Brücken bauen

Der Blick vom Maulwurfshügel hat diesmal mit demjenigen des letzten Monats zu tun. Die in der Juni-Ausgabe beschriebene Diskussion um »Normalismus« und »Normalität« sieht von einem benachbarten Hügel eben ein wenig anders aus.

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel – Illustration: Eva Sempere

Eine »Normalität als statistische Häufigkeit und Referenzgröße für politische Entscheidungen in der Neuzeit« kann man zwar als treffende Beschreibung der Mainstream-getriebenen Mehrheitsparteien-Regierung bezeichnen, als hilfreicher Ansatz für solidarische Zukunftsmodelle taugt sie wohl eher nicht. Und die Beobachtung, dass für viele »Querdenker« in der »Ausnahme-Situation von Corona die Sehnsucht nach Normalität Hochkonjunktur« habe, teile ich aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen nicht – jedenfalls nicht so deutlich. Zudem wirken solche, als vereinfachend wahrgenommene Umschreibungen eher schubladisierend und werden der Buntheit einer neu entstandenen Bewegung nicht gerecht.

Nun soll es in diesem Beitrag nicht darum gehen, »die« Querdenker zu verteidigen, sondern die Art und Weise der laufenden Diskussion zu hinterfragen: Ist es wirklich hilfreich, in den beinahe einheitlichen Chor der großen Medien einzustimmen, statt mit engagierten Beteiligten direkt zu sprechen? Und gehört zu einem vollständigen Bild der aktuellen »Ausnahme-Situation« nicht zwingend dazu, wahrzunehmen wie mehrere, zur »Corona«-Politik kritisch berichtende Medien entweder in die Verschwörungsecke gerückt oder sogar aktiv und massiv behindert werden – Stichwort grundlose Kontokündigung. Diffamierungen kritischer JournalistInnen kommen immer häufiger vor und auch mit TeilnehmerInnen von »Querdenker«- und ähnlichen Demonstrationen kommt eine offene und respektvolle Debatte kaum zu Stande.

Auch im Bereich der Wissenschaft finde ein konstruktiver und sachlicher Streit kaum mehr statt, beklagte jüngst der linke Sozialwissenschaftler Rainer Roth in einem Interview. Denn der »regierungsseitige, mediale und private Druck auf Lockdown-Gegner« sei immens. Doch könne es eine Wissenschaft ohne Widerspruch und ohne streitende Ansichten insbesondere für MarxistInnen nicht geben, so Roth. Er lobt dabei den »Zweifel als Erkenntnismaxime«, denn jedem Erkenntnisfortschritt wohne die Negation inne.

Leider waren die letzten Monate hierzulande eben nicht geprägt von einem evidenzbasierten, widerspruchsreichen Ringen um wissenschaftliche Erkenntnisse und auch nicht von pluralistischen, journalistischen Streitgesprächen um die Verhältnismäßigkeit staatlicher Grundrechtseinschränkungen. Ganz im Gegenteil!

Wenn jedoch das gemeinsame Gespräch und die kollektive Suche nach einem Konsens über grundlegende Fakten erstirbt oder gar behindert wird, wachsen Hass und vermutlich auch Gewalt. Eine notwendige Kapitalismuskritik, die auch die aktuellen totalitären Tendenzen einschließt, muss wohl derzeit vor allem (wieder) Brücken bauen, um gemeinsame Diskussionen um solidarische Zukunftsmodelle voranbringen zu können.

Peter Streiff

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