen durch die Quarantäne und wegen der Ansteckungsgefahr hatten wir zunächst Befürchtungen. Die ökonomischen Verluste, die anfangs durch das Herunterfahren der Aktivitäten dieses Bereichs entstanden sind, konnten wir durch die Einbindung der Gesundheitsarbeiter*innen in den Arbeitsalltag in unseren Märkten auffangen.

Mit Blick auf die Verantwortung, die wir für unser Umfeld haben, und unter Anwendung aller denkbaren Schutzmaßnahmen, haben wir sehr schnell reagiert und unsere sämtlichen medizinischen Dienste wieder aufgenommen (medizinische Sprechstunden, Labordienste, Echographie, Röntgen, Operationen, stationäre Unterbringung), obwohl wir uns des Risikos bewusst sind, das wir tragen. Wir sind einer der wenigen alternativen Gesundheitsdienstleister, die in der Stadt weiterhin funktionieren und sich dabei nicht nur auf Covid 19 beschränken.

Mitten in der Pandemie haben wir unser Anliegen weiterverfolgt, Mütter und Väter durch vierzehntägige Workshops für eine natürliche Geburt (ohne Kreisssaal und Kaiserschnitt) weiterzubilden, außerdem die Mütter auf das ausschließliche Stillen vorzubereiten. Diese Workshops finden jetzt online statt.

Unser Prozess der Weiterentwicklung

Wir treffen uns nach wie vor in unseren Versammlungen. Zweifelsohne gestalten sich die Teilnahme an und die Frequenz der Treffen des Netzwerks mit den Quarantäne-Maßnahmen und dem Treibstoffmangel immer komplizierter. Dadurch ist es nötig geworden, Entscheidungen über das Tagesgeschäft aufgrund kollektiv aufgestellter Kriterienkataloge zu treffen, um nicht immer von den Plena abhängig zu sein. Die Herausforderung im Umgang mit der Krise liegt (auch) darin, wie ein »kollektives Gehirn« zu agieren; das allerdings kann nur gelingen auf der Basis der ethischen Grundsätze, die seit Jahrzehnten unseren Prozess der Umformung bestimmen.

In der Oktober-Contraste folgt Teil 2 des Artikels zu ökologischen Initiativen und anderen innovativen Ansätzen bei Cecosesola.

Titelbild: Cecosesola

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