Weiterbildung von links unten

Aktivist*innen brauchen viele konkrete Fähigkeiten, um wirksam für ihre Utopien zu kämpfen. Im Kapitalismus kostet (Weiter-)Bildung aber fast immer Geld. Bildung ist zu wichtig, um sie der Privatwirtschaft oder dem Staat zu überlassen; deswegen nimmt »Skills for Utopia« sie selbst in die Hand und organisiert kostenlose Workshops. Für die CONTRASTE stellt das Kollektiv sich und seine Arbeit vor.

»Skills for Utopia«-Kollektiv

Das Telefon klingelt, Vilde ist dran: »Mist, das Bildschirmteilen funktioniert nicht! Was machen wir?« Die Online-Frühlingswerkstatt hat gerade erst angefangen, und schon droht die erste technische Panne den Einstieg zu vermasseln. Aufgrund des Lockdowns haben wir unser geplantes Workshop-Wochenende spontan ins Internet verlegt, ein Open-Source-Videokonferenztool besorgt, unsere Referent*innen im Hinblick auf Online-Didaktik gebrieft und Links, Technik-Tipps und Online-Netikette hundertfach herumgeschickt. Und jetzt, wo es losgehen soll, hakt es am Screensharing. Nach der ersten Aufregung finden wir zusammen mit den technisch versierten Referent*innen dann doch noch eine Lösung, wie deren Präsentation zum Thema »Einführung in die Überwachung« auch anders geteilt werden kann. Das Skillsharing kann losgehen!

Wir, das sind fünf Menschen, die unter dem Namen »Skills for Utopia« seit zwei Jahren freie Weiterbildungen für politisch engagierte Gruppen und Aktivist*innen organisieren. Dabei leisten wir vor allem die Orga-Arbeit hinter den Kulissen. Die Inhalte überlassen wir den Profis: In den letzten zwei Jahren haben wir ein Netzwerk aus circa 25 Referent*innen aufgebaut, die die Workshops geben. Wir wollen alle möglichen praktischen Skills vermitteln, die Aktivist*innen in ihrer Arbeit brauchen können. Das fängt an bei digitaler Autonomie – beispielsweise Workshops zu Emailverschlüsselung und Smartphonesicherheit – geht über Öffentlichkeitsarbeit – zum Beispiel dem Workshop »Aktionsvideografie« – bis hin zu Strategie und Selbstorganisation. Unsere Zielgruppe sind ausschließlich Aktivist*innen in emanzipatorischen linken Bewegungen, zum Beispiel von Seawatch, Fridays for Future oder Aktivist*innen in besetzten Wäldern.

In linken Bewegungen gibt es einerseits viele Gruppen und Einzelpersonen, die sich mit sehr geringen Ressourcen für politische Veränderung einsetzen. Andererseits gibt es vielfältige Bildungsangebote – aber viele davon kosten Geld. Das sorgt dafür, dass nur die Gruppen und Personen, die Geld haben, sich Weiterbildung leisten können. Das wollen wir ändern! Darum organisieren wir über Finanzanträge die Bezahlung für Referent*innen und garantieren so, dass jede*r Teilnehmende sich umsonst weiterbilden kann.

Aktivistische Fragestellungen

Außerdem sind viele existierende Bildungsangebote nicht adäquat auf die Bedürfnisse von Aktivist*innen zugeschnitten: In Weiterbildungen zur Organisation von Gruppen geht es oft um Management. Dass wir als emanzipatorische Akteur*innen kein Management brauchen, muss wohl nicht weiter erklärt werden. Es gibt Weiterbildungen zu Öffentlichkeitsarbeit oder Social Media – aber in denen geht es selten darum, worauf Gruppen achten sollten, wenn sie öffentlich sein wollen, aber ihre eigene Sicherheit trotzdem wahren müssen und warum es vielleicht nicht gut ist, nur eine*n Pressesprecher*in zu haben. Deshalb haben wir zusammen mit den Referent*innen Workshop-Konzepte erarbeitet, die speziell auf aktivistische Bedürfnisse und Fragestellungen zugeschnitten sind.

Ein weiterer Faktor, der uns von regulären Bildungsangeboten unterscheidet, ist, dass wir bei Skills for Utopia unsere Bildungsarbeit als Aktivismus machen, und nicht als Lohnarbeit. Warum das so einen Unterschied macht? In der Lohnarbeit ist es logisch, dass Bildungsangebote dort entwickelt werden, wo es eine Nachfrage gibt; denn es muss ja Geld damit verdient werden. Das heißt, es werden Angebote entwickelt, für die Individuen oder Gruppen bereit sind, Geld zu bezahlen. Dadurch, dass wir davon unabhängig sind, haben wir die Freiheit, außerhalb dieser Nachfrage zu wirken. Wir können so Bildungsangebote entwickeln, die für Aktivist*innen wichtig sind, für die sie aber kein Geld hätten oder zahlen würden. Wir analysieren also, was unserer Meinung nach in der Bewegung fehlt, und schaffen ein Angebot, um dieses Thema zu stärken.

Dadurch, dass wir Bildungsarbeit als Aktivismus betreiben, schützen wir uns auch vor weiteren Systemfallen. In der regulären Bildungsarbeit, die ja im Kontext des Kapitalismus stattfindet, schleicht sich das System vielfältig ein: So werden selbst entwickelte Bildungskonzepte oft proprietär behandelt – den eigenen Workshop soll am besten keine*r ungefragt kopieren. Wir versuchen hingegen, unsere Workshop-Konzepte und begleitenden Materialien so zu entwickeln, dass sie Alles beinhalten – Präsentation, Handout, Notizen, weiterführendes Material – um den Gruppen so zu ermöglichen, die Inhalte auf eigene Faust weiterzugeben. Außerdem gibt es in regulären Fortbildungsangeboten doch tatsächlich immer wieder Material mit Copyright. Das ist natürlich Quatsch, wir behandeln Wissen und Informationen nicht als Ware und laden einfach alles in eine Materialsammlung auf unserer Website hoch.

Angebot digitalisiert

Aber zurück zur Frühlingswerkstatt: Wir haben also Corona genutzt, um unser bestehendes Workshop-Konzept umzuwerfen und in Form von Webinaren zu digitalisieren. Das ist einerseits natürlich blöd, weil es ja auch spannend ist, Menschen kennenzulernen und von Angesicht zu Angesicht zu arbeiten. Andererseits haben wir in der Digitalisierung unserer Angebote viele Vorteile gefunden. Erst einmal fällt lästige Orga-Arbeit weg: Wir brauchen keinen Raum, wir brauchen weder Kaffee noch Essen, da alle ja zuhause vor ihrem Bildschirm sitzen. Das spart dann auch gleich die Kosten für den Raum, für den Kaffee, und auch für die Anreise der Teilnehmenden und Referent*innen. Und wo wir bei der Anreise sind: Früher haben wir vor allem Workshops in und um Berlin organisiert. Heute ist der Standort egal, und bei fast allen Workshops schalten sich Leute aus unterschiedlichsten Orten zu. Trotzdem freuen wir uns darauf, nach Corona auch wieder Präsenz-Workshops zu organisieren, weil man dort noch intensiver mit anderen Aktivist*innen in Kontakt kommen kann.

Mit dem Fokus auf Online-Bildung haben wir auch angefangen, all unsere Materialien, von uns gesammelten Creative-Commons-Materialien und weiterführende Links auf unsere Website zu stellen. Damit sind wir zwar noch nicht fertig, aber mittlerweile wächst daraus eine kleine Onlinebibliothek zu aktivistischen Skills. In der Planung stehen außerdem statische online Lernmodule, die von unserer Website aus abrufbar sind und individuell, unabhängig von Workshopzeiten gelernt werden können.

Die Frühlingswerkstatt ist durch das Umstellen auf ein digitales Format ein voller Erfolg geworden: In neun Workshops haben über hundert Teilnehmende aus ganz Deutschland mitgemacht, und wir haben viel positives Feedback, weitere Workshopanfragen und Unterstützungsangebote zugemailt bekommen. Die nächste Werkstatt steht nächstes Jahr in Planung; inzwischen werden wir aber auch regelmäßig von Gruppen gezielt angefragt.

Hierarchiekritik

Wir arbeiten also auf Aktivist*innen zugeschnitten, umsonst, und digital. Sonst noch was? Ein letztes Wort, das wir uns auf die Fahne schreiben, ist ›hierarchiekritisch‹. Wir geben zu diesem Thema explizit den Workshop »Hierarchiekritische Selbstorganisation«, in dem Aspekte der Selbstorganisation wie Treffen, Zusammenarbeiten und Kommunizieren hierarchiekritisch beleuchtet werden. Für Anfänger*innen haben wir den Workshop »Einführung in die Hierarchiekritik« entwickelt. Andererseits heißt das natürlich auch, dass wir selbst versuchen, uns intern hierarchiekritisch zu organisieren – wie so viele Gruppen. Wir organisieren uns zur Zeit vor allem über Onlineplena, in denen anfallende Aufgaben nach Zeit und Lustprinzip verteilt werden. Wenn mehrere von uns Lust auf eine Aufgabe haben, machen wir sie gemeinsam – wie das Schreiben dieses Artikels. Reflektion ist uns für ein hierarchiekritisches Miteinander wichtig: Nach jedem organisierten Workshop reflektieren wir, wie es gelaufen ist. Wichtig sind aber auch unsere regelmäßigen Strukturtage, auf denen wir diskutieren, wie das letzte halbe Jahr gelaufen ist, wo wir hin wollen, und wie wir dahin kommen. Außerdem organisieren wir regelmäßig interne Skillshares, bei denen wir Skills zu beispielsweise Finanzierung oder Sicherheit intern teilen. Das hat zum Ziel, dass jede*r alles machen kann, und sich keine unliebsamen Wissens- oder Informationshierarchien festigen. Das alles soll für eine hierarchiekritische Selbstorganisation sorgen – aber wir sind auch in einem ständigen Lernprozess. Zum Glück!

Link: skillsforutopia.org/materialsammlung

Titelbild: Zurzeit nicht möglich: Statt Präsenzworkshops, bei denen sich die Aktivist*innen persönlich kennenlernen, bietet »Skills for Utopia« seine Workshops jetzt online an. Foto: Skills for Utopia

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