Dynamik durch intensive Zusammenarbeit

In Israel kommen noch heute rund 80 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte und Dienstleistungen aus der genossenschaftlichen Landwirtschaft, also aus Kibbuzim und Moshavim. Dieser Versorgungsgrad wurde unter anderem durch die Gründung von Sekundärgenossenschaften und gemeinsame Verbandsarbeit ermöglicht.

Hanno Böhle, Leipzig

Kibbuzim waren Siedlungsgenossenschaften bzw. Kommunen mit einer Größe von 100 bis 1.000 Personen, ursprünglich mit einem hohen Grad an vergemeinschaftetem Eigentum: vom Wohnen, über die Produktionsmittel bis hin zur Kleidung der Mitglieder. Auch Moshavim waren Siedlungen, in denen jedoch private, landwirtschaftliche Familienbetriebe als Mitglieder eine gemeinsame, demokratische Dorfgenossenschaft bildeten.

Die Dorfgenossenschaft übernahm nicht nur die gemeinsame Vermarktung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Sie verwaltete auch die Siedlungs-Infrastrukturen, etwa die Wasserversorgung der Haushalte. Sie stellte auch landwirtschaftliche Dienstleistungen bereit, beispielsweise die Nutzung von Hallen für die Kommissionierung und Lagerung sowie nicht zuletzt finanzielle Dienstleistungen wie Übernahme von Bürgschaften und Weitergabe von Krediten an die Mitglieder.

Finanzielle Garantiesysteme

Die Dominanz der agrarischen Kooperativen in Israel war eng mit ihrer Rolle als Wegbereiterinnen des Staates Israel verknüpft. Durch die Kooperativen wurde Land aufgeforstet, bewohnbar gemacht und der landwirtschaftliche Nutzungsgrad erhöht: Man sicherte die Ernährung für weitere israelische MigrantInnen und schaffte Integrationsorte für das Lernen einer israelischen Identität, was auch deutschen Jüdinnen und Juden einen Auswanderungsort schaffte und letztlich vor dem Nationalsozialismus das Leben rettete. Für diese tragende Rolle im »nation-building« wurden Moshavim und Kibbuzim bis in die 1970er Jahre staatlich gefördert. Auch im Westjordanland wird Land durch einige kooperative Siedlungen beansprucht. Diese werden von UN und EU nicht als legal anerkannt und bilden somit Teil der international umstrittenen Siedlungspolitik Israels.

Für eine Versorgung von über 80 Prozent der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen brachten sich viele Kooperativen in eine größere Struktur ein: Auf der unteren Skalenebene befanden sich die einzelnen produzierenden Betriebe der Moshavim und Kibbuzim. Diese gaben ihre Erzeugnisse an gemeinsame Sekundärgenossenschaften: Die größte ihrer Art war »Tnuva«, 1926 als Zentralgenossenschaft gegründet, die auch Weiterverarbeitungsfabriken unterhielt. Auf einer dritten Ebene schlossen sich Kibbuzim und Moshavim in Interessenverbänden zusammen. Diese dienten der politischen Vertretung und der internen Beratung in Sachen der Siedlungs- und Betriebsentwicklung, Erziehung und kulturellen Organisation.

Krise und Privatisierung

Durch den Zusammenschluss vieler Kooperativen war es möglich, große finanzielle Mittel zu akquirieren und Investitionen zu tätigen. Denn die Kooperativen gingen über ihre Sekundärgenossenschaften und Verbände gemeinsame Haftungsverpflichtungen ein (»mutual liability & guaranty«). Viele Kooperativen hafteten also gemeinsam für Kredite einzelner. Das erweiterte den Zugang zu finanziellen Mitteln und ermöglichte beispielsweise die Expansion von Kibbuzim in industrielle Branchen wie etwa die Plastikproduktion.

Das Kreditsystem erzeugte aber ebenso systematische Anreiz-Risiken, da die Gemeinschaft im Falle eines Scheiterns für die einzelne Kooperative haften würde (»moral hazard«). Im Zusammenspiel mit einer unzureichenden Prüfung auf Seite der Banken bei der Kreditvergabe entwickelte sich eine verhängnisvolle Schuldenkrise, als tatsächlich diverse investive Projekte von Kooperativen und Sekundärgenossenschaften scheiterten und sich mit der Öl-Krise und Inflation am Ende der 1970er Jahre die politischen Rahmenbedingungen änderten.

Staat, Banken und Kooperativen erreichten zwar durch mehrere Schuldenschnitt-Vereinbarungen zwischen 1989 und 1996 den Erhalt vieler Kibbuzim und Moshavim. Jedoch beendete die Regierung danach die Subventionen, und die Strukturen veränderten sich nachhaltig: So wurden viele Sekundärgenossenschaften zur Schuldentilgung privatisiert, Kibbuz-eigene Agrarflächen wurden in staatliches Bauland umgewandelt und das gemeinsame Haftungssystem der Kooperativen wurde aufgelöst. Dennoch existieren die Kibbuzim und Moshavim fort, wenn auch in weitaus weniger radikal-egalitärer und kooperativer Weise.

Von anderen lernen

Auch in Deutschland erleben wir derzeit ein Wachstum landwirtschaftlicher Kooperativen: Solidarische Landwirtschaften gründen sich seit 2010 vermehrt als eingetragene Genossenschaften im Eigentum von Gärtner*innen und Verbrauchenden. Und unter dem Eindruck akuter Umweltbedrohungen und der Notwendigkeit einer ökologischen Transformation steigt auch medial und politisch die Wahrnehmung für dieses neue Betriebsmodell. Mit dem Kartoffelkombinat in München und der Kooperativen Landwirtschaft in Leipzig gibt es mittlerweile auch Einzelbetriebe, die über 1.000 Haushalte wöchentlich mit Ernteanteilen versorgen. Die Bewegung wächst also. Wenn das Netzwerk Solawi-Genossenschaften sich in Zukunft erneut mit Verbandsbildung und Sekundärgenossenschaften beschäftigen sollte, können derartige Erfahrungen aus anderen Ländern wertvolle Inspirationen erzeugen und Risiken aufzeigen.

Literatur:
Godenschweger & Vilmar (1990): Die rettende Kraft der Utopie, Luchterhand Literaturverlag
Rosenthal & Eiges (2014): Agricultural Cooperatives in Israel, Journal of Rural Cooperation 42 (1).
Kislev, Lerman & Zusam (1989): Credit Cooperatives in Israeli Agriculture, World Bank

Titelbild: »Nahalal« von Zeev Stein (https://tinyurl.com/yck6v24h, CC BY-SA 4.0)

Das könnte für dich auch interessant sein.