»Wohnen für Menschen statt für Profite«

50.000 Menschen beteiligten sich 2019 am ersten »Housing Action Day« in 19 Städten bundesweit. Dieses Jahr sollen die Mietenproteste europaweit ein noch deutlicheres Signal setzen. »Wohnen für Menschen statt für Profite!« lautet das Motto für den Housing Action Day am 28. März 2020. In 34 europäischen Städten werden Aktionen vorbereitet. In Berlin wird eine Großdemonstration um 14 Uhr am Potsdamer Platz in Richtung Schöneberger Norden starten. Aufgerufen dazu hat das »Aktionsbündnis gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung«, ein bundesweiter Zusammenschluss von Mieter*inneninitiativen und »Recht auf Stadt!«-Gruppen.

Holger Lauinger, Berlin

Sich und anderen Mut machen, sich kennenlernen und vernetzen, durch Wissensaustausch Zeit sparen, durch gemeinsames Auftreten die Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit erhöhen, gemeinsam mehr Durchsetzungskraft entwickeln – vor drei Jahren auf der »4. Kiezversammlung gegen Verdrängung« in Berlin-Kreuzberg äußerten viele Initiativen den Wunsch, sich durch eine selbstorganisierte Kooperation gegenseitig zu stärken und den Kampf der zahlreichen, aber vereinzelt agierenden Berliner Initiativen durch eine große Demonstration in das öffentliche Bewusstsein zu bringen. So kam es 2018 zu einer schnellwachsenden Bündnis-Bildung um die bekannteren Initiativen »Zwangsräumung verhindern!«, »Bizim Kiez« und »Deutsche Wohnen-Vernetzung«.

40.000 Menschen und rund 300 Initiativen haben daraufhin im April 2019 auf dem Alexanderplatz ihren Unmut in der Wohnungsfrage kundgetan. Wenig später im August 2019 wurde das bundesweite Bündnis in Göttingen gegründet, das auch Teil der «European Action Coalition for the Right to Housing and to the City« ist, eine Netzwerkstruktur, die in 30 Städten und 20 Ländern über stadtpolitische Gruppen kampagnenfähig ist.

Das Berliner Bündnis Mietenwahnsinn

Ihre »Offenen Plena« laden zum Mitmachen ein. Parteien und ihre Funktionär*innen sind auf den Vernetzungstreffen der Initiativen nicht erwünscht. Interessierte können das Berliner Bündnis Mietenwahnsinn dienstagabends im Kreuzberger Nachbarschaftszentrum Kiezanker kennenlernen. Beeindruckend schon die ritualisierte Vorstellungsrunde. Bei der Vorstellungsrunde wird die vielfältige Bandbreite der unterschiedlichen Menschen und ihren Initiativen erkennbar: Von Jung bis Älter, Innenstadt und Randbezirke, Ost und West, von bürgerlich zu politaktivistisch wirkenden Menschen – alle geeint in ihrem Ansinnen gegen die Auswüchse auf dem Berliner Wohnungsmarkt.

In »Mieterstadt Berlin« sind die Angebotsmieten zwischen 2013 und 2017 um 25 Prozent gestiegen, die ortsüblichen Vergleichsmieten um 15 Prozent. Nach Schätzungen des Mietervereins fehlen mindestens 100.000 Sozialwohnungen. Deren Bestand wurde in den letzten zehn Jahren halbiert. Die Einkommen der privaten Haushalte können den Mietpreisentwicklungen bei weitem nicht mehr folgen. Circa 37.000 Menschen sind wohnungslos, ihre Anzahl hat sich von 2014 auf 2017 fast vervierfacht. Beschämender Weise stehen in Berlin 70 »Geisterhäuser« aus Spekulationsgründen leer und zugleich werden jährlich 5.000 Zwangsräumungen polizeilich durchgeführt.

Heute wir, morgen ihr?

Hinter den abstrakten Zahlen verbergen sich Schicksale und Geschichten von Kämpfen gegen die Verdrängung. So engagiert sich Regina mit einer BI gegen den Teilabriss des alten Wasserwerks in Tegel und für die Übernahme des Areals mittels einer gGmbH der Bewohner*innen. Gerd unterstützt das »Sozialbündnis« in Treptow. Dort haben Käufer*innen von Häusern momentan die höchsten Renditeerwartungen. Rund um den begehrten »Plänterwald« werden Altbaubestände aufgekauft, modernisiert und finanziell schwächere Mieter*innen durch drastische Miet­steigerungen ausgetauscht.

In Berlin-Mitte, in der Habersaath-Str. 40-48, sind 80 jahrelang leerstehende Wohnungen das Ergebnis einer krassen Entmietungsstrategie. Weil der Eigentümer die Sanierung eines WB70-Plattenbaus für nicht rentabel erachtete, stellt er den Antrag auf Abriss und versendet Verwertungskündigungen. Der Abriss ist abgelehnt, muss aber in einem Widerspruchsverfahren jahrelang verhandelt werden. Die Kündigungen aber sind rechtlich wirksam. Weil es für sie keinen bezahlbaren Wohnraum gibt, weigern sich Daniel und ca. 20 Bewohner*innen, ihre Wohnungen zu verlassen. Sie gelten nun offiziell als »Hausbesetzer*innen«.

Sandrine will mit ihrer Hausgemeinschaft AmMa65 e.V. mehr Mitbestimmungsrechte bei der Verwaltung des Hauses von einem landeseigenen Wohnungsbauunternehmen erhalten. Dieses reagiert aber nicht auf die Anliegen ihrer Mieter*innen. Wohl nicht von ungefähr ist sie vom in Schweden praktizierten Modell der »Mietergewerkschaft« angetan. Mieter*innen eines Hauses bilden Interessensorganisationen, verhandeln ihre Mieten, gegebenenfalls flankiert mit kollektivem Mietstreik.

»Umwandlung in Eigentum« scheint die neue Entmietungsstrategie, die dem Verein »Unser Block bleibt!« aus dem Reuterkiez, in zunehmendem Maße auch vielen anderen Mietshäusern in Berlin, nach der Ankündigung des Mietendeckels widerfährt. Zwei Drittel der Mieter*innen von den 17 Häusern in Neukölln haben von ihrem Bezirksamt erfahren, dass der Eigentümer einen Antrag auf »Begründung von Wohneigentum« beantragt hat. Zuvor konnte die Mieterschaft sich gegen den Trick »Umfassende Modernisierung« und folgenden, überteuerten Mieten gerichtlich durchsetzen. Nun sollen die Mietwohnungen einzeln teuer verkauft werden. Trotz Milieuschutzgebiet muss das Amt die Umwandlung genehmigen. Dann haben die Mieter*innen ein befristetes Vorkaufsrecht an ihren bisher noch bezahlbaren Mietwohnungen.

Kritik am Mietendeckel

Das Bündnis begrüßt die Einführung des Mietendeckels. Die politische Maßnahme will die Mieten für die kommenden fünf Jahre auf ihrem aktuellen Stand »einfrieren«. Mietobergrenzen, beurteilt nach Lage, Baujahr und Ausstattung, sollen festgelegt werden. Für zukünftigen Neubau gelten die Regeln allerdings nicht. Zudem gilt er als verfassungsrechtlich umstritten, gerichtliche Klagen laufen, er ist also noch nicht abschließend rechtssicher.

Das verunsichert natürlich Mieter*innen, die gegen ihre überteuerten Mieten eigenständig gegen den Vermieter klagen müssen. In der Einschätzung der Expert*innen des Berliner Bündnisses kann die Maßnahme, wenn sie nicht weiter »verwässert« werde, helfen, die zukünftigen Mietsteigerungen zu verlangsamen. Für Wohnungs- und Obdachlose, den Zwangsgeräumten, den Migrant*innen in Notunterkünften, den durch kurzfristige Kündigungsmöglichkeit bedrohten Kleinunternehmern und Kulturinstitutionen mit Gewerbemietverträgen, der von »Umwandlung in Eigentum« bedrohten Mieterschaft, den 35 Prozent der Grundsicherung-Bezieher, die einen Teil ihrer Miete aus der Grundsicherung bezahlen müssen, ist die Einführung des Mietendeckels allerdings überhaupt keine Hilfe.

Auch deshalb ruft das Aktionsbündnis zur Teilnahme an den Demonstrationen am 28. März auf.


Links:

Aktionen in Berlin: www.mietenwahnsinn.info
Deutschland- und europaweite Aktionen: www.housing-action-day.net European Action Coalition: https://housingnotprofit.org
Mietenwatch: www.mietenwatch.de

Titelbild: Demo »Mietenwahnsinn« am 6. April 2019 in Berlin, Foto: Berty Luyeye-Mbuka


Forderungen des »Housing Action Day«

1. Wir wollen echte soziale Mieten und ein grundlegend anderes Miethöhenrecht. Keine Profite mit der Miete!

2. Ein Ende von Zwangsräumungen und Wohnungslosigkeit. Housing First in würdevollen Wohnungen und ein einklagbares Recht auf Wohnen!

3. Leerstand beenden! Wir fordern, dass die Vermietung von spekulativem Leerstand erzwungen werden kann. Besetzungen legalisieren!

4. Echte demokratische Mitbestimmung und kollektive Rechte für Mieter*innen. Wir wollen mitbestimmen, was mit unserem Zuhause passiert!

5. Eine neue Gemeinnützigkeit im Wohnungsbereich, ein Ende der Bodenspekulation, eine Sozialisierung des Grundeigentums, die Vergesellschaftung der großen Wohnungskonzerne. Wohnraum und Boden dürfen keine Ware sein!

6. Einen radikalen Kurswechsel in Politik und Wirtschaft: Für eine solidarische und ökologische Stadtentwicklung!

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