Der 8. März war von Anfang an ein Kampftag. Wie zu anderen historischen Ereignissen gibt es auch zum Internationalen Frauentag viele Erzählungen. Wir blicken auf einige von ihnen zurück.
Gisela Notz, Berlin
»Zahlreiche Polizeimannschaften in der Nachbarschaft der Versammlungslokale bewahrten revolvergerüstet die Stadt vor dem Umsturz der Frauen.« Die Stadt war Berlin. Der Satz stammt aus einem Artikel der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift »Die Gleichheit« über die Demonstrationen anlässlich des ersten Internationalen Frauentags am 19. März 1911, den im August 1910 mehr als 100 Delegierte – Sozialistinnen und Gewerkschafterinnen – in Kopenhagen bei der II. Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale beschlossen hatten.
Unter dem Kampfruf »Heraus mit dem Frauenwahlrecht« gingen damals mehr als eine Million Frauen auf die Straße und forderten das Frauenwahlrecht und soziale und politische Gleichberechtigung. Das Datum wurde gewählt, um an die Ereignisse während der Revolution von 1848 in Berlin zu erinnern, an denen viele Arbeiterinnen beteiligt waren. Der Internationale Frauentag wurde zum internationalen Tag des Kampfes der Frauen für politische und ökonomische Rechte, gegen Krieg, Ausbeutung und Entrechtung. Erst ab 1921 sollte es weltweit der 8. März werden. Damit sollte an den 8. März 1917 (das war der 23. Februar nach dem russischen Kalender) erinnert werden, an dem die Textilarbeiterinnen in Pedrograd massenhaft unter dem Motto »Frieden und Brot!« gegen das zaristische Russland streikten und damit zur Auslösung der Februarrevolution wesentlich beitrugen. Manche berufen sich auch darauf, dass der 8. März an einen Streik von New Yorker Tabak- und Textilarbeiterinnen erinnern soll, die 1907 für das Frauenwahlrecht, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gingen.
Durch den weltweiten Internationalen Frauentag erhofften sich die Sozialistinnen, den außerparlamentarischen Druck für die Durchsetzung von Frauenrechten zu erhöhen. In Kopenhagen war auch beschlossen worden, dass der Internationale Frauentag ein »Ehrentag« sein sollte, der einen »internationalen Charakter tragen« sollte. Von Anbeginn an war er auch ein Anti-Kriegstag, denn auf der Konferenz in Kopenhagen wurde anlässlich des bereits drohenden Weltkrieges eine »Resolution, die Erhaltung des Friedens betreffend« verabschiedet.
Der erste Internationale Frauentag wurde ein voller Erfolg. Auch in den USA, in der Schweiz, in Dänemark und Österreich folgten viele Frauen dem Aufruf: »Heraus mit dem Frauenwahlrecht«. Bis zum Ersten Weltkrieg kamen Frankreich, die Niederlande, Schweden, Russland und Böhmen hinzu. Das Wahlrecht auch für Frauen konnte mit der Revolution von 1918 durchgesetzt werden. Die Einlösung vieler anderer Forderungen steht zum Teil bis heute aus.
In den folgenden Jahren erlebte die Frauentagsbewegung Fortschritte, Rückschritte, Erfolge und Niederlagen. Je nachdem, wie es die herrschende politische Meinung wollte, wurde der Internationale Frauentag geduldet, verboten oder gar von oben verordnet. So titelte noch 1931 die »Gewerkschaftliche Frauenzeitung« mit »Sozialistischer Frauentag und die Arbeiterinnen« und warb für die Veranstaltungen zum internationalen Frauentag. Es waren die letzten vor der Machtübergabe an die Nazis. Nach 1933 trat an die Stelle des Internationalen Frauentages der Muttertag, der in Deutschland seit 1923 von den konservativen Frauenverbänden aus USA übernommen worden war und von Kommunistinnen, Sozialdemokratinnen und Gewerkschafterinnen abgelehnt wurde. Sie verwiesen auf die Verlogenheit des Mutterkultes angesichts der Realität der proletarischen Mütter.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der sowjetischen Besatzungszone ab 1946 der Frauentag wieder offiziell und nach der Gründung des Demokratischen Frauenbundes Deutschland (DFD) im März 1947 alljährlich als Kampftag der Frauen begangen. In der neugegründeten DDR wurde er in den Betrieben zum festen Ritual. Er entwickelte sich vor dem Hintergrund der These, dass die Gleichberechtigung mit der sozialistischen Gesellschaftsordnung erreicht und die Rechte der Frauen weitgehend verwirklicht seien. Es gab Orden und Ehrenzeichen, rote Nelken, Kaffeetafeln und Reden über die »Errungenschaften des Sozialismus«.
Bei Gewerkschafterinnen und Sozialdemokratinnen in der BRD ging Mitte der 1950er und in den 1960er Jahren das zentrale Anliegen des Internationalen Frauentages als politischer Tag leider verloren. An vielen Orten fanden überhaupt keine Veranstaltungen mehr statt.
Frauen sagen »Nein«
Erst mit der Herausbildung der »neuen Frauenbewegungen« zu Beginn der 1970er Jahre wurde der Frauentag als weltweit politisch wichtiger Feiertag wieder »entdeckt«. Nachdem die UNO 1977 beschloss, den 8. März anzuerkennen und sich 1978 auch die Sozialistische Fraueninternationale in Vancouver (Kanada) anschloss, forderten auch Frauen von ASF (Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen) und DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund), künftig wieder jedes Jahr am 8. März einen Internationalen Frauentag zu begehen.
Ein herausragendes Ereignis war der Internationale Frauentag 1994, der vier Jahre nach der »Wiedervereinigung« zum FrauenStreikTag wurde. Der erste Aufruf »Frauen sagen NEIN!« kam vom selbsternannten Streikkomitee Köln/Bonn (unter der Regie der Zeitschrift »beiträge zur feministischen theorie und praxis«) und vom Unabhängigen Frauenverband in (Ost)Berlin. Gewerkschaftsfrauen und Frauen aus anderen Ländern waren von Anfang an bei der Vorbereitung dabei. Behinderte Frauen brachten sich und ihre Probleme ein und machten darauf aufmerksam, dass »die rassistische Gewalt auf der Straße sich mehr und mehr auch gegen Behinderte wendet«. Die Aktivistinnen wollten sich gegen den mit der Wiedervereinigung verbundenen Arbeitsplatzabbau und den Abbau von Sozialleistungen und Selbstbestimmungsmöglichkeiten wehren. Der Aufruf wurde von einer Vielzahl zum Teil prominenter Frauen aus allen gesellschaftlichen Zusammenhängen und von vielen feministischen Gruppen unterzeichnetet. Vorbild war der Streik der Isländerinnen im Oktober 1975 und der Schweizer Frauenstreik vom 14. Juni 1991. Diese ebenfalls landesweiten Streiks gingen wie der FrauenStreik 1994 davon aus, dass ein erweiterter Arbeitsbegriff, wie er in der Frauenforschung schon lange diskutiert wird, auch die Erweiterung des auf Lohnarbeit verengten Streikbegriffes notwendig machte. Der Frauenstreik richtete sich daher auf die Verweigerung der gesamten Arbeit in Produktion und Reproduktion. Es kam zu einem Schulterschluss zwischen Gewerkschaftsfrauen und autonomen Frauen. Unter der Losung: »Uns reicht’s. Ein scharfer Wind fegt über das Land«, machten auch die Gewerkschafterinnen Vorschläge für vielfältige phantasievolle Aktionen in Betrieben, Verwaltungen, auf der Straße und überall dort, wo es notwendig erschien. Frauen sollten in den Zusammenhängen, in denen sie sich bewegten, ihre Form der Verweigerung und des Einforderns ihrer Rechte finden.
Überall in den ungefähr 100 Frauen-Streikkomitees – Vernetzungszentren wurden sie damals genannt – in fast allen größeren und später auch kleineren Städten in Ost- und Westdeutschland saßen autonome Feministinnen ebenso wie Kolleginnen aus Betrieben und Verwaltungen und Gleichstellungsbeauftragte. Es gab Meinungsverschiedenheiten und Konsens, Spaß und Ärger in den heterogenen Frauengruppen der beiden Vorbereitungskomitees. Einige Frauen schieden aus, weil ihnen der Aufruf zu radikal war, andere machten nicht mehr mit, weil sie es gerne radikaler gehabt hätten. Wieder andere kamen hinzu, weil sie von dem Gedanken des bundesweiten Frauenstreiks angesteckt worden waren. Die Idee hatte freilich nicht nur Unterstützerinnen.
Die ganze Frauenfrage
Angela Merkel, die den Frauenstreik als damalige Frauenministerin nicht unterstützte, sondern zur Kabinettssitzung ging, konnte vom Fenster aus die vielfältigen Aktionen beobachten, an denen sich auch Frauen beteiligten, die zuvor noch nie für ein politisches Anliegen auf die Straße gegangen waren. An diesem Tag beteiligten sich – wie auch am ersten internationalen Frauentag – mehr als eine Million Frauen an den Kampagnen zum FrauenStreikTag. Die nördlichste Aktion organisierte das Streikkomitee Mecklenburg-Vorpommern. Sie ließen ihr Spruchband: »Von Nord bis Süd: uns reicht‘s. Deutschland in Frauenhand das wäre Spitze« vom Schinkel-Leuchtturm auf Kap Arkona (Rügen) flattern. Ganz im Süden auf der Zugspitze (Bayern) machten Frauen mit dem gleichen Spruch auf sich aufmerksam. Dazwischen gab es viele phantasievolle Aktionen.
Ein breites, bundesweites Frauenbündnis war wiederbelebt worden und sollte auch für die Zukunft beibehalten werden. Der erhoffte Beginn einer starken gemeinsamen deutsch-deutschen Frauenbewegung blieb leider aus. Strukturen lösten sich auf, darunter 1998 der Unabhängige Frauenverband und 2008 auch die »beiträge zur feministischen theorie und praxis«.
Viele der damals gestellten Forderungen haben sich bis heute nicht erledigt. In einigen Bereichen – zum Beispiel in Bezug auf die Prekarisierung am Arbeitsmarkt und den Umgang mit den Flüchtlingsfrauen – haben sich die Probleme verstärkt. Auch ist der § 218 nicht aus dem StGB (Strafgesetzbuch) gestrichen, die beabsichtigte Streichung des § 219a reicht nicht aus. Die Frauenhäuser sind wie eh und je unterfinanziert und – nicht zuletzt durch die Zunahme der häuslichen Gewalt anlässlich der aktuellen Corona-Pandemie – überfüllt. Höchste Zeit also, dass Frauen* ihren Protest auch in diesem Jahr wieder auf die Straße tragen, soweit die Pandemie das zulässt.
Denn die Antwort auf die »ganze Frauenfrage«, mit der die Forderung zum ersten Internationalen Frauentag verbunden werden sollte, steht auch heute noch aus. Ebenso wie die Erfüllung des Ziels, das Clara Zetkin 1911 im Vorfeld zum Internationalen Frauentag formulierte: »Sein Ziel ist Frauenrecht als Menschenrecht, als Recht der Persönlichkeit, losgelöst von jedem sozialen Besitztitel.« Dieses Ziel sei »erst erreicht, wenn die politische Knebelung des gesamten weiblichen Geschlechts […] ein Ende nimmt.« Um darauf hinzuarbeiten, brauchte es vor 100 Jahren und braucht es durch den zunehmenden Rechtsruck und die wachsende Kriegsgefahr auch heute breite Bündnisse von Frauen*, die mit den Verhältnissen, so wie sie sind, nicht einverstanden sind.
Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, die »Omas gegen Rechts« und auch andere Zusammenschlüsse rufen schon heute zu bundesweiten Protestaktionen am internationalen Frauentag, dem 8. März 2022, auf.
Zum Weiterlesen: Gisela Notz: Der Internationale Frauentag und die Gewerkschaften: Geschichte(n) – Tradition und Aktualität, Berlin: verdi 2011.
Gisela Notz ist Historikerin, Aktivistin und Autorin zahlreicher Bücher zur Frauen- und Geschlechterfrage und zur Alternativen Ökonomie.
Titelbild: Demo unter dem Motto »Unser Feminismus ist antirassistisch – Reclaim feminism« im März 2016 in Köln. Foto: straßenstriche.net