Aufgerufen zum »Frühling auf Rügen« wurde vor allem über die Kanäle der Initiativen Lützerath lebt und Ende Gelände: Insel-Campen auf dem solidarischen Gutshof Frankenthal gegen das bundespolitisch forcierte, neue LNG-Terminal. LNG ist Energie in Form von Flüssiggas, importiert aus weit entfernten Fracking-Gebieten (vor allem aus den USA), wo Lebensräume, zum Beispiel von indigenen Gruppen, stark gefährdet werden. Auch hier an der Ostsee ist die (politische) Landschaft voller Spannungen, nicht nur wegen der Pfingsttage. Unser Autor war dabei.
Tom Zeder, Gäst_innenhaus Jakob
Die Insel ist feiertaglich bevölkert, voller fremder Kennzeichen. Die Rüganer*innen, die hier auf Rügen Geborenen, erzählen wie geisterstädtisch die Insel sonst ist, außerhalb der touristischen Zeiten. Und im Grunde alle auf der Insel arbeiten genau dann durchgängig dafür, dass der Laden läuft. Du siehst als Touri also nie das »wahre« Rügen – was auch immer das ist. Menschen, die das LNG-Terminal voranbringen, haben noch weniger Bezüge zu Rügen und seinen Menschen. Und die Menschen der Insel haben gar keinen Bezug zu Flüssiggas. Eine andere energie- und arbeitspolitische Ausgangssituation als in Regionen, die beispielsweise historisch und strukturell kohlegeprägt sind. LNG hat in Deutschland jedoch kein Identifikationspotenzial.
Abhängig vom Tourismus
Dem bundespolitischen Narrativ nach soll LNG für Energiesicherheit stehen, aber nicht für Arbeitsplätze. Die sehr wenigen Arbeitsplätze, die aus dem Terminal entstehen werden, sind auch keine relevante Verhandlungsmasse für Parteien wie die hier stark vertretene AfD. Sogar weit rechts, zumindest auf Rügen, ist man gegen LNG. Rügen ist komplett vom Tourismus abhängig.
Und jetzt ist hier auf einmal eine linke, junge Demo mit Aktivist*innen von Fridays for Future und Co. Die Wahrscheinlichkeit, dass ausschließlich Tourist*innen sich die Demo und tänzerische Performance anschauen, ist sehr hoch.
Der Demozug läuft die Strandpromenade vom Ostseebad Göhren bis Sellin entlang. Über Göhren lief im Camp am ersten Abend eine Doku, die die kapitalistische Vereinnahmung der Gegend durch im Grunde einen einzigen Investor gezeigt hat. Die lokale Bürger*inneninitiative »Bürger für Rügen«, die sich für Menschen und Natur einsetzen, hat es sehr schwer dagegen. Auch wenn sie bei der letzten Wahl einige Sitze gewinnen konnte.
Die Bilder und Szenen, die heute auf Rügen zu sehen sind, haben das Potenzial im Gedächtnis hängen zu bleiben. Abseits vom Strand läuft auch eine Aktion im Norden: die Blockade einer Verkehrsbrücke. Dort, wo das Terminal hinkommen soll, wird Verkehr blockiert. Im Süden bei der Demo ist aber mehr los. Einige Aktivist*innen in Maleranzügen paddeln parallel zur Demo in Kanus durchs Meer – zusammen mit einem schwimmenden, türkisen »X«. Im Hintergrund steht schon jetzt der riesige Flüssiggastanker »Hispania«, ein paar Kilometer entfernt in der Ostsee.
Der Protestmarsch ruft energisch, aber fast freundlich den in Promenaden-Restaurants schlemmenden Gästen Parolen zu: »AfD und LNG – diese Insel kriegt ihr nie!« Gerade auf Wunsch vieler Locals ist die Positionierung gegen Rechts ein zentrales, politisches Thema – verbunden mit Umweltschutz. Die Initiative »Rügen nazifrei« wird von einer sehr motivierten Person auf dem Camp vertreten. Sie erzählt in einem Workshop, dass ihre Gruppe (wie so viele) im Grunde nur von drei, vier Menschen gestemmt wird. Aber was gerade auf Rügen geschätzte 90 Prozent der Menschen verbindet, ist, dass sie alle gegen das geplante Zehn-Milliarden-LNG-Megaprojekt sind. Ob aus Gründen wie »Heimatschutz«, Angst vorm Versiegen des Tourismus oder Klimaschutz.
Jetzt kommen Aktivist*innen aus ganz Deutschland nach Rügen. Wegen dem weitergehenden LNG-Ausbau, wegen der Klimakrise, vielleicht auch weil es hier wirklich schön ist. Noch.
Lützerath lebt weiter
Und sie kommen hierher zu so etwas wie einer Lützerath-Reunion. In Lützerath ist viel zerbrochen. Aber auch viele Freund*innenschaften und Verbindungen sind geknüpft worden. Jetzt sind immerhin ca. 300 Menschen hier. Lützi wurde riesig, getragen und vernetzt von einer überschaubaren Menge Aktivisti. Auf dem Camp zwischen Beeten sitzen und quatschen überall Grüppchen. Die meisten bleiben bei denen, die sie kennen. Richtig durchmischt werden die Gruppen erst bei den Workshops und bei der Perspektiven-Runde zum Abschluss. Das schaffen ein paar simple Methoden.
Und vielleicht braucht es mal etwas Schönes im zermürbenden Leben von Klimaaktivist*innen: am Ende der Demo am Strand sein, bei Sonnenschein und Musik nackt ins Meer rennen.
Die gesamte Aktion bleibt friedlich, keine Gegenauftritte aus dem rechten Lager. Damit haben die Locals auch gerechnet.
Die Berichterstattung wird eher gering ausfallen über die Aktionen und das Camp. Wirtschaftsminister Habeck hat allerdings auf den Protest reagiert: Er wolle das LNG-Terminal nun kleiner und etwas weniger sichtbar planen. Einige Aktivist*innen planen aber ohnehin wiederzukommen und den Widerstand fortzuführen. Den Widerstand gegen fossile Industrien sowie gegen Rechts.
Titelbild: Aktivist*innen protestieren mit Transparenten gegen LNG am Ostseebad Sellin, während Passant*innen spazieren gehen. Foto: Tom Zeder