»Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten«

Absurderweise wollen Autolobby und Politik die durch sie verursachten, wachsenden Verkehrsmengen, Staus und all die damit verbundenen Belastungen trotzdem mit weiteren Straßen bekämpfen – also Feuer mit Öl, fast wörtlich. Mit dem Verkehr erhöhen sich dann auch Lärm, Verkehrstote und -verletzte, Flächenversiegelung, Feinstaub.

Jörg Bergstedt, Projektwerkstatt Saasen

Ein Elektroantrieb ändert daran nichts. Der einzige Ausweg besteht in der Umkehrung: Weniger Straßen für Autos, Umwidmung zu Fußgänger*innenzonen, Fahrradstraßen und Schienenstrecken. Dafür kämpfen Verkehrswendeaktivist*innen mit vielfältigen Aktionen. Eine besondere Symbolik haben dabei Autobahnen als Hauptschlagadern des Verkehrsflusses. Der Protest findet zunehmend auch auf ihnen statt. Das geht: »Die spezifische Widmung der Autobahnen für den überörtlichen Kraftfahrzeugverkehr schließt deren Nutzung für Versammlungszwecke nicht generell aus«, stellte der Hessische Verwaltungsgerichtshof am 4. Juni 2021 fest (Az. 2 B 1193/21). Andere Gerichte urteilten ähnlich. So hat es 2020 und 2021 einige Raddemos auf Autobahnen gegeben, mehrere davon in Zusammenhang mit der Besetzung des Dannenröder Forstes. Jedes Mal wurden die Magistralen gesperrt – alles legal. Warum ist es dann plötzlich eine nicht hinnehmbare Gefahr und wird als heftige Straftat verfolgt, wenn Menschen über einer Autobahn Spruchbänder anbringen? Sie sind genauso eine Versammlung, indem sie direkt am passenden Ort und gegenüber vielen, die die Autobahn nutzen, ihre Vision einer Verkehrswende kundtun. Doch die Beteiligten landeten schon mehrfach in Untersuchungshaft und werden nun vor Gericht gestellt – zunächst in Frankfurt, später auch an anderen Orten. Raddemo auf der Autobahn legal, aber Transpi-Aktionen über der Autobahn eine schwere Straftat? Das schon wäre absurd.

Doch es wird noch unklarer: Je nachdem, über welcher Autobahn es passiert, ändern sich die Strafvorwürfe, weil sich die Justiz völlig uneinig ist. Einige Staatsanwaltschaften sehen gar keine Straftat – und liegen damit juristisch völlig richtig. Andere fordern mehrjährige Haftstrafen.

Uneinigkeit in der Justiz

Dabei sind Autobahn-Abseilaktionen nichts Neues. Im Jahr 2000 musste der Messeschnellweg in Hannover zur Expo2000-Eröffnung gesperrt werden. Im Jahr 2015 hängten Aktivist*innen Spruchbänder an der Autobahn nahe dem Tagebau Garzweiler auf. Die Polizei sperrte die Strecke, was andere nutzten, um über die Betonpiste zu den Kohlebaggern zu gelangen. Die Räumung der besetzten Wälder auf der A49-Trasse in Hessen provozierte dann gleich mehrere solcher Aktionen – und in der Folge die ersten harten, aber auch sehr unterschiedlichen Reaktionen des Staates. Am 1. und 6. Oktober erwischte es die A5 in der Nähe der Räumungen – die Staatsanwaltschaft Gießen sah darin gar keine Straftat. Drei Wochen später sah das rund um Frankfurt ganz anders aus: Die Beteiligten verschwanden zum Teil für mehrere Wochen in Untersuchungshaft und erwarten ab Februar 2022 mehrere Strafprozesse – mal wegen Nötigung, mal wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Für eine andere Aktion lautet die Anklage sogar auf Körperverletzung, weil acht Kilometer entfernt ein Fahrer nicht aufpasste und – ohne Gurt, aber mit Handy am Ohr – ins Stauende krachte. Für die weiteren Aktionen, darunter der 27. November 2020 mit neun gleichzeitigen Blockaden bundesweit, der 23. März 2021 über der A39 im Zusammenhang mit Aktionen gegen den VW-Konzern in Wolfsburg, der 15. April 2021 rund um Bremen, dem Gastgeber der gleichzeitigen Verkehrsminister*innenkonferenz, und dem 7. September 2021 zu Eröffnung der IAA rund um München, sind bislang keine Verfahren eröffnet.

Was aber schon sichtbar ist: Die Rechtsfragen scheinen knifflig. Die Aktivist*innen haben sich ganz bewusst stets mehr als 4,70 Meter über der Autobahn aufgehalten und alle mitgeführten Sachen gegen Runterfallen gesichert. In dieser Höhe endet der offizielle Bereich der Straße. Einige Anklagebehörden griffen deshalb zu einem abenteuerlichen Trick. Zwar hätten die Aktivist*innen nie selbst den Verkehr gestoppt oder gefährdet, aber durch ihr Handeln die Polizei zu ihrem »willenlosen Werkzeug« gemacht, um durch diese den Verkehr zu stauen. Seltsam daran ist, dass die Polizei sich von Ort zu Ort völlig unterschiedlich verhielt. Einige Male ließ sie den Verkehr einfach weiterlaufen, einmal umdrehen und bereits mehrfach leitete sie den Verkehr weit vor dem Aktionsort ab und sperrte die Strecke erst, als alle Autos weggefahren waren, so dass kein Stau entstand. Kreativ zeigte sich die Polizei bei der Aktion in Bremen, als sie einen Unfall mit einer Schwangeren und ihrem Kleinkind erfand und in ihrer Pressearbeit lancierte. Die Lüge räumte die Polizei Tage später auch ein.

Start der Prozesse im Februar

Nun also laufen die Strafprozesse an mit Start am 1. Februar am Amtsgericht Frankfurt. Einfach wird das nicht, da die Aktivist*innen die Autobahn formal nie betreten und auch nie mit der Polizei irgendwelche Absprachen getroffen haben. Diese handelte je nach Ort unterschiedlich, aber immer mit dem Ziel, die Aktion zu beenden. Mehrfach erkannten sie deren Versammlungscharakter sogar an und gingen entsprechend vor. Ob die Gerichte, die sich teilweise selbst für zuständig erklärten, obwohl die Aktion nicht in ihrem Gebiet lief, am Ende das Recht beachten oder nur Kapital- und Machtinteressen vertreten werden, wird sich zeigen. Die Angeklagten sind gut vorbereitet. Mehrere Gerichtsprozesstrainings fanden statt. Und auch weitere Aktionen sind geplant: »Wir werden uns nicht einschüchtern lassen – der Kampf gegen Klimawandel und das tägliche Sterben durch Autos und Straßen geht erst richtig los!«, heißt es aus dem Kreis der Beteiligten.

Links:
e-autos.siehe.website
autobahn.siehe.website

Titelbild: Aktionen über der A9 zur Eröffnung der IAA 2021. Foto: Archiv Projektwerkstatt

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