Festival-Awareness – Musik ab, drei Schritte vor

Awareness als Ansatz (siehe Infokasten unten) hat sich in den letzten 15 Jahren verbreitet. Sei es bei Soli-Partys, politischen Camps oder Politgruppen – mit Awareness werden Angebote und Strukturen geschaffen, die bei Diskriminierung oder (sexualisierter) Gewalt präventiv wirken, die Betroffenen unterstützen, wenn sie das wollen und Reflexionen und Umgänge in Communitys und mit diskriminierenden oder gewaltausübenden Personen anstoßen. Der Artikel berichtet Aktuelles von der Festival-Awareness.

Ann Wiesental, Berlin

Im nun beginnenden Winter denke ich wehmütig an den Sommer. Nach der Corona-Pause starteten diesen Sommer wieder die Festivals. Endlich wieder feiern – mit Freund*innen, draußen, Musik, Campen, über die Stränge schlagen. Viele Festivals boten mehrere kleinere Formate an, die von dem feierwütigen Publikum dankbar angenommen wurden. Für die Festival-Awareness stellte das eine besondere Herausforderung dar. Viele Awareness-Crews mussten sich stark vergrößern, um statt einem nun zwei oder drei Wochenenden abzudecken. Das bedeutete neue Leute zu finden und je nach bereits existierender Erfahrung zu schulen, einzuarbeiten und zu briefen.

Festival-Awareness ist dabei, sich zu verbreiten und auch Einzug in den Mainstream zu halten. Was in queer-feministischen und linksradikalen Kreisen begann, ist mittlerweile bei einigen Festivals etabliert und fester Bestandteil. Awareness bietet auf Festivals Unterstützung für Betroffene im Fall von Diskriminierung und (sexualisierter) Gewalt. Betroffene und deren Freund*innen oder alle, die Etwas mitbekommen haben oder die etwas berührt und beschäftigt, sei es Sexismus, Rassismus, Trans- oder Homofeindlichkeit oder Behindertenfeindlichkeit können sich an die Awareness-Crews wenden. Sie werden dort parteilich unterstützt.

2012 startete die erste Festival-Awareness-Crew auf der Fusion. Der Anfang war nicht einfach, der Gründung ging voraus, dass einige Jahre vorher eine andere Crew im Vorfeld an der Fusion gescheitert war. Zu wenig Kompromisse, zu wenig Akzeptanz, unter diesen Bedingungen wollte die Crew die Arbeit nicht beginnen. 2012 versuchte es eine andere Gruppe (zu der ich gehöre) und es gelang. Bei den Vorgesprächen bestand zwar noch Skepsis auf beiden Seiten, aber der Wille und Wunsch, es zu versuchen, überwogen. 2015 startete die »Nation of Gondwana« mit ihrem Awareness-Angebot; dieser Initiative ging leider voraus, dass es 2014 auf dem Festival eine Vergewaltigung gab. Die »Pyonen«, die Festival-Macher*innen, reagierten und seitdem ist Awareness ein fester Bestandteil auf der Nation of Gondwana.

Im Frühjahr 2020 war Awareness auf Festivals noch einmal stärker im Fokus. Denn auf dem Festival »Monis Rache« kam es zu Kameraaufnahmen auf Dixiklos und in der Folge wurden Aufnahmen von weiblich gelesenen Personen auf Pornoseiten im Internet gefunden. Auch von der Fusion ließen sich Kameraaufnahmen aus einer Dusche von weiblich gelesenen Personen auf Pornoseiten im Internet finden. Die Fusion und ihre Awareness-Crew reagierten prompt, boten Betroffenen Unterstützung an und ließen von Anwält*innen das Internet nach weiteren Filmaufnahmen durchforsten. Das Festival »Monis Rache« besteht mittlerweile nicht mehr. Obwohl es auch über eine Awareness-Crew verfügte, wurde diese nicht unmittelbar einbezogen, sondern eine kleine Gruppe der Festival-Macher*innen verschleppte die Aufarbeitung und das Informieren der Betroffenen.

Awareness hat sich mittlerweile über diese Festivals, die Teil von linksradikalen Bewegungen sind, in den Mainstream ausgebreitet. Zum Teil führt das zu einer Verschiebung der Awareness-Arbeit, auf dem »Wilde Möhre«-Festival, wo Awareness zum zweiten Mal angeboten wurde, war es vor allem Aufgabe der Awareness-Crew auf die Corona-Regeln zu achten und Menschen darauf aufmerksam zu machen, Maske zu tragen, wenn die Dancefloors zu voll waren. Dies ist nicht nur eine Verschiebung der Aufgaben, sondern macht Awareness-Crews auch zu Personen die »nerven« und kontrollierend auf die Einhaltung von Regeln aufmerksam machen, anstatt als unterstützende Personen wahrgenommen zu werden, die für dich da sind und ein offenes Ohr für Anliegen haben.

Über die Jahre hat sich Festival-Awareness somit verbreitet und die Zusammenarbeit zwischen Festival-Macher*innen und Awareness-Crews ist gewachsen. Dennoch gibt es Punkte, an denen weiter gerungen wird. Nicht alle Festivals haben ein sichtbares Awareness-Zelt auf dem Festivalgelände. Auf der »Nation of Gondwana« stellt ein solches sicher, dass Menschen die Awareness-Crew niedrigschwellig kontaktieren können. Es ist ein einfacherer Schritt eine Person hinter einem Stand anzusprechen oder sich auf einem Sofa dazuzusetzen, um dann von einer Situation zu erzählen, die unangenehm und diskriminierend war. Dieser Schritt ist leichter, als eine Telefonnummer anzurufen oder bei einer Bar oder einem Infopunkt nach der Awareness-Crew zu fragen.

Für viele Betroffene ist es eine große Hürde, sich selbst und das Erlebte so ernstzunehmen, dass es wert ist, sich an jemanden zu wenden. »War der Vorfall groß genug, bin ich verletzt genug, um mir Unterstützung zu suchen?« das fragen sich viele Betroffene und lassen es dann oft. Auch spielt Prävention eine große Rolle. Aushänge, Flyer, Plakate und sichtbare Awareness-Zelte mit Infoständen führen dazu, dass mehr Menschen über das Thema sprechen und das führt wiederum zu Prävention. Denn in einem Umfeld, in dem Diskriminierung nicht mitgetragen oder geduldet wird, trauen sich Betroffene auch mehr, sich zu wehren und sich Unterstützung zu holen. Auf den Festivals gibt es zum Teil unterschiedliche Umgänge mit Diskriminierung.

Ein Thema ist zum Beispiel die Frage von »Oberkörper frei« von Cis-Männern. Während auf der »Nation of Gondwana« viele Cis-Männer Oberkörper frei tanzen, gibt es auch vereinzelt weiblich gelesene Personen, die mit Nacktheit und Oberkörper frei experimentieren. Auf dem Festival »Monis Rache« wurden Cis-Männer aufgefordert, ihr Shirt anzulassen oder ihre Nippel zu bedecken, während weiblich gelesene Personen Oberkörper frei tanzten. Eine queer-feministische Haltung besagt, dass Cis-Männer ihre Nippel so lange bedecken sollten (Bikinioberteile oder Tapes), bis es gesellschaftlich auch für weiblich gelesene Personen möglich ist, sich Oberkörper frei zu bewegen ohne angegafft, objektiviert oder abgewertet zu werden. Insbesondere nervt es immer wieder FLINTA-Personen, wenn cis-männliches »Oberkörper frei« mit Dominanzgehabe gepaart wird.

Im Mainstream stellt sich auch die Frage der Bezahlung von Awareness-Arbeit noch einmal anders. Während bei Festivals, die mit Haltungen aus der linksradikalen Bewegung einhergehen, die selbstorganisierten Awareness-Crews ihre Arbeit auch als politische Arbeit betrachten und deswegen bereit sind, für ein geringes Honorar (10 bis 15 Euro/Stunde) zu arbeiten, wäre das bei kommerziellen Festivals unpassend. Um die Arbeit angemessen zu bezahlen und um von Honorartätigkeiten leben zu können, müssten Honorare von 40 Euro/Stunde gezahlt werden.

Welche ungelöste Frage ebenfalls alle Festivals gemeinsam haben, ist, dass die Definitionsmacht noch nicht bei den Betroffenen liegt. Die letztendliche Entscheidung über das Hausrecht und damit zusammenhängend, ob Personen des Festivals verwiesen werden, behalten sich weiterhin die Festival-Macher*innen vor. Der Awareness-Ansatz baut allerdings auf Parteilichkeit und Definitionsmacht auf. Da ist es grundlegend, dass die Betroffenen (im Austausch mit den Unterstützer*innen) benennen, was für eine Diskriminierung oder (sexualisierte) Gewalt ihnen angetan wurde und nicht von Dritten definiert wird, ob es sich beispielsweise um eine Vergewaltigung gehandelt hat oder nicht. Die Betroffenen benennen nicht nur, was ihnen angetan wurde, sie finden auch (gemeinsam mit den Unterstützer*innen) heraus, was sie jetzt brauchen und was ihnen gut tut. Das beinhaltet auch den Rauswurf der diskriminierenden oder gewaltausübenden Person, um einen geschützten Raum für die Betroffenen wiederherzustellen, wenn sie das wünschen. Es zeigt sich, dass das letztendliche »Wer entscheidet?« bei Festival-Awareness noch bei den Festival-Macher*innen liegt und nicht bei den Betroffenen (und ihren Unterstützer*innen). 2021 ging es wieder einige Schritte voran für Awareness auf Festivals, die Fusion bestach beispielsweise dieses Jahr mit kreativ gestalteten Flyern in großer Auflage. Es ist zu hoffen, dass sich dieser Trend hält und Awareness auch über die linksradikale Blase im Mainstream weiter ankommt.

Ann Wiesental lebt in Berlin, sie hat 2007 beim Protest gegen den G8-Gipfel die erste Awarenessgruppe mit ins Leben gerufen. Sie gründete 2012 die Fusion Awareness-Crew mit und schrieb 2017 das Buch »Antisexistische Awareness«, erschienen im Unrast Verlag.

Link: https://initiative-awareness.de

Titelbild: Aufnahme vom »Nation of Gondwana«-Festival 2017. Foto: Nicor/Wikipedia


Awareness

Dieser Ansatz beschreibt einen achtsamen und bewussten Umgang mit Betroffenen von Diskriminierung oder (sexualisierter) Gewalt. Dies schließt eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Intersektionalität ein, denn Diskriminierung und (sexualisierte) Gewalt sind keine individuellen Einzelfälle, sondern Bestandteil und Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen.

Awareness schafft so zum einen kollektive Angebote und Strukturen, um Betroffene nicht allein zu lassen und ihnen Unterstützung anzubieten, wenn sie das wollen. Hierbei ist wichtig, dass nichts gegen den Willen der Betroffenen unternommen wird. Parteilichkeit und die Betroffenenperspektive sind hier zentral. Für Unterstützungsangebote ist ebenso grundlegend, dass Vertraulichkeit zugesichert wird, Betroffene nicht ausgefragt werden oder in eine Rechtfertigungsposition gebracht werden oder ihnen nicht geglaubt wird.

Zum anderen wirken die Angebote präventiv. Wenn es vermehrt Angebote gibt und diese sichtbar sind, dann sprechen und diskutieren die Menschen auch darüber, teilweise machen sie persönliche Erfahrungen – und es bewegt sich hoffentlich etwas in eine emanzipative Richtung. Denn es geht nicht nur um ein individuelles Angebot, sondern darum, die gesellschaftlichen Strukturen zu verändern, die auf Macht- und Diskriminierungsverhältnissen intersektional aufbauen.

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