100 Jahre VHS: »Hebung der Persönlichkeit«

Im Geiste der neugeschaffenen Weimarer Verfassung entstand 1919/1920 in Deutschland der Volkshochschulverband. Die Demokratisierung Deutschlands ging mit der Idee einer breiten Erziehung und Bildung der Staatsbürger*innen einher. Im Artikel 148 der Weimarer Verfassung wurden explizit die Volkshochschulen (VHS) erwähnt: »(4) Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden.« Sowohl die berufliche Fortbildung als auch die Ausbildung der Persönlichkeit waren von Anfang an die beiden Säulen.

Maurice Schuhmann, Berlin

In der Satzung der Volkshochschule Groß-Berlin von 1919 hieß es dementsprechend: »[Sie] will ihre Hörer zu innerlich freien, harmonisch entwickelten, in der Gemeinschaft wurzelnden Persönlichkeiten herausbilden.« Die Volkshochschulen standen in einem Kontext zu anderen Aufklärungs- und Bildungsprogrammen – sei es der (sozialdemokratischen) Arbeiterbildungsbewegung mit Wilhelm Liebknecht als (»Wissen ist Macht – Macht ist Wissen!«), der Volksbühnenbewegung, die besonders von Anarchist*innen getragen wurde, sowie auch der 1878 gegründeten Humboldt-Akademie. In der Humboldt-Akademie betrug der Beitrag pro Semester 7,50 Mark. Dafür konnten die Mitglieder Vorträge zu natur- und geisteswissenschaftlichen Themen besuchen. Alexander von Humboldt hatte mit seinen Kosmos-Vorträgen um 1827/28 den Grundstein für populärwissenschaftliche Vorträge gelegt. Überall in Europa entstanden um 1900 vergleichbare Initiativen – z.B. die Universités Populaires im französischsprachigen Raum oder auch in Skandinavien. Die fortschreitende Industrialisierung und der technische Fortschritt verlangten einen neuen Typus von Arbeitnehmer*innen – ähnlich wie die Digitalisierung einen neuen Bedarf für die (berufliche) Fort- und Weiterbildung schuf.

Die NS-Zeit stellte einen Einschnitt in der Geschichte der Volkshochschulen dar. Die Volkshochschulen wurden gleichgeschaltet. Sie dienten der ideologischen Schulung an der Heimatfront und waren eng mit nationalsozialistischen Organisationen wie »Kraft durch Freude« verbunden.

Während der Zeit der deutschen Teilung existierten sowohl in Ost- als auch Westdeutschland Volkshochschulen. Die ideologische Bedeutung dieser – gerade in der ehemaligen DDR – sind bislang erstaunlicherweise noch nicht zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden. In der Anfangsphase nach dem Zweiten Weltkrieg stand im Westen die Wiedergründung der VHS unter dem Zeichen der »Reeducation« (dtsch. Umerziehung), während in Ostdeutschland die »antifaschistische Bildungsarbeit« als ideologischer Überbau diente.

Der Bildungsauftrag klingt im 21. Jahrhundert ähnlich wie in der Gründungsphase. In der Satzung der VHS Pankow steht eingangs: »Wir garantieren den Bürgerinnen und Bürgern ein vielfältiges Bildungsangebot zum lebensbegleitenden Lernen. Wir fördern soziale Integration und die Chancen zur aktiven Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und an deren Mitgestaltung.«

Heute klingt für viele Menschen Volkshochschule nur noch nach Sprachkursen, wo verrentete Lehrer*innen rumsitzen, Häkel- und Strickkursen für Leute mit zu viel Zeit sowie Computerkursen für Senior*innen. Also alles andere als frisch und revolutionär. Dementsprechend werden auch die Kurse zu politischen und philosophischen Themen erfahrungsgemäß kaum genutzt. (Abgesehen von ein paar Fachhochschulen, die mittlerweile ihren Studierenden den Besuch von VHS als Alternative zum Seminar- und Vorlesungsbesuch ans Herz legen.).

Die Hochzeiten scheinen aber vorbei zu sein. Wo einst die Teilnahme an Weiter- und Fortbildung mit dem Versprechen von beruflichem Aufstieg und höherem Gehalt verbunden waren, ist heute die Ernüchterung eingetreten, dass dies nicht in einem direkten Zusammenhang steht. Zudem werden die klassischen Aufgaben der Volkshochschulen – insbesondere berufliche Fortbildung – längst auch von anderen Trägern und Institutionen bedient. Die Konkurrenz ist groß. Dennoch hat sie heute immer noch – und vielleicht gerade angesichts von Aufkommen und Erstarken populistischer und rechter Tendenzen in der Gesellschaft – eine wichtige Funktion. Sie kann immer noch als eine demokratiefördernde Institution gesehen werden.

Einen anderen Aspekt, den der Bildungsforscher Ulrich Klemm in einem Beitrag zum 100-jährigen Bestehen erwähnt, ist der Beitrag der VHS zur Integration: »Spätestens mit Beginn des 21. Jahrhunderts spielen die Volkshochschulen eine gewichtige integrationspolitische Rolle. Mit Einführung des Integrationskurses als dem zentralen Bildungsinstrument in der Zuwanderungsgesellschaft werden Volkshochschulen zu dessen bundesweit stärkstem Anbieter.«

Am 20. und 21. September findet bundesweit die lange Nacht der Volkshochschulen mit einer Vielzahl von Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten statt. Die offiziellen Feierlichkeiten zum 100jährigen Bestehen der VHS haben bereits begonnen und werden auch 2020 noch fortgesetzt.

Foto: Uli Frank

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